Wer nicht nur gelegentlich auf das Automobil als Fortbewegungsmittel zurückgreift, kennt diese Situation: Das vorausfahrende Kraftfahrzeug ist durch ein schwer nachvollziehbares Fahrmanöver unangenehm aufgefallen. Meistens bleibt es bei dieser einen Aktion, aber bevor man das Ganze einfach abhakt und vergisst, möchte man sich lieber weiter hineinsteigern. Und wem Merkmale wie Fahrzeugtyp oder Ortskennzeichen noch nicht für die Kombination aus Kopfschütteln und der Bemerkung „typisch“ reichen, der wartet auf eine Gelegenheit, irgendwann neben dem inkriminierten Fahrzeug fahren oder wenigstens stehen zu können. Sodann wird man – ohne dass man sich dagegen überhaupt wehren könnte – mehr oder weniger unauffällig ´rüberschauen und eruieren, mit welchem Pflegefall von Autofahrer man es diesmal wieder zu tun hat. Manchmal blickt man dann auf Exemplare, denen die Intelligenz förmlich ins Gesicht geschrieben steht und wundert sich über gar nichts mehr. Aber eigentlich möchte man ja sehen, dass der Fahrzeuglenker nicht einfach nur geistig minderbemittelt ist, sondern einem Personenkreis angehört, dem man sowieso keinen besseren Fahrstil zugetraut hat: Senioren, Frauen, Kinder.

Experten werden an dieser Stelle einen weiteren Fall zu ergänzen wissen, in dem es gar nicht notwendig ist, auf Lenkradhöhe aufzuschließen: Wenn man von hinten schon um die Kopfstütze des Fahrers herum die charakteristische Silhouette eines Hutes sich abzeichnen sieht, ist das Urteil schnell gefällt. Opa mit Hut! „Dass die überhaupt noch fahren dürfen“ gehört noch zu den harmloseren Werturteilen über diese Spezies.

Und genau das alles ging mir durch den Kopf, als ich neulich das erste Mal mit meinem frisch erworbenen Hut bekleidet ins Auto stieg. Vielleicht nicht ganz so strukturiert wie hier wiedergegeben, aber irgendwas ist bekanntlich immer.

Ich bin ja als Autofahrer eher so der Mensch, der sich an bestehenden Regeln orientiert. Das bedeutet konkret: Für die Mehrheit der anderen Fahrer bin ich ein Verkehrshindernis, weil jemand wie ich vor ihnen unterbindet, dass sie 110 Stundenkilometer fahren, wo 70 gestattet sind. Das ist ein Problem. Zugegeben: Für mich selbst zunächst weniger. Im Normalfall leidet der rückwärtige Fahrer mehr als ich darunter, dass unser beider Fahrweisen tendenziell schwierig unter einen Hut zu bringen sind.

Allerdings müssen im Straßenverkehr auf absehbare Zeit ohnehin neue Feindbilder etabliert werden. Die Opas mit Hut sterben nämlich im übertragenen wie auch im wörtlichen Sinn allmählich aus. Hüte spielen bei Alt und Jung eine bestenfalls marginale Rolle. Wenn man hierzulande über Kopfbedeckungen spricht, kommt man auf gerade noch zwei Accessoires, die man tragen kann, ohne aufzufallen: Baseballkappe und seit einigen Jahren Schiebermütze. Der Fahrradhelm ist selbstverständlich auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen, läuft aber eher außer Konkurrenz mit.

Die Baseballkappe verleiht seinem Träger eine sportliche und jugendliche Ausstrahlung. Im Falle der seit einigen Jahren und also leider nicht mehr nur vorübergehend in Mode gekommenen Modelle mit ungebogenem, brettartigem Schirm ist es übrigens absolut legitim, jugendlich durch kindlich zu ersetzen. Dass ich selbst früher auch nicht viel intelligenter aus der Wäsche geschaut habe, wenn ich mein Käppi mit Schild nach hinten aufgesetzt habe, muss ich wohl auf meine Kappe nehmen. Heute jedenfalls ist mir mehr als zu jeder anderen Phase meines Lebens bewusst: 1. Sportlich war ich nie gewesen. 2. Jugendlich ist eine Weile her. Würden die Dinger nicht super zu Poloshirts passen, würde ich sie vermutlich nur noch beim Streichen des Zimmers tragen. Bei den meisten Hemden nämlich versagt die Baseballkappe kläglich.

Meine Abneigung gegen Baseballkappen wird dadurch verstärkt, dass die Teile eigentlich nach einem plakativen Aufdruck schreien. Etwas wie „Make Punkrock great again!“ oder „Viva la Renovation!“ Kurz – ein Statement. Das Problem dabei: dass in der Mode heute irgendwie gefühlt alles ein Statement ist; dass das Statement an sich dadurch im Prinzip schon wieder entwertet wird. In der Mode wäre auch das Hemd mit Baseballkappe ein Statement. Obwohl man doch genau weiß, dass die meisten Menschen eine solche Kombination absolut unironisch fabrizieren. Wie man durch Beobachtungen inzwischen herausgefunden hat, besteht das „Statement“ der absoluten Mehrheit darin, ihr mangelndes Stilbewusstsein durch das Zurschaustellen von teuren Markenklamotten zu kaschieren. Wen wundert es, dass mir regelmäßig die Hutschnur platzt, weil jede Geschmacklosigkeit zum „Statement“ aufgewertet wird?!

