Als jemand, der üblicherweise nur auf ein geeignetes Stichwort wartet, um der Welt zu erklären, dass und weshalb früher alles besser gewesen sei, stehe ich unter besonderem Rechtfertigungsdruck, wenn ich ein Thema reflektiere, angesichts dessen ich im Brustton der Überzeugung behaupte: Mögen diese Zeiten bitte nicht wiederkommen.
Es gab eine Zeit, in der ich ein beliebter Ansprechpartner war, wenn Freunde oder Bekannte oder Bekannte von Freunden oder Freunde von Bekannten umziehen wollten oder mussten. Das war in diesem Ausmaß eigentlich nicht beabsichtigt, aber wenn man bei solchen Events regelmäßig zur vereinbarten Uhrzeit erscheint und dann auch sofort loslegt, ohne sich erst noch gemütlich drei Pötte Kaffee in den Schädel zu hämmern, gerät man auch nicht völlig ohne eigene Schuld in diese Rolle des gern gesehenen Helfers. Dass ich große Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen zu steuern gewohnt war, kam noch erschwerend hinzu. So begab es sich, dass ich eines Morgens auf dem Weg nach unten schwer beladen die beiden entgegenkommenden Neuankömmlinge instruierte, dass sie bitte unbedingt als nächstes die große Kommode im Flur nach unten schaffen sollten. Es war nicht der leichteste Job zum Warmwerden, aber sie haben ihn prompt erledigt. Ich wunderte mich danach zwar, dass ich die beiden ziemlich schnell überhaupt nicht mehr gesehen habe, aber als ich erfuhr, dass die Beiden eigentlich nur die Nachbarn waren und mit dem Umzug so gar nichts zu tun hatten, hatte ich das als Entschuldigung natürlich zu akzeptieren.
Ich gebe zu, an jenem Vormittag absichtlich langsamer als üblich gearbeitet zu haben, weil mir die Vorstellung, dass die Zwei ihre Wohnung sicherheitshalber nicht mehr verlassen würden, solange wir dort zugange sind, eine spitzbübische Freude bereitete. Vielleicht haben sie auch alle Bettlaken zusammengeknotet und sich unbemerkt aus dem Fenster zur anderen Seite abgeseilt – manche Dinge muss man auch nicht en detail wissen. Ich erwähne diese Begebenheit ohnehin nur, weil ich mich dieser Tage wieder einmal der Frage stellen musste, wieso manche Aushilfskollegen meine Anweisungen nicht befolgen. Die geschilderte Anekdote zeigt, dass ich meinem Ideal als Führungspersönlichkeit schon ´mal näher war als ich es heute bin und dass – welch überraschende Wendung – früher vielleicht nicht alles, zumindest jedoch manches besser war. Sicher keine bahnbrechende Erkenntnis, die sich mir da diese Woche offenbarte, dafür aber nicht die einzige. Anderes Beispiel: Wenn ich aber schon meine Kollegen nicht mehr erreiche, warum sollte es mich ernsthaft wundern, wenn ich – Stichwort Online-Dating – zu unbekannten Frauen erst recht keinen Zugang finde.
Es dreht sich wieder einmal um einen Teil von Frauenlogik, den ich nicht verstehe und der sich wie folgt äußert: Wenn zwei Suchende sich schon gegenseitig mit Herzen bedenken, so – war ich naiv genug anzunehmen – würde eine unverbindliche Kontaktaufnahme mittels elektronischer Post auch eine Antwort auslösen. Zumindest wenn man sich nicht gar zu plump anstellt.
Jetzt bin ich seit Tagen am Rätseln, was genau an meiner Nachricht so plump gewesen sein könnte, dass sie nicht antwortet. Ich kann zwar nur spekulieren, vermute jedoch, dass hinter solchem ausführlichen Schweigen keine Unsicherheit, sondern ernsthaftes, tief empfundenes Desinteresse besteht.
Damit ich überhaupt ´mal wieder emails von irgendwem bekomme, habe ich mich daraufhin für den Empfang mehrerer Newsletter angemeldet.
Um die Lage nicht dramatischer zu zeichnen als sie tatsächlich ist: Neulich hat ja auch tatsächlich ´mal wieder eine geantwortet. Sie hatte zwar letzten Endes kein Interesse, bescheinigte mir aber, dass ich sehr nett schreibe. Ich bedankte mich dafür und erwähnte, dass das Absicht ist, konnte sie damit jedoch leider nicht umstimmen. An der Kernproblematik scheint sich demnach die letzten 100 Jahre nichts Gravierendes geändert zu haben. Wenn man nur mittelmäßig aussieht, bringt es auch keinen nennenswerten Vorteil, dass man sich in ganzen Sätzen ausdrücken kann. Selbst Metallica und Depeche Mode zusammen sind nicht so überbewertet wie diese Fähigkeit.
In der Rangliste der meist überbewerteten Dinge allerdings sind die drei vorgenannten wiederum allesamt weit abgeschlagen hinter einer Sache, die auf Jahre uneinholbar enteilt ist: Die Rede ist nicht etwa von dem Verhütungsmittel Nummer Eins: aufgemalten Augenbrauen, sondern von Warnwesten bei Radfahrern.
Zwar spricht zunächst überhaupt nichts gegen eine bessere Sichtbarkeit im Straßenverkehr. Allerdings bleibe ich bei der Einschätzung, dass ein Radfahrer durch umsichtiges Fahren, am besten auf den für ihn vorgesehenen Wegen in der richtigen Fahrtrichtung, durch das Geben von Handzeichen vorm Spurwechsel und allgemein durch ein Weniger an Grundsätzlich-im-Recht-Fühlen ein Vielfaches mehr zur Verkehrssicherheit beitragen würde als durch das Tragen einer Warnweste.
Und natürlich war das früher nicht besser. Im Gegenteil: Früher bin ich selbst mit Warnweste Rad gefahren. Weil ich nämlich kein Licht hatte, war ich gezwungen, mich auf andere Weise bemerkbar zu machen.
Ich sollte langsam beginnen zu akzeptieren, dass die Wahrnehmung, was besser und schlechter war, vor allem ein Resultat dessen ist, wie ich selbst mich schneller und mehr verändert habe als mir lieb sein kann.
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