Wer es sich leisten kann, rüstet aktuell sein Zuhause massiv auf. Das ist, da man sich angesichts eines um sich greifenden neuartigen Virus´ so oft es geht ausschließlich dort aufhalten sollte, so verständlich wie konsequent. Aber auch für den schmalen Geldbeutel ist ein schöneres und gemütlicheres Heim kein reines Luftschloss. Die Gleichung für ein attraktiveres Heim lautet: Keine Veranstaltungen = keine Tombolas = keine Lose = keine Preise = weniger Zinnober in der Bude. Und das Beste: Endlich kann man ´mal durch Unterlassen Gutes tun. In einer Auflistung von Dingen, die ich rein gar nicht vermissen würde, sollte es sie von jetzt auf gleich nicht mehr geben, würden Tombolas immer auf den ganz vorderen Rängen landen.

Zwar gilt die Problematik um die beliebten Verlosungen prinzipiell ganzjährig, ihren Höhepunkt erreicht sie jedoch regelmäßig in der Vorweihnachtszeit. Ganz als ob nicht jeder von uns nur wenige Tage später ohnehin ausreichend mit Plunder beschenkt wird, der im Grunde nicht benötigt wird. Immerhin: Der These folgend, dass viele spätere Tombolapreise ursprünglich unliebsame Geschenke waren, sorgt das Weihnachtsfest, wie es gemeinhin praktiziert wird, für steten Nachschub an mehr oder minder brauchbaren Gewinnen bei der Weihnachtsfeier von Gesangs-, Tischtennis- oder – gibt es wirklich – Zuckersammlerverein.

Nun ist es ja nicht so, dass ich erst eine Bescherung bräuchte oder bei einer Tombola das große Los ziehen müsste, um mir die Wohnung mit Schrott voll zu stellen. Tinnef-freie Zonen mag es geben, hat mich als Gesamtkonzept allerdings nie so recht abgeholt, wie man heute zu sagen pflegt. In meinem Männerhaushalt konnten sich schon immer Staubfänger ansammeln, bei denen die Frage, ob das denn noch Punk sei, zu Recht gestellt und negativ beschieden werden durfte. Ich besitze genügend Gegenstände, von denen ich im Nachhinein nicht mehr so überzeugt bin wie ich es zum Zeitpunkt der Anschaffung noch gewesen war. Schon der Umstand, dass Kaufentscheidungen im allgemeinen nicht rational gefällt werden, sorgt für regelmäßigen Nachschub in dieser Hinsicht, so dass ich im Brustton der Überzeugung behaupten kann: Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich über inadäquate Alltagsgegenstände referiere. Doch die Tombolas, die ich in meinem bisherigen Leben gesehen habe, stellen selbst meinen Geschmack in den Schatten.

Allein schon die Souveränität, mit der jedes denkbare Klischee erfüllt wird: Schlüsselanhänger, Kugelschreiber und Kalender – auf welchem Mangelempfinden beruht das Bedürfnis, sich Lose einer Tombola zu kaufen, die zu einem Drittel aus Preisen solcher Güteklasse bestückt ist? Ein weiteres Drittel sind bizarre Gegenstände, deren Nutzlosigkeit selbst die Redaktionen von Homeshopping-Sendern von dem Versuch abhalten würde, diese unters Volk zu bringen. Das letzte Drittel besteht aus Gütern, die immerhin einen Gebrauchswert größer oder gleich desjenigen eines x-beliebigen Gimmicks aus einem Yps-Heft haben. Und wegen genau dieses Drittels kauft man Lose. Mit etwas Glück bekommt man einen Gegenwert, aber die Zweifel, ob man nicht auch ohne diesen Kram ein recht erfülltes Leben führen könnte, werden zu keiner Zeit ausgeräumt. Damit wäre eigentlich schon alles über Tombolas gesagt. Eigentlich ist eine Tombola wie eine Bestellung bei Wish: a) Man weiß nicht, ob man überhaupt etwas bekommt. b) Selbst wenn man etwas bekommt, kann man sich nicht darauf verlassen, dass es auch das ist, was man ursprünglich wollte. c) Im günstigsten Fall bekommt man etwas, das man vorher gewollt hat, trotzdem aber nicht wirklich benötigt.

Halten wir bis hierhin das Prinzip des klassischen Tombolapreises fest: Zu schade, um es sofort wegzuwerfen, andererseits zu unnütz, um irgendetwas damit anzufangen, das über das bloße Hinstellen hinausgeht. Man kann das Risikopotenzial eventuell schon erahnen. Es wurden in der Vergangenheit jedenfalls schon deutlich geringere Grundlagen als Ausgangsbasis für später stattliche Sammlungen benötigt. Mit nur ein bisschen Pech mehr wird aus dem Loskauf für einen guten Zweck eine besessene Jagd nach Waldtieren aus Keramik.

