Manchmal erkenne ich mich selbst nicht wieder. Noch letzte Woche gehörte ich zu denen, die an vorderster Front die Kollegin ob ihres Muskelkaters aufzogen. Vielleicht war ich auch der einzige, der das tat. Manchmal muss man eben polarisieren. Die Frau spielt Fußball. In dieser Eigenschaft wusste sie schon früher hin und wieder von Trainingsmethoden zu berichten, die für Nichteingeweihte mehr nach Folterkammer als nach gesunder Leibesertüchtigung klingen. Da nun bekanntlich wer den Schaden hat für den Spott nicht zu sorgen braucht, habe ich wie meistens in solchen Fällen für klare Verhältnisse gesorgt. Bedeutet: Kein Mitleid. Sie hat das freiwillig gemacht. Noch dazu zahlt sie regelmäßig Geld dafür, sich quälen zu lassen.
Eine Woche später. Ich habe Muskelkater. So weit, so belanglos. Aber dieser Muskelkater ist anders. Nicht entstanden, weil ich ungewohnt hart gearbeitet hätte, nicht weil wieder einmal Billardtische, Grabsteine oder Klaviere durch die Gegend bewegt werden mussten und zu viele potentielle andere Helfer meines oder angrenzender Jahrgänge inzwischen wegen Rückenbeschwerden ausfallen. Sondern weil ich ohne Not und freiwillig mit Übungen begonnen habe. Ein 10-Wochen-Programm, an dessen Ende 10 korrekt ausgeführte Liegestütze stehen sollen. Verspricht der Trainer. Einer von vielen Trainern, die man sich auf YouTube aussuchen kann. Aber dieser scheint seriös.
Nicht nur die Person wirkt integer, auch das Versprechen wirkt realistisch. Ich bin alt genug, zwar auch schon viel gesehen zu haben, andererseits aber einigermaßen einschätzen zu können, was geht und was nicht. „Sixpack in 10 Tagen“ ist dann bei allem Respekt wohl eher Dichtung als Wahrheit. In der gleichen Kategorie landen Knaller der Marke „Penisverlängerung um bis zu 40% ohne OP“ . Das ist kein zum Handwerk gehörendes Klappern mehr, das sind Glücksversprechen, die selbst die Botschaften von Teleshopping-Sendern sowie allerlei Sekten und allgemein Religionen in den Schatten stellen.
„Wie man garantiert jede Frau herumkriegt“ – was geht in jemandem vor, der glaubt, der Schlüssel zu einem erfüllten Sexualleben wäre nur diesen einen Mausklick entfernt? Aber dümmer geht immer, denn beim Thema Geld laufen unsere Spezialisten zu erneuter Höchstform auf: „97 € in 5 Minuten! ONLINE GELD VERDIENEN“
Wer einigermaßen bei Trost ist und sich die Frage stellt, für wie bekloppt die Urheber solcher Phrasen die Leute eigentlich halten, wird in den Kommentaren zu den entsprechenden Beiträgen fündig. Das Publikum, zumindest jedenfalls das dort sich verewigende, ist nämlich bei weitem nicht so medienkompetent, wie man sich das als halbwegs aufgeklärter Mensch vielleicht wünscht. Wie auch an etlichen anderen Orten im Netz inzwischen üblich, sind Gehalt, Stil und Orthographie der geäußerten Meinung unterirdisch. Starker Tobak für jemand, der eigentlich nur kurz nach Fitnessübungen ohne Geräte suchte.
„Wir haben genug Zeit, wenn wir sie nur richtig verwenden“
Als zweite Voraussetzung neben der Seriosität sollte das Trainingsprogramm hauptsächlich nicht zu einem Vollzeitjob mutieren, um in der versprochenen Zeit das versprochene Ergebnis zu zeigen. Daß ich dafür wieder einmal eine andere, eine schöne, eine vielleicht wichtige Aufgabe aus meinem Programm streichen muss, ist ohnehin klar.