Alte Hüte

Als nützliches Utensil, das sowohl Arbeits- als auch Abendgarderobe passend zu ergänzen in der Lage ist, ist die Schiebermütze inzwischen das Mittel der Wahl. Im Grunde wäre es konsequent, in just dem Moment, in dem man merkt, dass man älter wird, die Sammlung an Baseballkappen gegen ein bis fünf Schiebermützen einzutauschen. Zwar muss man damit umgehen lernen, automatisch mit Leuten in einen Topf geworfen zu werden, mit denen für gewöhnlich niemand etwas am Hut haben will: Leider haben Hipster die Batschkapp als Ergänzung zu ihrer Uniform aus Vollbart und Hornbrille schon entdeckt, das heißt also auch negativ besetzt. Für die Batschkapp spricht jedoch, dass sie dieser einseitigen Vereinnahmung erfolgreich trotzt und alltagstauglicher Kopfschmuck für jedermann geblieben ist. Aber von der Vorstellung der Schiebermütze als Instrument zum Herausstreichen seiner Individualität muss man sich wohl leider verabschieden. Als Alleinstellungsmerkmal taugt die Schiebermütze definitiv nicht mehr. Wer eher diesem Motiv folgen möchte, sollte Mut zum Hut statt zur Mütze beweisen. Denn die „klassischen“ Hüte, über Jahrzehnte Symbolbild für Musiker, alte Säcke oder Menschen, deren Dachschaden selbst durch einen Hut nur schwer zu verbergen ist, schwammen sich in den letzten Jahren von solchen Zuordnungen frei. Da ich mich trotz formaler Zugehörigkeit zu einer Rockband in jungen Jahren sowie gerade überstandenem Gitarrenkurs an der VHS nicht ernsthaft einer dieser genannten drei Gruppen zuordnen kann beziehungsweise will, kommt mir dieser Wandel entgegen. Von den beiden anderen Alternativen wäre andernfalls die Einordnung als alter Sack die schmeichelhaftere gewesen, um meine soeben neu erworbene Vorliebe für Hüte begründen zu können. Ich denke, solange man nicht gleichzeitig beginnt, beigefarbene Anglerwesten zu tragen, wird man im Bus auch trotz Hut nicht umgehend einen Sitzplatz angeboten bekommen.

Wenn der Hut langsam wieder gesellschaftsfähig wird, läuft man als Hutträger auch nicht mehr Gefahr, für einen verzweifelten Single gehalten zu werden. Irgendwelche selbsternannten Flirtgurus haben nämlich irgendwann folgenden Trick aus dem Hut gezaubert: Männer, setzt Euch einen Hut auf, dann fallt Ihr auf und wirkt interessanter und origineller.

Ich weiß nicht, wie viele Männer sich aufgrund solcher Tipps einen Hut zugelegt haben, habe aber im Leben schon einige junge Kerle mit so unfassbar schlecht sitzenden und schlecht kombinierten Hüten gesehen, dass ich dachte: Wow! Das ist ´mal ein Statement! Der traut sich was..! Da wurde die Hut- zur Mutprobe. Direkt in der Eckkneipe beim Gehen noch nach einem beliebigen dort hängenden Hut aus der Sammlung der vier jeden Abend dort anwesenden Tresenphilosophen gegriffen und dann gedacht „Halali! Jetzt kommt mein Durchbruch!“

Jetzt weiß ich als alter Sack natürlich durch so manche Erfahrung, dass es in wirklich einigen angebahnten oder vollendeten Beziehungen dermaßen irrelevant ist, was jemand IM Kopf hat, dass es tatsächlich einigermaßen plausibel erscheint, dass es wichtiger ist, was man AUF dem Kopf hat. Mir persönlich wirken solche Maßnahmen immer etwas – pardon! – aufgesetzt. Derweil die Frauenwelt selbst auf solche Versuche gespalten, tendenziell wohl aber eher ablehnend reagiert. Bemerkenswert ist jedoch, welche Begründungen dafür teilweise herhalten müssen. Das häufigst gebrauchte Argument lautet, der Mann wolle durch den Hut jünger wirken oder etwas kaschieren, und zwar in der Regel einen eher nur noch spärlich zu nennenden Haarwuchs.

Hut ab! Das hat mich dann überzeugt. Wie gut, dass Frauen solche Tricks nicht nötig haben. Wo kämen wir da hin, wenn alle ihre kleinen Makel einfach ´mal eben zu übertünchen versuchen würden. Wenn Schminke, Push-Up-BHs und Haartönung plötzlich wichtigere Werkzeuge wären als ein natürliches Auftreten?! Ich glaube manchmal, die meisten Frauen haben Männern einfach bis heute nicht verziehen, dass der eine Teil der Menschheit durch Wuchernlassen eines Vollbartes mit bescheidenen Mitteln ein Doppelkinn verstecken kann und der andere Teil eben nicht.

Wie man sieht: Im Pflegen von Vorurteilen unterscheidet sich Partnersuche nicht wirklich von Autofahren.