Ich nehme ein Glas. Ein gebrauchtes Einmachglas mit Gummiring und Bügelverschluss um genau zu sein. Das erst eben genauer definierte Behältnis, in das die gesammelten Wochenwerke meiner Glücksmomente hineinsollen, bleibt allerdings leer. Das neue Jahr wird um eine Woche verschoben. Das war so nicht unbedingt der Plan. Welcher so einfach klingt: jede Woche einen besonderen Moment auf einen Zettel notieren und ab damit in ein Behältnis nach Wahl. Und am Ende des Jahres alle Zettel durchlesen und freuen, welch famoses Jahr hinter einem liegt. Im Mutterland des Wehklagens sollte das zur Pflichtaufgabe werden.
Die Suche nach dem persönlichen Glück scheint universell, sobald das Dasein nicht mehr allein davon geprägt ist, das Überleben zu sichern. Wohlwissend, daß ich 30 unterschiedliche Antworten bekomme, wenn ich 25 Menschen danach frage, worin dieses Glück eigentlich bestehe, stehe ich in diesem einen Punkt und nur ausnahmsweise gern einmal mit der Mehrheitsgesellschaft in Einklang: Glücklich zu sein ist sexy.
Allerdings hören hier die Gemeinsamkeiten vermutlich auch schon wieder auf. Ein Beispiel reicht aus, um den mühevoll hergestellten Konsens wieder zu zerstören: Selbst wenn ich monetär entsprechend aufgestellt wäre – bevor ich eine Dreizimmerwohnung mit einem zweiten Fernsehgerät ausstatte, das einen vierstelligen Betrag kostet, würde ich ein gefülltes Bücherregal allemal bevorzugen. Ob das jetzt nämlich auch noch mehrheitsfähig ist, weiß ich nicht, mutmaße jedoch, die Antwort wird mir nicht gefallen.
Ich konnte nicht erwarten, daß es sich so schwierig gestaltet, einen gescheiten Moment pro Woche zu finden. 52 kleine Höhepunkte in einem Jahr sollten doch drin sein. Aber immerhin habe ich seit kurzem ein adäquates Behältnis für das Festhalten dieser Augenblicke.
Jetzt sitze ich hier mit meinem gebrauchten Einmachglas und starre darauf, als ob es mir meine Überlegungen auch nur ein kleines Stück weit erleichtern könnte. Der Gürtel kann ein Loch enger geschnallt werden. Aber auch wenn dieser Zustand den Moment überdauert hat, war das erste Mal, das ich ihn erreichte letzte Woche, letztes Jahr am 30. 12. Bescheißen gilt nicht.
Einen einzigen Glücksmoment. Einen, der nicht selbstverständlich ist. Oder sind es die Selbstverständlichkeiten, die wir zu selten, zu wenig zu schätzen wissen, die Glück ausmachen?
Grundsätzlich ja: an einem relativ frei selbst bestimmten Wohnort in ein warmes Bett gehen im Wissen, daß auch am nächsten Tag ausreichend Nahrung vorhanden sein wird, und ansatzweise gesund wieder aufstehen. Aber so essentiell all diese Punkte sind, daß ich sie jede Woche, jeden Tag aufschreiben und in das heute als für diesen Zweck auserkorene Behältnis werfen könnte – ich möchte nicht unbedingt damit starten. Wenn ich in einem knappen Jahr die einzelnen Beiträge aus dem Glas fische und auf diese Weise das Jahr Revue passieren lasse, ist mir das aus heutiger Sicht nicht Höhepunkt genug. Und falls das alles Ende des Jahres nicht mehr selbstverständlich sein sollte, werde ich mehrere Tausend andere Angelegenheiten eher erledigen als Zettel aus einem gebrauchten Einmachglas zu lesen.
Wo ist der Deinhard?
