Hauptsache, der Bub hat Beschäftigung. Immer mehr Menschen erstellen sich im Kampf gegen ihre Langeweile eine sogenannte bucket list, im Deutschen sinngemäß eine Löffelliste. Auf ihr werden Dinge fixiert, die man noch zu erledigen gedenkt, bevor man den Löffel abgibt. Der Hype um solche Listen begann wohl mit dem Film „Das beste kommt zum Schluss“, der von zwei dem Tod geweihten Patienten erzählt, die sich kurz vor knapp noch drauf und dran machen, ein paar viele letzte Wünsche zu erfüllen. Man kann allerdings eine Löffelliste auch dann erstellen, wenn man noch gar keine Ambitionen hat, demnächst das Zeitliche zu segnen. Wenn´s hilft, das Leben besser in den Griff zu bekommen, haben ja am Ende alle etwas davon.
Ich hatte mir den Film auch vor einiger Zeit auf DVD gekauft und mir das Vorhaben, diese zu gegebener Zeit anzusehen, auf meine bis dato nur in meinem Schädel existente Liste relativ weit nach oben gesetzt. Alsbald habe ich den Titel verliehen und nie zurückbekommen. Mein bislang nicht uneingeschränkt positives Verhältnis zu solchen Listen könnte mit diesem Vorgang zusammenhängen, aber auch anderen Ursprungs sein. Wer weiß das schon so genau beziehungsweise wer will das schon so genau wissen? Jedenfalls bräuchte ich persönlich eher eine Liste mit Angelegenheiten, die ich besser nicht mehr mache. Zum Beispiel eben Dinge an Freunde zu verleihen, die nicht einmal mehr wissen, dass sie noch im Besitz weiterer Gegenstände aus meinem (ehemaligen) Inventar sind. Es sei denn, es handelt sich bei diesen Dingen um Tonträger der Kelly Family, alte Reifen, die Ehegattin oder sonstige Sachen, die ich ohnehin irgendwann loswerden wollte.
Zumindest hat sich zwar besagte DVD niemals in meinem Player gedreht, dafür seitdem aber die Erde diverse Male, ohne dass ich in all dieser Zeit jemals auf den Gedanken gekommen wäre: Hätte ich eine Löffelliste, wäre alles viel besser.
Es ist ja auch nicht so, dass mein Lebenslauf bis jetzt ein leeres Blatt Papier wäre. Meine größten Erfolge chronologisch sortiert: Abitur, Diplom, Staplerschein. Das toppt zwar nicht den dritten Platz beim Christbaumwerfen, den meine Exgattin einst errungen hatte. Dafür habe ich in so gut wie jedem Verein oder anderen Zusammenhang, in dem ich mehr als einmal bei einer Zusammenkunft war, eine Funktion übernommen oder sagen wir besser übernehmen müssen. Ich habe mehrere Male politische Reden geschrieben und selbst vorgetragen und damit mindestens einmal dazu beigetragen, dass öffentlich darüber debattiert wurde, weshalb ausgerechnet dieser Redner eingeladen wurde. Ich habe ein Gewerbe angemeldet und dabei neben für meine Verhältnisse viel Geld viel wertvolle Lebenszeit verloren, die ich für andere Punkte auf meiner nicht vorhandenen Liste wahrlich besser hätte nutzen können. Ich habe Wände mit Parolen besprüht und mich gefreut wie ein kleines Kind zu Weihnachten, als ich tags darauf den Nazi-Tankwart gesehen habe, wie er mein Werk überstreichen musste. Als Jan Aage Fjörtoft im Mai 1999 seinen Übersteiger performte, stand ich im Block L und hielt kurz die Luft an, um Sekunden später die Erfahrung zu genießen, was Ekstase heißt. Ich habe Pete Townshend unplugged im autonomen Zentrum spielen sehen und The Offspring in Hanau, als sie noch die unbekannte Supportband von No FX waren.
Nichts davon hat jemals auf einer Liste der unbedingt zu erlebenden Dinge gestanden. Demnach kann man theoretisch auch ohne gut leben. Mit Liste hätte ich andere Dinge erlebt, aber ob das dann besser oder schlechter geworden wäre, kann niemand sagen. Deswegen: Hört auf, immer diese Listen auf einen Sockel zu heben. Mag sein, dass das Thema Löffelliste ein schönes Thema für einen Blogeintrag ist, aber niemand wird ein besserer Mensch, weil er eine bucket list führt.
Falls man sich dennoch dazu entschließt, eine solche Liste zu führen, wird man schnell merken, dass es nicht allein von der Lebenserwartung und dem allgemeinen gesundheitlichen Zustand, sondern nicht unwesentlich auch von der Fülle des Geldbeutels abhängt, welche Punkte man noch wird abhaken können. Da sich nicht zuletzt auch Interessen verschieben können, wird man gelegentlich Punkte von der Liste streichen können, ohne dass man sie vollendet hat. Und damit die Entscheidung leichter fällt, welche Punkte das sein könnten, habe ich wieder einmal wertvolle Vorabrecherchen getätigt und präsentiere:
5 Punkte, die auf Deiner bucket list getrost fehlen dürfen
1. Eine Barttransplantation
Ich warte auf das Zeitalter, in welchem der moderne Mann endlich die richtigen Antworten auf die Frage gibt, wie unlogisch es eigentlich ist, sich im Gesicht Haare zu wünschen. Dass Gestrüpp an Kinn und Wange äußerst lästig sein können, weiß man doch nicht erst seitdem wir angehalten sind, in Gesellschaft Mund und Nase zu bedecken. Selbst auch nicht mit dem üppigsten Wuchs ausgestattet, kann ich mit gewissem zeitlichen Abstand sagen, dass unvollständige Gesichtsbehaarung meiner Männlichkeits- wie Persönlichkeitsentwicklung im weiteren Verlauf nicht allzu sehr geschadet hat. Sagt jedenfalls meine Mutter. Wer also gerade mit dem Gedanken an eine Gesichtsaufforstung spielt, sollte sich deswegen keine grauen Haare wo auch immer wachsen lassen.