Es sagt zudem bereits einiges, wenn nicht gar alles über den Rest der Veranstaltung aus, wenn die Verlosung dieser Ansammlung von Flohmarktartikeln als Höhepunkt des Abends angekündigt wird.

Wenn ich als Kind bei den Verlosungen des Kegelclubs meiner Eltern mit unserer Ausbeute nicht zufrieden war, hatte ich immerhin noch das Glück, dass meine Mutter sich im weiteren Verlauf des Abends stets ausreichend Verhandlungssicherheit angetrunken hat, um wenigstens einen Teil unserer Preise drei Tische weiter gegen etwas einzutauschen, das geringfügig weniger sinnlos war. Auf diese Weise wurde am späten Abend aus einem Eiskratzer noch eine Biographie von Peter Alexander. Das machte die Angelegenheit nicht besser. Aber mit dem Prinzip, eine Sache irgendwie recht akzeptabel zu finden, weil das komplette restliche Angebot noch beschissener ist, hatte ich immerhin schon als Kind ein wesentliches Element kennenlernen dürfen, das mir später bei Wahlen vom Vereinsvorstand bis zum Bundestag wiederbegegnen sollte.

Inzwischen habe ich selbst einen Sohn in etwa in dem Alter, in dem ich mit acht Jahren gewesen bin. Klar, dass der Kleine von mir schon den ein oder anderen Schwung Lose oder auch einen Dreh am Glücksrad spendiert bekam. Mit den altbekannten Ergebnissen, nur dass am späten Sonntagnachmittag, wenn seine Sachen gepackt werden, die Lotterie in eine zweite Runde geht. Mit der nur mäßig subtilen Manipulation „Das willst Du ja bestimmt bei Dir zuhause Deiner Mama zeigen und dann in Eurer Wohnung auf einen Ehrenplatz stellen“ versuche ich die Entscheidung „zu ihr oder zu mir“ regelmäßig in Richtung etwas größerer Schadenfreude meinerseits zu beeinflussen. Um am Ende feststellen zu müssen, dass die alte Fußballerweisheit „Mal verliert man, mal gewinnen die Anderen“ sich 1:1 auf mein Leben übertragen lässt.

Wenn man die Ereignisse isoliert voneinander betrachtet, könnte man das alles für Pech halten. In der Gesamtschau ergibt sich jedoch das Bild: Hinter so viel Ungemach kann nur ein System stecken. Manchmal natürlich auch Blödheit. Denn dass bei einer Tombola des Kickers-Fanmuseums die Gefahr recht hoch ist, einen leider schwer entflammbaren Gegenstand mit Bezug zu diesem Verein zu erhalten, sollte auch einem in Wahrscheinlichkeitsrechnung unbedarften Menschen sofort einleuchten.

Deutlich mehr Chancen, einen Volltreffer zu landen, hatte ich bei einer Begebenheit, die sich in meiner Jugend abgespielt hat: Es galt, aus den zig Flaschen Wein, die bei uns im Keller lagerten, eine auszuwählen, die fortan diesem ewigen Kreislauf, Jahr für Jahr erneut für die nächste Tombola gestiftet zu werden, gezielt entzogen und einem edleren Ziel zugeführt werden sollte: Dem Test, welche Mengen Alkoholika welche körperlichen Reaktionen bei zwei soeben 16 Jahre alt gewordenen Buben, einer davon ich, hervorrufen. Das Ergebnis war ein Erlebnis: Der hat so nach Essig gestunken, dass er für unsere Zwecke nicht mehr zu gebrauchen war. Zwar wurde er auf diese Weise seiner Funktion als Tombolagewinn maximal gerecht. Das vermochte aber an diesem Abend den Verlust nicht auszugleichen, dass ein ungenießbarer Wein für unser ursprüngliches Ansinnen definitiv nicht zielführend war. Von den etwa 30 Flaschen Wein, die ich zur Auswahl hatte, habe ich zielsicher den mutmaßlich einzigen Wein erwischt, bei dem man schon kotzen muss, bevor man ihn trinkt. Das hat nicht nur mein Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten nachhaltig erschüttert, sondern auch meine Beziehung zu Wein bereits zu einem Zeitpunkt zerstört, bevor ich eine solche Bindung überhaupt aufbauen konnte. Wein, sofern nicht aus Äpfeln hergestellt, war fortan kein Thema mehr.

Ob es nicht schlauer gewesen wäre, schon ab diesem Zeitpunkt die Finger nicht nur von Wein, sondern generell von Tombola-Losen zu lassen – man weiß es nicht.