Warum also bitteschön, wenn ich doch sowieso schon keine Zeit habe, mache ich jetzt dieses Fass auch noch auf? Objektiv betrachtet fällt es schwer, das glaubwürdig nicht in Zusammenhang mit Brautwerben zu bringen. Doch wie sich zeigen wird, habe ich für eine Beziehung ohnehin keine Zeit. Ab 40 sei jeder für sein Aussehen selbst verantwortlich, heißt es. Andere sagen das selbe nur übers Gesicht. Im Grunde ist es wohl egal, ob dieses oder jenes. Noch nebensächlicher ist, ab wann genau im Leben jedes Einzelnen dieser Sachverhalt zutrifft. Jedoch ist sicher, daß es diesen einen Zeitpunkt gibt, ab dem es sich auswirkt, wenn man sich nicht weiter um sich und sein Äußeres kümmert. Und exakt diesen Moment habe ich vor Jahren verpasst. Und jetzt wird wieder aufgeholt!
Daß ich deswegen irgendwann vor dem Spiegel posiere und mich supergeil finde, glaube ich ehrlich gesagt nicht. Zumindest nicht geiler als ich sowieso bin.
Ich gebe zu, daß ich beim Thema Fitness-Studio gewisse Vorurteile pflege. (Das Wort „Gym“ wird von mir einzig und nur einmalig dazu gebraucht, um meine Verachtung gegenüber diesem Begriff zu dokumentieren.) Diese meine Sicht der Dinge wird nicht durch besagte Kollegin noch durch etliche andere Kollegen und Bekannten geprägt, die solche Einrichtungen natürlich gern und immer wieder besuchen dürfen und sollen. Andererseits ziehen diese Etablissements regelmäßig solche Typen an, die den ganzen Tag mit einem Blick durch die Gegend laufen, als wären sie auf der Suche nach jemandem, um Blutrache zu nehmen. Was meinen Eindruck bestärkt, daß es sich bei Fitness um eine relativ spaßbefreite Angelegenheit handelt.
Darum werde ich es mir auch weiterhin nicht nehmen lassen, diejenigen mit feinem Spott zu überziehen, welche, ihre Sporttasche demonstrativ auf der Rückbank liegend, beim anschließenden Einkauf mit ihrer Karre am liebsten in den Discounter hineinfahren würden, um sich bloß keinen Meter zu viel bewegen zu müssen. Nehmt´s mir nicht übel, aber bei so etwas verwandle ich mich in einen echten Spießer und möchte darauf hinweisen, daß das da zwei Meter vom Eingang kein ordentlicher Parkplatz ist.
Das ist ein bißchen so wie mit der korrekten Mülltrennung. Nicht daß ich den Untergang einer wie auch immer gearteten abendländischen Kultur bereits um die Ecke kommen sehe, wenn diese nicht ordentlich gehandhabt wird. Aber ich frage mich schon, was daran so schwer sein kann, das voneinander zu unterscheiden. Wenn es ein Scherz sein soll, war er einmal gut und bereits bei der ersten Wiederholung nervig. Und um darin eine Art Protest gegen irgendetwas zu erkennen, fehlt mir sowohl Phantasie als auch Glaube.
Kehren wir zum wesentlichen zurück, nämlich zu mir, sprach der Meister der Überleitung.
Nicht völlig unerwartbar, daß mein neu erwachtes Engagement irgendwann wieder einschläft. Immerhin habe ich weitaus bedeutendere angefangene Dinge aus Mangel an Zeit wieder zurückgestellt, die seitdem auf bessere Zeiten warten. Was ja nichts anderes heißt als: Zeiten mit mehr freier Zeit. Oder nie.
Insofern gehört zu den guten Seiten des Alleinlebens eindeutig, daß niemand außer mir selbst mich daran misst, was und wieviel meiner angekündigten Pläne mit einer gewissen Nachhaltigkeit in die Tat umgesetzt werden. Und welche meiner Bemühungen demgegenüber eher ausgehen wie das Hornberger Schießen. Weitererzählen, welch toller Hecht ich doch bin, kann ich immer noch, wenn absehbar ist, daß meine Motivation den Moment des ersten Rückschlages überdauert.
