Wenn in der Wohnung Würgegeräusche des Katers zu hören sind, ist zügiges Handeln gefragt. Es gilt zu vermeiden, dass der Hund mir zuvorkommt und an Ort und Stelle ist und, ausgehungert wie er nun einmal ist, das aufgewärmte Katzenfutter verschlingt, bevor ich auch nur die Chance habe, das Zeug wegzuwischen.
Wenn eine umgehende Reaktion auf diese charakteristischen Geräusche theoretisch möglich, aber strategisch ungünstig ist, weil man gerade in der Küche durch Ausbau der Spülmaschine eine mittlere Überschwemmung verursachte, hat man ein mittleres Problem. Wenn man exakt jetzt feststellt, dass man beide Hände an mehreren Stellen blutig hat, weil besagte Spülmaschine teils sehr scharfe Kanten hat, ist aus einem mittleren Problem ein großes geworden.
In solchen Situationen hilft kein Glaube an die eigene Multitasking-Fähigkeit, sondern nur eine schnelle Entscheidung, welche dieser drei misslichen Lagen am dringlichsten zu beseitigen ist. Und dass die Entscheidung, sich als erstes um das Erbrochene des Katers zu kümmern, sich hinterher als falsch erweist, hätte sowieso vorher klar sein müssen. Nicht dass der Hund eine vom Kater lecker zubereitete Mahlzeit dieses Mal nicht zu schätzen gewusst hätte – er hatte schlicht und ergreifend nicht mitbekommen, dass diese im Flur für ihn bereit liegt.
Ich war kurz davor, mir Betäubungsmittel zu besorgen, um die Situation besser in den Griff zu bekommen, erinnerte mich jedoch gerade noch rechtzeitig daran, dass Wochenende war und solche Probleme in Anbetracht des vollendeten Chaos´ auf der Arbeit im Prinzip lächerlich gering waren.
Auf der Arbeit ist man ja meistens zwischen allen Stühlen: Auf der einen Seite Bosse und Vorgesetzte als dem Personenkreis zugehörend, die an des Menschen Multitasking-Fähigkeit glauben. Dass es ein Mythos ist, hat man den meisten von ihnen nicht gesagt. Vielleicht wollten sie es aber auch nicht hören, als man es ihnen sagte. Auf der anderen Seite: Kollegen und Aushilfen, viel zu oft davon ausgehend, es werde schon nichts passieren, wenn man den neuesten Klatsch und Tratsch austauscht, während man sich an und für sich mit vollster Konzentration seiner aktuellen Aufgabe widmen soll.
Eine Studie aus dem Jahr 2011 stellte fest, dass lediglich 2,5 % der Probanden in der Lage waren, mehrere Aufgaben gleichzeitig mindestens gleich schnell und bei bleibender Fehlerquote zu bewältigen. Das ist jeder Vierzigste. Wir sind im Betrieb weniger als 40 Leute. Damit ist auch geklärt, dass sich rein statistisch unter meinen Kollegen keins dieser Genies befindet. Das allein freilich ist keinem einzigen der Beteiligten zum Vorwurf zu machen. Vorzuwerfen ist ihnen allerdings ihr schwer vom Gegenteil zu überzeugende Glaube daran, sie könnten es doch.
Bis zum Beweis des Gegenteils bleibe ich deswegen dabei: Wenn jemand stolz darüber berichtet, dass er auf der Arbeit mehrere Dinge gleichzeitig erledigt, sind entweder die einzelnen Tasks nicht besonders anspruchsvoll oder der Multitasker befindet sich in der beneidenswerten Situation, dass Zeit keine allzu große Rolle spielt.
Selbst ein PC verliert Zeit, wenn er ständig zwischen einzelnen Tasks hin und her wechselt. Solange ein PC nämlich mit nur einem Prozessor ausgestattet war, bedeutete Multitasking nämlich mitnichten, dass die einzelnen Jobs parallel ausgeführt wurden. Im Gegensatz zum Mensch bildet sich ein Rechner nicht ein, dass das gut funktionieren würde und bearbeitet die Anwendungen schön abwechselnd. Das, immerhin, in einer Geschwindigkeit, welche die Illusion erzeugt, alles würde gleichzeitig ablaufen.
