Man weiß nie, was einen erwartet. Klar – jeder weiß, wo im Ort die besten Fritten serviert werden. Auch dass das nächste Spiel immer das schwerste Spiel ist, gehört zu den inzwischen nicht mehr umstrittenen Gewissheiten. Von diesen und wenigen anderen Beispielen abgesehen, gibt es also nur sehr wenige Anlässe, bei denen man vorher sehr genau sagen können wird: „Das wird mit Sicherheit eine großartige Sause!“ Nehmen wir als Beispiel das eigene Ableben. Wenn man daran glaubt, dass danach noch etwas Gescheites kommt, wird man eher geneigt sein, die Erwartungen an das Leben vor dem Tod etwas herunterzuschrauben. Wenn man nicht daran glaubt, dass den Sterbenden hinterher noch etwas Relevantes erwartet, wird man zwar am Ende womöglich nicht so sehr enttäuscht. Gleichzeitig steigt allerdings der Druck, die Zeit davor so sinnvoll wie möglich zu nutzen. Die Gesellschaft, in die wir hineingeboren wurden, schlägt als Antwort auf dieses Problem üblicherweise Konsum vor.
Es mag sein, dass das alles für das Thema des Textes nicht von Belang ist, aber – richtig: Man weiß nie, was einen erwartet. Und nirgendwo ist die Kluft zwischen Realität und Erwartungen so gewaltig wie beim Thema Urlaub. (Der eine oder die andere hat eventuell schon geahnt, wohin die Reise diesmal thematisch gehen wird,)
Fast schon traditionell verbringe ich meinen Urlaub dort, wo andere wohnen. Also in einer durchaus liebenswerten Stadt, in der nicht nur Menschen aus über 150 Nationen, sondern auch ich selbst wohne. Bei einem Urlaub daheim ist zwar auch oft nicht ganz klar, was einen erwartet. Immerhin aber wird einem seltener etwas versprochen, was nicht gehalten werden kann. Man kennt sich aus. Es ist jedes Mal beinahe so, als ob man nach Hause kommt.
Wirklich repräsentativ im Sinne von „Ich bin, was ich zeige“ ist dieses Urlaubsziel selbstredend nicht. Kein Freund, keine Kollegin wird nach der Rückkehr erwartungsvoll auffordern: „Jetzt erzähl´ ´mal..!“ Wenn ich wollte, könnte ich den Urlaub zuhause als Ausdruck eines sehr konsequenten minimalistischen Lebensstils verkaufen. Das passt zwar nur in Ansätzen damit zusammen, dass ich bis jetzt jeden Tag dieses Urlaubes in Second-Hand-Läden auf der Suche nach vorzeigbaren Klamotten war, aber wird Glaubwürdigkeit in diesem Land nicht ohnehin noch extrem überbewertet?!
Dabei wäre Minimalismus ein durchaus passables Werkzeug, nicht nur den Haushalt, sondern das komplette Leben etwas übersichtlicher zu gestalten. Wenn das dann dazu führen würde, komplexere Sachverhalte auch jenseits des eigenen Mikrokosmos besser zu verstehen, wäre diese Lebensweise eine perfekte Empfehlung für die nervigen entrüsteten dauernörgelnden Besserwisser allüberall: Häuft weniger Müll an, dann kommt automatisch weniger Müll aus Euch heraus, wenn Ihr Eure Klappe aufmacht. Entrümpelt Euer Leben, dann habt Ihr auch mehr Zeit, Eure Meinung zu gesellschaftspolitischen Zusammenhängen nicht lediglich anhand von zwei bis drei Internet-Memes bilden zu müssen.
Nun ist das Aufregen über solche Menschen natürlich auch kein Konzept für einen nachhaltig erholsamen Urlaub. Also beschäftigt man sich mit Dingen, die im Alltag allzu häufig untergehen. Wenn dann noch die unangenehmen Aufgaben wie Behördengänge ausgeklammert werden, weil man ja schließlich nie weiß, was einen dort erwartet, bleiben neben Shopping aktuell das Üben auf der Gitarre sowie Gedächtnistraining übrig.