2. Mit Delfinen schwimmen
Kann man machen. Größeren Nervenkitzel verspricht aber das Tauchen mit Haien. Georgina Harwood hat dies getan. Was es so besonders macht, ist allerdings nicht etwa ein tragisches Unglück, sondern folgendes: Sie tat das wenige Tage nach ihrem 100. Geburtstag. An besagtem Ehrentag selbst hatte sie besseres zu tun: einen Fallschirmsprung. Es war das dritte Mal in ihrem Leben, dass sie sich aus einem Flugzeug gestürzt hat; ihr erstes Mal war 2007 mit zarten 92 Jahren. Das hinterlässt einen größeren Eindruck als es das Schwadronieren eines 18-jährigen Möchtegern-Influencers über Löffellisten jemals könnte.
3. Der Fallschirmsprung
Mit dem Fallschirmsprung wurde im Absatz vorher auch schon der Klassiker schlechthin angesprochen, der auf keiner Löffelliste fehlen darf. Ich hatte bis heute nicht das Bedürfnis, einen zu absolvieren, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Vermutlich werde ich allerdings erst dann reif für einen Sprung, wenn ich keine Angst mehr vorm Sterben habe. Deshalb: Folgt diesem Blog! Denn wenn es irgendwann einmal so weit ist, wird man es hier zuerst erfahren.
4. Reiseklassiker
Der Helicopterflug durch den Grand Canyon klingt nicht nur massiv beeindruckender als die Alpaka-Tour durch den Odenwald, sondern hat vermutlich in der Tat einen besonderen Erinnerungswert. Unbestritten ist auch Hawaii attraktiver als der Bodensee. Das Problem bleibt allerdings: Möchte man der übernächsten Generation statt haufenweise Wüsten auch noch sehenswerte Flecken hinterlassen, sollte man allmählich ´mal auf den Trichter kommen, dass man den eigenen Aktionsradius vielleicht doch irgendwann ´mal etwas einschränkt anstatt weiterhin viermal im Jahr in Urlaub zu jetten.
5. Der Halbmarathon
Bevor man irgendwann mit Mitte Vierzig feststellt, dass als größte sportliche Herausforderung höchstwahrscheinlich nur Dart übrigbleibt, ist ein auf Bewegung setzender Lebenswandel natürlich in jeglicher Hinsicht vorzuziehen. Aber muss man es deshalb immer gleich übertreiben? Kann man nicht einfach regelmäßig mit dem Rad seine 10 Kilometer zur Arbeit fahren? Wer das tagtäglich über Jahre hinweg macht, ist doch die coolere Sau als derjenige, der sich einmalig ein halbes Jahr auf etwas vorbereitet hat und danach 15 Jahre lang seine Umgebung mit seinem „Finisher“-T-Shirt nervt.
Ich bin bei diesem Thema natürlich auch befangen, da ich in meinem bisherigen Leben nicht direkt als Sportskanone aufgefallen bin. Wenn man 13 lange Jahre nicht über ein „befriedigend“ im Schulsport hinausgekommen ist, ist Schießen die richtige Entscheidung, wenn man den Eindruck vermitteln möchte, dass man sich überhaupt sportlich betätigt. So (aber eigentlich auch aus jeder anderen Richtung) betrachtet ist Schießen auch nur der große Bruder von Dart.
Ich weiß nicht, wie ich jetzt darauf komme, aber falls ich einmal jemanden erschieße (und sei es nur mich selbst, wenn ich noch einmal eine derart schlechte Überleitung verfasse), würde ich mit etwas Glück sozusagen nebenbei noch einen weiteren wichtigen Wunsch erfüllen: einmal auf der Titelseite einer bedeutenden Zeitung zu landen. Man muss dann natürlich mit der Konsequenz leben können, dass diese eine Aktion die Verwirklichung anderer Ziele tendenziell verunmöglicht. Denn auch wenn diese vergleichsweise bescheiden daherkommen –
Ich habe noch etwas vor
So habe ich Besuche im Miniatur Wunderland sowie einer Eisskulpturen-Ausstellung neben der bereits angesprochenen Alpaka-Tour auf meinem imaginären Zettel stehen. Ich war zunächst selbst etwas erschrocken darüber, wie wenig ich noch vom Leben erwarte. Doch es müssen nicht im Wochentakt Knaller der Güteklasse Niagarafälle auf dem Programm stehen. Vielleicht sehe ich das in zehn Jahren anders, so wie ich es mir vor fünf Jahren nicht vorstellen konnte, jemals ein Leben ohne Luftballons führen zu können. Vielleicht beiße ich mir eines Tages in den Arsch, dass ich mir keine höheren Ziele gesetzt habe, aber vielleicht ist es auch genau andersrum und ich sehe mich eines Tages darin bestätigt, dass die kleinen Dinge die wirklich großen Momente sind. Und da wir gerade von wirklich großen Momenten sprechen: Weiterhin gute Texte schreiben und die besten davon regelmäßig auf Bühnen vortragen und die Leute damit so gut unterhalten, dass andere Leute sich auf ihre Löffellisten schreiben: Einmal Micky auf der Bühne sehen. Das wäre nochmal etwas, wofür es sich morgens aufzustehen lohnt.
Falls mich irgendjemand bei diesem Vorhaben unterstützen kann und will – gerne!
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