…packen wir´s an!
Wenn ich über PCs schreibe, meine ich übrigens ausdrücklich nicht dieses Relikt aus der Frühphase des Informationszeitalters, das ich als Arbeitswerkzeug zur Verfügung habe. Wenn ich mich an den Schreibtisch setze, ist das üblicherweise ein Moment zum Durchschnaufen. Auch ein Schwätzchen erlaube ich mir gern in den Minuten, in denen ich warte, bis eine bestimmte Anwendung geöffnet ist oder ich die nächste Aktion ausführen kann. „Wenn Dein Pferd tot ist, steig´ ab“, pflegt man zu sagen, wenn an Dingen festgehalten wird, die ihre besten Zeiten längst hinter sich gelassen haben. Die Leistung dieses Geräts ist eine Beleidigung für jeden echten PC. Doch letzten Endes kann man sich dieses Unvermögen genauso schönreden wie die Apologeten der menschlichen Multitasking-Fähigkeit die Ergebnisse ihres Handelns.
Es muss auch nicht zwangsläufig der Arbeitsalltag strapaziert werden, um die Tauglichkeit dieses Konzepts zu widerlegen. Allerorten sieht man Menschen an ihrer illusionierten Multitasking-Fähigkeit scheitern. Wer einmal während des Autofahrens telefoniert hat oder wenigstens jemand Anderen dabei beobachtet hat, ahnt, was ich damit meine. Wobei der Teufel auch hier natürlich im Detail steckt: Nicht immer ist der dürre Informationsgehalt mancher Telefongespräche darauf zurückzuführen, dass es sich angesichts des gleichzeitigen Führens eines Kraftfahrzeugs als schwierig gestaltet, das Gespräch etwas tiefgründiger zu führen. Eher liegt die Vermutung nahe, dass meistens auch ohne diese Mehrfachbelastung nur Müll geredet wird.
Multitasking ist auch nicht gleich Multitasking. Für eine vernünftige Antwort auf die Frage nach der Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig verkehrt zu machen, muss unbedingt die Qualität der einzelnen Jobs beachtet werden. Sprechen oder Essen während des Laufens ist unproblematisch. Lesen oder Essen während des Stuhlgangs, wie auch immer man dazu stehen mag, ist es auch. Ohnehin ist das Denken an Schokolade, Sex oder meinetwegen auch die Bundesliga-Tabelle eine Sache, die im Hintergrund wahrscheinlich tatsächlich ständig parallel zu anderen Tätigkeiten ausgeführt wird. Doch je komplexer die einzelnen Handlungen sind, umso problematischer wird es. Und zwar nicht nur, wie gezeigt, im Hinblick auf die Qualität des Ergebnisses oder auf die aufgewendete Zeit. So ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass die Vorstellung des Multitasking etwa zur gleichen Zeit in den allgemeinen Alltagsgebrauch eindrang wie das Phänomen des Burnout. Das parallele Bewältigen-Wollen mehrerer Tätigkeiten ist ein Zeugnis der heutigen Schnell-Schnell-Mentalität. Wenn Fachleute zu dem Schluss kommen, dass Multitasking keinen zivilisatorischen Fortschritt darstellt, könnte man einen solchen Einwand zur Abwechslung auch einmal ernst nehmen.
Stattdessen wird der Effizienzgedanke der Arbeitswelt in die Privatsphäre herübergeholt, tagsüber immer schön weiter alles auf einmal gemacht, und nach Feierabend gönnt man sich dann eine Meditation, um das Fokussieren auf eine einzelne Sache nicht völlig zu verlernen.
Wer der Ansicht ist, dieser Text hätte ein positiveres Ende verdient, nimmt dieses hier: Schön, wenn sich am Ende eines Beitrages folgende Erkenntnis durchsetzt: Die Kotzerei im Flur sowie die Jahrhundertflut und das Blutbad in der Küche – das alles ist nicht schön anzusehen. Gemessen an dem in den vorherigen Absätzen beschriebenen Gesamtzustand unserer Gesellschaft allerdings ohne Zweifel das kleinere Problem.
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