Was ich ihm noch alles beibringen wolle? Ton und Mimik, die zu dieser Frage gehören, drücken eher aus, daß da aktuell wieder einmal daran gezweifelt wird, daß ich noch alle Latten am Zaun hätte. Okay – ich habe selbst gesagt, er sei zu blöd zum Lernen. Aber das geschah einzig zu dem Zweck, jegliche weitere Diskussion zu unterbinden, als mir im Fressnapf an der Kasse wie jedes Mal noch irgendein zusätzlicher Mist zu meinem Einkauf angeboten wurde. Und wenn der Hund gegen die Glasscheibe einer Terrassentür springt, weil er nicht unterscheiden kann, ob dort jetzt offen oder geschlossen ist, liegt das am Grauen Star und nicht daran, daß er nicht mehr für voll zu nehmen wäre.

„Ich wusste, daß ich auf Deine Unterstützung zählen kann“, denke ich also so bei mir, will andererseits auch nicht ungerecht erscheinen. Bei einem 12 Jahre alten Hund muss immer damit gerechnet werden, daß jemand die Frage stellt: Kann, soll oder muss man dem Tier jetzt wirklich noch etwas beibringen?

Man muss nicht, wenn es nicht sein muss. Aber sollte es sein müssen, kann man.

Zumal es hierbei nicht um Zirkuskunststücke geht, sondern um Grundlagen. Für Sprünge durch Feuerreifen, Salto Mortale oder Flickflacks ist der Hund wohl in der Tat zu alt. Für ein Anti-Giftköder-Training dagegen kann ein Hund gar nicht zu alt sein. Wie ich lesen durfte, sei das Thema Giftköder nämlich in aller Munde. Zwar ist das Thema eigentlich zu ernst, um darüber blöde Wortspiele zu machen, doch dieses Fundstück aus den amazon-Kundenrezensionen zu der Lehr-DVD, die ich geordert habe, fand ich köstlich!

Gut die Hälfte seiner bisherigen Lebenszeit hat Oka bei uns, später bei mir verbracht. Trainerinnen hatte ich in dieser Zeit drei. Das sind natürlich weniger Übungsleiter als der HSV durchschnittlich pro Saison verschleißt, aber gemessen daran, daß es um einen Hund geht, irgendwie fast schon wieder viel.

Und natürlich hatte ich zwischendrin auch auf eigene Faust versucht, ihm das eine oder andere beizubringen. Vermutlich kommt aus den Erfahrungen jener Zeit heraus die Ahnung, die ich beim Fressnapf an der Kasse geäußert hatte.

Hochmotiviert hatte ich beispielsweise zwecks Bindungsaufbau Futter aus der Hand gegeben und zwei Spielzeuge für ihn und mich geholt: eine Reizangel und einen Futter-Dummy zum Apportieren. Die Reizangel – nun ja, ich hätte vor dem Kauf überlegen sollen, ob das für seine Knie das Richtige ist. Ich hatte seine Ärztin gefragt, die zu dem Thema die grandiose Antwort hatte, wenn er dabei nicht so häufig abrupte Richtungswechsel vornehmen müsse, sei das genau das Richtige. Es lag aber nicht an dieser Antwort allein, daß diese Ärztin nunmehr mit dem Zusatz „damalig“ genannt werden muss und die Anzahl der Ex-Ärzte mit derjenigen der Ex-Trainerinnen gleichauf liegt. Da kamen später noch andere Sachen.

Reizangel zu verschenken

Kein Witz! Wer als erstes „Hier, bitte!“ ruft, kann sie haben. Oka bleibt ja noch sein Snack-Dummy.

Den ich nach den ersten Versuchen auch bald wieder verschenkt hätte. Und zwar spielte sich das etwa so ab: Zunächst las ich mich zweieinhalb Abende lang durch etliche Foren und wurde erwartungsgemäß mit jedem Beitrag verwirrter. Die erste Lektion, die ich begriff, lautete: Die Leute haben alle unterschiedliche Tiere, auch wenn diese a) ähnlich aussehen und b) alle Hunde sind. Konsequenz daraus ist Lektion Zwei: es gibt deutschlandweit geschätzt mehr Zugänge zum Thema Apportieren als es überhaupt Hunde gibt.

Wenn ich es also so gesehen nur verkehrt machen kann, Lektion Nummer Drei, kann ich auch ohne größeres Know-How unmittelbar loslegen. Das ist Punk, das gefällt, auf in den Kampf! Das Teil durch die Gegend gepfeffert, der Hund auch sofort hinterher und es sich geschnappt. Das fängt doch schon richtig gut an.

Aber eben nur bis zu diesem Punkt. Danach wusste der Hund nicht weiter. Ich auch nicht. Also auf einen Forenbeitrag zurückgreifen, in dem es hieß, bereits die ersten Schritte in meine Richtung sollten überschwänglich gefeiert werden. Also habe ich Party gemacht wie in meiner Sturm-und-Drang-Phase. Habe den Hund angefeuert wie einst im Mai 1999 die SGE, als klar wurde, daß in den letzten Minuten noch ein Tor für ein weiteres Jahr 1. Liga benötigt würde. Daraufhin hat er sich so sehr gefreut, daß er den Futterbeutel hat fallen lassen und umgehend zu mir gelaufen kam. Das war zwar okay, doch Apportieren geht anders.

Sehr viel später haben wir diese Übung dann mit seiner dritten Trainerin gemacht, was auch gut funktioniert hat. Das ist jetzt erst wenige Wochen her, nämlich kurz bevor er 12 geworden ist. Soviel übrigens als Antwort auf die Frage, ob man einem Hund in diesem Alter noch etwas beibringen soll oder kann.

Es offenbart sich an diesem Punkt die Richtigkeit der Forderung, daß die Leute damit aufhören mögen, Hunde permanent zu vermenschlichen. Nur weil die meisten nicht willens sind, ihre Komfortzone zu verlassen, bedeutet das ja nicht, daß es grundsätzlich nicht möglich wäre. Und: das betrifft leider nicht nur ältere Menschen. Sondern viele denken ab einem gewissen Punkt, ihr Reifungsprozess wäre abgeschlossen und sie bräuchten nichts mehr dazuzulernen. Daß man zum Beispiel im beruflichen Kontext just in dem Moment, ab dem es überhaupt beginnt interessant zu werden, „ausgelernt“ habe, verrät viel über die dahinterstehende Denkweise.

Diese Mentalität auf lernbegierige Tiere zu projizieren, ist so unzulässig wie schade. Auf Menschen bezogen wird es allerdings regelrecht fatal, wenn persönliche Weiterentwicklungen durch solche Einstellungen vorsätzlich gebremst werden.

In vollem Bewusstsein darüber, wie leicht die vorangegangenen Sätze ebenso gut mit einem neoliberalen Plädoyer für eine Quasi-Verpflichtung zum lebenslangen Lernen verwechselt werden können, möchte ich noch dringend folgenden Hinweis loswerden: Das Bedürfnis nach Bildung und Weiterentwicklung muss sich nicht zwangsläufig an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes orientieren. Erlaubt ist, was gefällt. Hauptsache, es macht Euch glücklich. Wenn irgendwer selbst aus Eurem unmittelbaren Umfeld ungläubig fragt, ob Ihr noch alle Latten am Zaun habt, ist das kein objektives Urteil über die Qualität Eures Vorhabens, sondern womöglich sogar ein Hinweis darauf, daß Ihr damit goldrichtig liegt. In diesem Sinne: Bleibt lebendig!