Manchmal ist man einem Ziel so nahe, dass man den eigenen Beitrag für das Zustandekommen dieser Situation beinahe leugnet und sich hauptsächlich verwundert die Augen reibt und fragt, ob man das letztendliche Erreichen dieses Ziels überhaupt verdient hätte.
Rekapitulieren wir also die Ausgangssituation: Ein Samstag Mitte Mai. Der 34. und somit letzte Spieltag der Fußballbundesligasaison 2018/19. Mein Herzensverein hatte viel zu verlieren, nämlich die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb in der nächsten Spielzeit. Umgekehrt war günstigstenfalls sogar noch ein Startplatz in der Champions League zu erreichen. Allerdings war ein Sieg beim FC Bayern, der seinerseits noch etwas zu verlieren hatte, nämlich nichts weniger als den siebten Meistertitel in Folge, demgemäß etwas mehr als eine bloße Formalität. Anders ausgedrückt: Man sollte lieber ´mal mit nichts rechnen, um hinterher nicht gar zu enttäuscht zu sein. Andererseits: Herzschlagfinale können wir ja bei meinem Verein. Dieser Spieltag versprach also in vielerlei Hinsicht spannend zu werden.
Die Voraussetzungen an diesem Samstagnachmittag als optimal für ein erstes Date zu bezeichnen, würde der Situation also nur bedingt gerecht. Darauf, dass das um 14 Uhr anberaumte Treffen bis zum Anpfiff um 15.30 Uhr möglicherweise schon beendet ist, wollte ich aus nachvollziehbaren Gründen nicht spekulieren.
Meine Verabredung hatte sich für eine Garderobe in einer dem frühlingshaften Wetter entsprechenden Farbkombination Schwarz-schwarz entschieden, ich selbst trat in rotem Hemd an. Weil es mir so gefiel, aber auch weil Rot als Farbe gilt, deren Träger ein hoher Status, Selbstbewusstsein, Dominanz und infolgedessen sexuelle Attraktivität zugeschrieben werden.
Es gibt nun zwei Möglichkeiten: a) Es ging es an diesem frühen Nachmittag nicht um sexuelle Attraktivität. Oder b) Die Farbpsychologie irrt an diesem Punkt. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber ich tendiere inzwischen zur zweitgenannten Lesart. Ich muss jedoch zugestehen, dass man mit der Zuschreibung von Unnahbarkeit zu Schwarz einen nicht zu beanstandenden Treffer gelandet hat. Die Farbpsychologie gleicht aus zum Endstand von 1:1. Im Sportjournalismus würde zu diesem Sachverhalt jetzt die Floskel bemüht, dass dieses Unentschieden keinem wirklich weiterhelfe.
Nachdem also die ersten 45 Minuten gespielt waren, offenbarte sie mir, dass es kein Rückspiel, nicht einmal eine zweite Halbzeit geben würde. Ich erinnerte mich daran, dass viele Frauen schon bei Angelegenheiten weitaus geringeren Ausmaßes keinen Widerspruch dulden und verzichtete aus diesem Grund auf offizielle Proteste. Ich hatte mich damit abzufinden, dass der erste Verlierer dieses Tages bereits feststand, bevor die anderen Begegnungen überhaupt angepfiffen waren.
Manchmal ist das eben noch greifbar nahe Ziel mit einem Schlag so weit entfernt, ohne dass man überhaupt mitbekommen hätte, an welcher Stelle man etwas getan oder unterlassen hat, was das Zustandekommen dieser Situation begünstigt hat. Man reibt sich verwundert die Augen, weil man dieses Scheitern letztendlich auch nicht verdient hat.
Es passe für sie nicht.
Nicht dass mir ein höfliches und dennoch vorwurfsvolles „Es ist, weil Du stinkst“ lieber gewesen wäre. Im Gegenteil würde jeder direkte und konkrete Hinweis auf das Warum das Risiko noch größerer Verletzung bergen, hätte aber zumindest den Vorteil, dass man nur mit ein, maximal zwei Fragen zurückgelassen wird und nicht mit einem ganzen Berg davon: Warum hat sie mir bei der persönlichen Begegnung schon früh meiner Feststellung widersprochen, unsere vorherige schriftliche Unterhaltung sei recht vertraut gewesen? War es der Drei-Tage-Bart, den ich absichtlich stehen lasse, um männlicher zu wirken, der allerdings natürlich auch als ungepflegt angesehen werden könnte, so wie das rote Hemd ja seine beabsichtigte Wirkung ebenfalls schon knapp verfehlt hatte? Man weiß es nicht. Weder bin ich im Trainingsanzug erschienen, was andere Männer bei solchen Gelegenheiten ja schon fertiggebracht haben, noch habe ich sie in Grund und Boden geredet. Was andere Männer und Frauen ja ebenfalls schon fertiggebracht haben, man sich bei mir aber selbst mit viel Phantasie nicht wirklich vorstellen kann.
Anders als beim Fußball jedoch kennzeichnet ein Date, dass es nicht, bloß weil es einen Verlierer gibt, auf der anderen Seite einen Gewinner gäbe. Denn so wie sich meine Verabredung hergerichtet hatte, sehr offensichtlich vorher beim Friseur gewesen war, wird sie ja nicht triumphierend, sondern auch leicht enttäuscht den Heimweg angetreten haben und konnte einem demnach fast schon wieder leid tun.
Ich gestehe: Ziemlich viel Mitleid für einen dominanten, selbstbewussten und männlichen Charakter, den ich an diesem Samstag im Mai darstellen wollte. Auf den Gedanken, das Ergebnis könnte damit zusammenhängen, dass ich eine Rolle spielen wollte, die nicht zu mir passt, und sie das natürlich umgehend entlarvt hat, kam ich erst knapp eine Woche später. Aber es muss ja auch noch etwas geben, das man beim nächsten Mal besser machen kann.
Manchmal braucht man einfach ein bis zwei Tage, um Ziele neu zu justieren. Ein paar Tage, in denen man sich eben auch nicht zwingen sollte, einen Blogeintrag fertigzustellen. Tage, in denen das Zustandekommen dieser Situationen analysiert wie auch in sonstiger Weise verarbeitet werden kann. Um die Augen, welche die letzten zwei Tage nicht aus Verwunderung, sondern aufgrund der Tränen der Enttäuschung gerieben wurden, alsbald wieder nach vorn zu richten.
Ganz im Sinne des bekanntesten lebenden Fußballphilosophs Deutschlands, der fast auf den Tag genau 27 Jahre vorher das Trauma der verpassten Meisterschaft meines Lieblingsvereins sehr pragmatisch in nur drei Worten bewältigt hat: Lebbe geht weider!
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