Wenn es nach mir ginge, hätten Trends wie Selbstoptimierung lediglich die Bedeutung, die sie verdienen, und nicht die, die sie heute haben. Es hat ja auch eine ganze Weile ohne funktioniert: Solange das Thema überhaupt niemanden wirklich interessierte, wähnte ich mein Selbst ausreichend optimiert, indem ich im Rahmen meiner Möglichkeiten permanent dazulernte. Über Gott (weniger) und die Welt (schon mehr). Und weil ich darüber viel lernte, weiß ich natürlich, dass es eben leider viel zu selten nach mir geht.

Bis heute empfinde ich das als extrem ungerecht, lernte allerdings auch, und das sogar schon recht früh: Weder Gott noch die Welt interessieren sich für mein Gerechtigkeitsempfinden.

Ich würde nicht so weit gehen, zu behaupten, die Welt wäre außer für mich auch generell eine gerechtere, wenn es denn nur öfter nach mir ginge. Aber wenigstens, so es nach mir ginge, träfe man seltener auf Zeitgenossen, die ganz gut beraten wären, wenigstens einen Teil ihrer Aufwendungen fürs Fitness-Studio in die regelmäßige Lektüre einer Tageszeitung zu investieren. So offenbart sich bereits recht früh bei der Beschäftigung mit dem Thema das Kernproblem: Wer bitte will entscheiden, welche Tätigkeit im einzelnen konkret eine Optimierung des Selbst bedeutet und welches weniger oder gar nicht? Es fehlt ein allgemeingültiger Standard zur Beurteilung der Frage: Optimierst Du noch oder verschlimmbesserst Du schon?

Selbst ein und dieselbe Person wird im Einzelfall zu dieser Frage unterschiedliche Antworten geben, sobald etwas Zeit dazwischen liegt. Zum Beispiel hat man in meiner Jugend bei einem angehenden Mann Optimierungsbedarf erkannt, wenn dieser bereits nach der achten Runde Halbliterbier durch technischen K.O. aus dem Geschehen ausschied. Mit dem Abstand von rund dreißig Jahren würde ich diese Sichtweise schlicht als nicht mehr angemessen bezeichnen.

Es leuchtet unmittelbar ein, dass die Trennschärfe des Begriffs leidet, wenn unter ihm so verschiedene Dinge wie Entspannungstechniken, Wirkungskompetenz oder sportliche Betätigung zusammengefasst werden. Selbstoptimierung ist eigentlich der Flohmarkt des Lebens: Irgendwas findet jeder, und was dem einen gefällt, würden andere mit der Kneifzange nicht anfassen. Nicht objektive Kriterien, sondern individuelle Werte sind der Maßstab dafür, ob der Effekt einer Selbstveredelungsmaßnahme als positiv einzustufen ist.

Bei aller Unterschiedlichkeit habe ich ein vereinendes Element beobachten können: Selten wird der ganze Aufwand als Selbstzweck betrieben, viel häufiger dafür, um irgendwen zu beeindrucken. Gewiss nicht rein zufällig erstarkte mein Interesse an persönlicher Veränderung just zu dem Zeitpunkt, als ich mich einige Monate nach der Trennung von der Mutter meines Sohnes wieder in die Lage versetzen wollte, andere Menschen, hier vornehmlich weiblichen Geschlechts, von meinen manchmal eigen-, meist aber einzigartigen Eigenschaften zu überzeugen.

Ein wichtiges Ergebnis vielleicht vorweg: Nicht zwangsläufig wird das Versprechen eines gesteigerten Sozialprestiges eingelöst, bloß weil man sich eine Weile mit dem beschäftigt hat, was wesentlich ist, nämlich sich selbst. Wie so oft im Leben reicht eine gute Absicht nicht immer aus, auch ein gutes Resultat zu erzielen.

Das war alles nicht optimal, aber ein Anfang. Erstmals wurde mein Handeln entkoppelt von der Aneinanderreihung von Zufällen, die mein gut 40-jähriges Leben bis dahin bestimmt hatten. Wenigstens etwas zielgerichteter als bisher sollte es ab diesem Punkt weitergehen. Denn die wichtigste Erfahrung des vorangegangenen Jahrzehnts war: Die Wahrnehmung, ob jemand mit seinem Handeln einen eminent wichtigen Beitrag für das Zusammenleben leistet, hängt nur am Rande damit zusammen, ob jemand tatsächlich einen eminent wichtigen Beitrag für das Zusammenleben leistet, aber in erster Linie davon, dass dieser Jemand behauptet, mit seinem Tagwerk einen eminent wichtigen Beitrag für das Zusammenleben zu leisten. Klar, dass ich da nicht mithalten wollte. Allerdings hat diese meine Verweigerungshaltung mit dazu geführt, im Ansehen meiner angeheirateten Familie zum Schluss sogar noch unter dem Hund zu stehen. Das sollte mir nie wieder passieren. Folgerichtig bestand meine dringendste Aufgabe in einem Crashkurs in Selbstmarketing. Dies korrespondierte auch mit der Überzeugung, dass mein Selbst eigentlich auch vorher ganz okay war und höchstens meine Kommunikation über dieses Okay-Sein optimierungswürdig ist.

Also arbeitete ich mir in einem mehrere Wochen währenden, aber sehr aufschlussreichen Prozess nach und nach meinen Markenkern heraus und richtete anschließend jegliches Handeln danach aus, ob es „in meine Marke einzahlt“.

Viele Konzepte, auf die ich stieß, blieben mir fremd. Das lag natürlich zum einen an den Konzepten selbst, immer häufiger aber auch an den Menschen, die diese verkaufen wollten. Wenn mehr Anstrengung darauf verwendet wird, Kompetenz auszustrahlen anstatt sie zu erlangen, ist das Thema durch. Ansonsten probierte ich mich aber einmal quer durch den Garten: Mehr Charisma – kein Problem! Selbstvertrauen lernen – ja bitte! Nie wieder Aufschieben – fange ich gleich nächste Woche damit an. Berührungsängste gab es wenig, aber mit einer Sache brauchte mir von vorneherein niemand kommen: Der ganze Themenkomplex rund um Kraftsport und Bodystyling. Das bedeutete mir einerseits zu viel Aufwand und hätte mich andererseits im Authentizitäts-Ranking um einiges zurückgeworfen. Darüber hinaus hätte es nicht in meine Marke eingezahlt.

Es ist nicht so, dass ich gegen Fitness und einen halbwegs gesunden Körper irgendein vernünftiges grundsätzliches Argument vorbringen könnte. Jedoch fehlt mir, wenn man bei dem größeren Anteil der Aktiven die Motive für ihr Tun letztlich auf Eitelkeit herunterbrechen kann, gewissermaßen auch dort die Trennschärfe. Von einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive ´mal ganz zu schweigen.

Wenn es also nach mir ginge, würde ich bei der Abwägung zwischen intellektueller und körperlicher Betätigung die Prioritäten klar auf dem erstgenannten Punkt setzen. Dass man damit ungleich weniger Menschen beeindrucken können wird als mit einem gestählten Körper, nehme ich in Kauf. Aber wenn schon Selbstoptimierung, dann richtig. Wenn es nach mir ginge, hätten Fitness-Studios lediglich die Bedeutung, die sie verdienen, und nicht die, die sie heute haben.