Auf der Gitarre scheine ich wirklich gute Fortschritte zu machen. Zumindest kann ich mir das anhand der Reaktionen meiner Haustiere einreden: Zwar siegt beim Kater der Fluchtinstinkt über die Neugier. Der Hund dagegen bleibt treu an meiner Seite liegen. Man muss dazu natürlich wissen, dass der Hund 15 Jahre alt und fast taub ist, das relativiert manches. Der hat in dem Moment wahrscheinlich einfach nur die Stille genossen. So ungefähr müssen sich alternde Bühnenkünstler fühlen, die irgendwann merken: Wenn als Publikum nur noch diejenigen bleiben, die entweder schon gar nichts mehr mitbekommen oder einfach nicht ohne fremde Hilfe flüchten können, ist die Chance, den Absprung rechtzeitig zu schaffen, wohl vorbei. Vielleicht kommen daher ab einem bestimmten Stadium des künstlerischen Schaffens Auftritte im Seniorenheim insgeheim gar nicht mehr so ungelegen: Wenn ein Großteil der Gäste nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte ist, wäre es fast schon eine Kunst für sich, einen Saal wirklich leer zu spielen.
Echte Erfolgserlebnisse dagegen machen wir beim Gedächtnistraining. Allerdings gewinnt man hin und wieder den Eindruck, dass diese Disziplin hauptsächlich Antworten auf Fragen gibt, die niemand gestellt hat. Dass wir den Namen des Künstlers Israel Kamakawiwo´ole oder die Zahlenreihe
35 17 26 47 52 60 63 29 48 33 fehlerfrei aufsagen können, wird uns – selbst wenn man nie weiß, was einen erwartet – für den Rest des Lebens sehr wahrscheinlich nur einen geringen Vorteil verschaffen.
Ungeklärt ist auch, welchen Nutzen ich davon habe, mir die Telefonnummer eines Bekannten ein Leben lang merken zu können, wenn ich diesen Bekannten schon zehn Jahre nicht mehr leiden mag und ich seine Nummer am liebsten einfach vergessen würde, dies aber nicht kann.
Das nächste Versprechen, das unser Gedächtnistrainer gibt: Nie wieder beim Einkaufen etwas vergessen. Was soll das denn jetzt?! Wenn meine Freundin und ich einkaufen gehen, kommen wir doch sowieso schon immer mit mehr Sachen ´raus als ursprünglich geplant. Für das Einkaufen bräuchten wir demnach eigentlich ein Vergessens-Training.
Kommen wir zum ursprünglich geplanten Thema. Ich gebe zu: Dass gegen Ende des Textes das Geständnis kommt, dass man eigentlich ein ganz anderes Thema habe behandeln wollen, ist vor dem Hintergrund, dass man zwei Absätze vorher gerade erst seine Erfolge beim Gedächtnistraining gefeiert hat, etwas irritierend. Allerdings kam mir über den Fragen, ob Schreiben oder Shoppen glücklicher macht und was eigentlich wäre, wenn Shoppen am Ende doch glücklich machte, zufällig diese Studie in die Quere: Auch Selbstüberschätzung macht glücklich. Das Problem besteht also nicht nur darin, dass die Größenwahnsinnigen den wirklich Großartigen auf die Eier gehen. Sondern dass es ihnen dabei auch noch gut geht. Das ist nicht gerecht. Und was noch weniger gerecht ist: Dass ich auf der Arbeit – neben etlichen fantastischen Kollegen – mindestens zweieinhalb solcher Exemplare habe. Zum Glück habe ich noch eine weitere Woche Urlaub. Darauf lässt sich aufbauen.
Auch wenn man natürlich nicht wissen kann, was einen noch erwartet.
Manchmal will man es auch besser gar nicht wissen.
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