Welches Ereignis also ist bedeutend, welches selbstverständlich? Nehmen wir die Arbeit: Wenn eine Aushilfe fehlerfrei eine Warenlieferung auf die richtigen Plätze räumt, ist das dann eine Selbstverständlichkeit oder ein Glücksmoment?
Wenn´s mein Kind wäre, wäre es eine Sensation, gar kein Zweifel! Aber nicht bei einem jungen erwachsenen Menschen mit allgemeiner Hochschulreife, der in wenigen Jahren als Gehalt ein Vielfaches dessen zu erhalten plant als ich gegenwärtig bekomme. Da liegt die Messlatte höher, da erwarte ich mehr, das darf nicht ausreichen. Jetzt, da ich mich endlich für ein sensationell schönes Behältnis für meine Erinnerungen entschieden habe, will ich das Projekt nicht durch so etwas entwerten, bevor es richtig begonnen hat.
Es gibt Tage, da bin ich äußerst glücklich, wenn der Hund seinen Haufen gemacht hat. Aber sind das Dinge, die ich Ende des Jahres lesen möchte? Seien wir ehrlich: Am Silvesterabend Zettel durchlesen, die in einem gebrauchten Einmachglas gesammelt wurden, ist schon beschämend genug. Dann muß da wenigstens content her, der Eindruck macht. Glanzleistungen, Rekorde, Sensationen statt solcher Verzweiflungstaten.
Etwas gekauft, das mich diese Woche zu einem glücklicheren Menschen gemacht hätte, habe ich die letzten Tage auch nicht. Aber da ich ja immerhin jetzt ein Behältnis habe, könnte ich auf meinen ersten Papierfetzen schreiben: „sehr schönes Glas für mein Best Of des Jahres gefunden“.
Ich werde langsam ungehalten.
Warum fange ich nicht gleich noch kleiner an, indem ich auf meinem ersten Blatt für die Glücksbox vermerke: „vorgenommen, die Idee mit den Glücksmomenten dieses Jahr endlich einmal umzusetzen“. Wie liest sich das Ende 2017?
Zu meinem Glück gibt es ja Suchmaschinen. Auf der Suche nach Glück landet man dort spätestens auf der dritten Seite beim Thema Zweierbeziehung. Na, das hat mir zu meinem Glück jetzt gerade noch gefehlt! Ich nahm an, dies leidige Thema wenigstens einmal irgendwie umschiffen zu können, aber da sind wir wieder. Täglich grüßt das Murmeltier. Meine Stimmung schickt sich an, in einen Unterbietungswettbewerb mit den Temperaturen dieser Woche zu treten.
Beim Fotovoting der kostenlosen Singlebörse, in der ich seit einem halben Jahr erfolglos Mitglied bin, stehe ich aktuell mit 5,0 da. Das höchste wäre 10. Mehr Durchschnitt geht also nicht. Weniger übrigens auch nicht, fällt mir gerade auf. Micky Mustermann. Zwar ist dies ganze Bewertungs-Prozedere an Oberflächlichkeit nur schwierig zu überbieten, aber für jemand, dessen vorheriges Foto Werte unter 3 erzielt hatte, ein gewisser Fortschritt. Und wenn mein Marktwert steigt, steigt mein Selbstwert, wodurch meine Stimmung steigt. Für ein Foto lediglich von mir ohne meinen Hund ist das mehr als in Ordnung. Da ist mein Glücksmoment! Mit zittrigen Händen fingere ich kleines Blatt Papier aus der Schublade und kritzele so schnell es geht und bevor dieser Moment wieder vergeht etwas von „sexiest man alive“ darauf. ´Rein damit in die Box! Wusste ich doch, daß es mir ein leichtes sein wird, das Altglas mit Inhalt zu füllen. Wenn einem also gutes widerfährt, dann ist das einen Asbach Uralt wert. Wo ist der Deinhard? Darauf einen Dujardin! Was genau will der Kater jetzt an meinem Glas? Besen, Schippe, alles auf Anfang. Wenn das so weitergeht, weiß ich auch nicht mehr.
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