Wenn ältere Herrschaften in – sagen wir – meinem Alter bekunden, dass man nochmal 20 sein müsste, sollten sämtliche Alarmglocken schrillen. Auch wenn nicht zwangsläufig Altherrenphantasien dahinter stecken und die individuellen Motivlagen für diesen Wunsch höchst unterschiedlich und durchaus rechtschaffen sein können – konsequent zu Ende gedacht wird er in aller Regel nicht. Denn wenn ich mal in die Verlegenheit gerate, den Gesprächen von Menschen um die 20 zuhören zu müssen, stellt sich mir meistens zwangsläufig die Frage, was genau daran jetzt bitte so erstrebenswert sein soll. Wirklich spannend klingt das in den seltensten Fällen.
Leben und leben lassen, die Kinder sind in Ordnung. Meine Gespräche in jenem Alter haben sich kaum anders angehört. Erst in der schonungslosen Rückschau offenbart sich, dass der Alltag als junger Erwachsener ohne permanente Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz wahrscheinlich oft nur schwer zu ertragen gewesen wäre.
Und trotz dieser Befunde gibt es eine Sache, die mir wirklich fehlt, wenn ich ehrlich bin. Eine Sache, von der ich mich sogar zu der Bemerkung hinreißen lassen würde, dass sie das einzige war, das früher tatsächlich besser war: Die Unbekümmertheit. Die kindliche, später die jugendliche.
Niemand erwartete von uns, mit beiden Beinen im Leben zu stehen; genauso wenig erwarteten wir das von irgendjemand anderem. Wir waren albern, ohne uns erst die Frage zu stellen, ob es gerade angebracht ist. Außer dass wir unsere Hausaufgaben zu erledigen hatten oder später für die Uni zu lernen, kannten die meisten von uns nur wenige echte Verpflichtungen. Im Hier und Jetzt zu leben musste noch nicht erst in Achtsamkeits-Seminaren aufwändig neu erlernt werden, weil dieses Können irgendwann abhanden gekommen ist.
Verantwortung war ein Gesprächsthema. Ansonsten ein Angebot, das man punktuell freiwillig übernommen hat, aber noch nicht dieser Cocktail aus Erwerbstätigkeit, Familie und Altersvorsorge, an dem man sein ganzes Laben lang nippt, obwohl er längst abgestanden schmeckt.
Wir redeten über Träume, Ziele und Visionen. Wenn uns jemand deswegen für plemplem erklärte, wussten wir, dass nicht wir, sondern er derjenige ist, der keine Ahnung hat. Obwohl wir spätestens als junge Erwachsene genauestens über den Zustand unserer Gesellschaft Bescheid wussten, fiel unser Blick in die Zukunft überwiegend positiv aus. Hätte man uns gesagt, welch traurige Erscheinungen später aus uns werden, hätten wir vehement bestritten, dass es so kommen wird.
Wir waren jung und brauchten wenig Geld. Die geilsten Abende waren doch die, bei denen man sich mit Getränken vom Kiosk versorgte und mit den drei bis vier besten der besten Freunde im Park oder am Fluss bis zum Morgengrauen verbrachte. Ohne irgendetwas darstellen und ohne irgendwen beeindrucken zu müssen.
Vor allem hatte die Sorglosigkeit sehr viel mit der Zeit zu tun, die wir damals noch hatten. Selbst wer ein Ziel vor Augen hatte, konnte sich diesem genauso gut nach einem halben Jahr Auszeit widmen. Zeitreserven ermöglichten Versuch und Irrtum; stellten wir fest, auf dem verkehrten Weg gelandet zu sein, war das keine große Angelegenheit.
Das sind die Punkte, an denen sich die Faszination der Jugend festmacht. Nicht Eure aufgesetzte Coolness, Eure körperliche Fitness oder Euer unverbrauchtes Aussehen. Nicht Eure Partys und schon gar nicht Euer permanentes So-tun-als-wäre-man-dabeigewesen!
Zugegeben: Als Jugendlicher habe ich diese frustrierten alten Säcke, die mir die Welt erklären wollten, gehasst. Wenn ich mich heute selbst wie einer von denen anhöre, wird das zum Teil daran liegen, dass die Welt aus mir im Laufe der Jahre vor allem eines gemacht hat: einen frustrierten alten Sack. Keine Pointe. Eine Erklärung, keine Entschuldigung. Wenn sogar der damals noch nicht einmal vier Jahre alte Sohn schon riet „Entspann´ Dich ´mal“, kann man sicher sein, dass er zwar die Formulierung irgendwo aufgeschnappt hat, meine defizitäre Grundlockerheit damit trotzdem gnadenlos offengelegt hat. Kleine Kinder und Betrunkene sagen eben immer die Wahrheit. Doch nicht allein zur Wahrheitsfindung ist Alkohol ein probates Mittel. Richtig angewandt vermag er zur Entspannung verhelfen wie kaum ein zweites Instrument. Dumm gelaufen für jemand, der seit einigen Jahren schon auf dieses bewährte Hausmittel verzichtet. Aber man kann eben nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
Bei Licht betrachtet können die Jüngeren mit den Alltagssorgen und -nöten der Älteren genauso wenig anfangen wie umgekehrt. Insofern: Leben und leben lassen. Wenn es nur einigermaßen normal läuft, kommen die Heranwachsenden von heute früh genug an den Punkt, an dem sie sich fragen, ob es das schon war oder noch was kommt. An dem sie versuchen zu rekonstruieren, wann sie eigentlich begannen, so zu werden. An dem sie schließlich und endlich den Wunsch entwickeln, nochmal jung zu sein.
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