Daß ich das gleichzeitig in diesem Blog vor einem theoretischen Millionenpublikum breittrete, steht auf einem anderen Blatt und zählt daher wenn überhaupt als künstlerische Freiheit.
Das nun folgende ist nichts, worauf ich besonders stolz sein könnte:
Gedächtnistraining, Speed Reading, Lachyoga, Gitarrespiel, Autogenes Training, Stimmtraining – was hatte ich in den letzten beiden Jahren nicht alles für Einfälle, um einen besseren Menschen aus mir zu machen. Alles ist gut, alles ist irgendwie gestartet und über das Stadium des Ausprobierens auch ganz klar hinausgekommen. Aber dann ist es in Summe einfach zu viel auf einmal.
Oder aus praktischen Erwägungen so nicht durchführbar. Wie geschehen beim Autogenen Training. Ich formuliere es ´mal so: Die Übungen werden durch die Anwesenheit von kontaktbedürftigen Haustieren nicht unbedingt begünstigt. Die haben eine Antenne dafür, wann ich so richtig bei mir bin, und platzieren sich gerade dann auf Bauch oder Schulter, wenn ich am entspanntesten liege oder sitze. Alternativ bellen sie den Flur zusammen, weil im Treppenhaus jemand etwas lauter als gesellschaftlich anerkannt flatulierte.
Griechisch nimmt eine Sonderstellung ein. Das musste ich ja anfangen zu lernen, um meine hübsche Nachbarin zu beeindrucken und mache das deshalb bis heute beinahe täglich. Aber weiter komme ich da auch nicht. Mit der Sprache nicht. Mit der Nachbarin gleich gar nicht. So verkehrt kann die Prognose nach 18 Monaten Bemühungen nicht sein.
Es bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung, daß das Schreiben für dieses Baby hier mir wieder regelmäßig Zeit von der Uhr nimmt. In einem Umfang, den ich einerseits gern ´mal messen würde, andererseits auch lieber nicht wissen möchte. Aber da kommen wenigstens Ergebnisse.
Meine Löffelliste
Auf der Liste der Dinge, die ich getan haben will, bis meine Uhr abgelaufen ist, stehen überwiegend Einträge, was ich können möchte. Das ist ein gewisser Nachteil gegenüber denen, die darauf lediglich stehen haben, was sie einmal getan haben wollen, bis der Löffel abgegeben wird. Eine Kreuzfahrt kann nach 10 Tagen abgehakt sein, eine Ballonfahrt nach einem. Karate lernen dagegen zieht sich über Jahre. Und ich habe noch nicht einmal damit angefangen.
Natürlich befinden sich in meiner Aufstellung Vermerke, die vergleichsweise einfach umzusetzen sind: Einradfahren, Moonwalk lernen, Duckwalk lernen, Stadion an der Anfield Road besuchen.
Und dann ist da aber dieses große, mächtige Vorhaben: einmal vor Publikum die Leute unterhalten. Ein Publikum, das nicht nur aus Freunden und Bekannten besteht.
Dazu brauche ich natürlich einen gewissen Ausstoß an guten Texten. Inklusive des Zugeständnisses an mich selbst, daß es nicht immer nur Preisverdächtiges sein kann, sondern auch ´mal einer darunter ist, den ich nur mittelmäßig finde. Vielleicht findet genau diesen ein anderer Leser ja hervorragend.
Dazu brauche ich ferner eine wohlklingende Stimme. Zuletzt muss ich natürlich auch eine gute Figur abgeben. Alle drei Voraussetzungen keineswegs Aufgaben, die von heute auf morgen erledigt wären.
Die Prioritäten sind also gesetzt. Zu welchen Vorhaben die Zeit darüberhinaus noch reicht, wird sich zeigen.
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