Understatement. Das klingt gut, dachte ich mir noch so, als ich das bei einer Frau mit auch ansonsten aussagekräftigem Profil bei einer Online-Singlebörse unter „Ich mag“ entdeckte. Untertreibung, das ist ein schönes Stilmittel, das in meinem rhetorischen Alltag seinen festen Platz hat und auch hier in meinen Texten ab und zu Verwendung findet, wenn ein Sachverhalt unangemessen unspektakulär beschrieben werden soll.
Wenn das so ist – da schreibe ich ´mal hin!
Ich hatte glücklicherweise vorher noch zufällig herausgefunden, dass Understatement auch einen Trend beschreibt, nach dem auf das Zurschaustellen von Statussymbolen verzichtet wird, obwohl das Geld dafür vorhanden wäre.
Das hätte schnell peinlich werden können. Also musste ich mein Anschreiben anders formulieren. Musste davon schreiben, dass mir Statussymbole rein gar nichts bedeuten. Würden. Wenn ich mir welche leisten könnte. Ich musste glaubwürdig vermitteln, dass mir zwar aktuell einfach ein paar Groschen fehlen, ich meine Meinung aber auch nicht ändern würde, sollte ich eines Tages in die komfortable Lage kommen, von meinem Lageristengehalt Rolex, Porsche und Yacht finanzieren zu können. Dass ich auf einen Flugzeugträger spare, sollte ich vorerst nicht erwähnen. Um das Ganze noch einmal ernsthaft anzugehen: Ich musste dabei verschweigen, dass es eine Sache gäbe, die mit viel Geld umzusetzen mir eine Herzensangelegenheit wäre: einen eigenen Park nämlich, den ich als standesgemäß empfinden würde.
Kurzum: Ich habe die Frau nicht angeschrieben.
Da ich es gewohnt bin, in solchen Portalen auf meine Nachrichten keine Antworten zu erhalten, macht es aber streng genommen so oder so keinen Unterschied, ob einer solchen Nicht-Reaktion eine Nachricht meinerseits vorausging.Selbst wenn theoretisch natürlich die Möglichkeit besteht, dass sie mit Understatement eigentlich tatsächlich gemeint hat, was ich als erstes vermutet hatte. Aber so schnell gebe ich Leuten gewöhnlich keine zweite Chance, wenn ich mir erst ´mal ein Urteil gebildet habe. Die nur gedachte Nachricht endete also wie so manch anderes Anschreiben an andere Single-Frauen, das ich nicht abgesendet habe, weil ich mir schon im Vorfeld darüber im Klaren war, aus welchen Gründen diese Frau gerade nicht zu mir passen würde. Weil ich sie – zum Beispiel – als oberflächlich, humorlos oder FCB-Fan eingeschätzt habe. Chancen, mich vom Gegenteil zu überzeugen, haben sie auf diese Weise nicht direkt bekommen. Ich muss gestehen: Richtig durchdacht ist das alles nicht.
Aber was ist das überhaupt wieder für ein Trend?! Understatement! War es nicht seit jeher so, dass Menschen mit normal ausgeprägtem Selbstwertgefühl es sich leisten konnten, auf das Präsentieren von Haus, Auto, Boot zu verzichten? Und dass andere Menschen sich strecken und verschulden, um in Sachen Prestigeobjekte mit den Vorbildern gleichzuziehen? Es mag zutreffen, dass eine prollige Armbanduhr im Jahr 2018 kaum jemanden mehr beeindruckt. In Zeiten von smarten Armbändern schon gleich gar nicht. Dagegen ist die Verfügbarkeit darüber, was die Dinger anzeigen: Zeit nämlich, schon eher sexy. Man kann es also drehen und wenden, wie man möchte – dass Autos und anderer Schnickschnack allmählich ausgedient haben, ist noch längst kein Abgesang auf Status und seine Symbole an sich, weil gleichzeitig andere Dinge an deren Stelle getreten sind.
Weil die Welt aber eben so ist, wie sie ist,
hadere ich weiterhin damit, dass Frauen sich wenn vielleicht nicht unbedingt von Symbolen, so doch aber zumindest von Status beeindrucken lassen. Auch wenn sie beides noch so vehement leugnen. Mir als armer Sau bleiben da als Dinge, die ins Schaufenster zu stellen sich ernsthaft lohnen würden, lediglich solche übrig, welche diese Gesellschaft für ihre Loser eben im allgemeinen für solche Zwecke bereit hält. Aufrichtigkeit zum Beispiel. Oder Humor. Wozu dann ja gegebenenfalls wieder Understatement in seiner anderen Bedeutung zählt.
Die genannten Eigenschaften wenigstens können ständig mit sich geführt werden und sind insofern absolut tauglich als Statussymbol. Weil bekanntlich das schönste Zeichen nichts einbringt, wenn niemand davon etwas mitbekommt. Dieser Hinweis nur für den Fall, dass tatsächlich jemand geglaubt hat, eine Luxus-Uhr wäre aufgrund einer anderen Funktion so beliebt als der, dass sie eben immer und überall mehr oder weniger unauffällig vorgezeigt werden kann. Eine Uhr ist auf Anhieb sichtbar; eine Kreuzfahrt hingegen muss immer erst umständlich erwähnt werden. Ein übrigens häufig unterschätzter Grund für die Beliebtheit von sozialen Netzwerken, weil man dort auch für in ihnen geteilte Dinge Rückmeldung erfahren kann, von denen sonst nur wenige überhaupt etwas mitbekommen hätten.
Ohne solche Verschiebungen würde auch der Bedeutungsschwund von noblen Fahrzeugen in dieser Form nicht funktionieren.
Als jemand, der eine Karre hauptsächlich als Möglichkeit betrachtet, unbeeinflusst von Fahrplanverspätungen, überteuerten wie überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln sowie der mit letzterem einhergehenden Gefahr der Ansteckung mit allerlei Krankheiten zur Arbeit und zurück zu gelangen, habe ich den Fetisch Auto noch nie verstanden. In jungen Jahren schätzte man zusätzlich noch die Möglichkeit, viele Bierkästen gleichzeitig vom Getränkemarkt nach Hause zu transportieren. Etwas später sollte das Auto als Minimalanforderung groß genug sein, um sich nicht bei jedem Ikea-Einkauf ein anderes ausleihen zu müssen. Das war es dann aber auch schon, mehr musste ein Auto nicht draufhaben. Wenn man es vorzeigen will, muss es sowieso auch gepflegt sein. Arbeit, die man sich nicht machen muss, wenn man ansonsten mit sich selbst im Reinen ist. Dass ein schickes Auto ja auch nicht zwangsläufig dazu führt, dass man damit besser fährt, eher das Gegenteil zu beobachten ist, verstärkt bis heute meine Antipathie gegen das Kraftfahrzeug.
Doch nicht nur das Fahrvermögen, auch die Intelligenz des Halters steht in keinem logischen Zusammenhang mit dem Preis der Karre. Als ich mir zu Zwecken der Recherche auf youtube ein Video zum Verhältnis Status und Auto ansah, das den Titel „Warum günstig wenns auch teuer geht?“, kommentierte unter anderem der Nutzer James Bond 007: „weil Dacia lächerlich aussieht. Ich fahre Mercedes weil die Stylisten ausehen“ Sämtliche Fehler stehen original so da. Genau so wie die einzig wahre Antwort auf diesen Kommentar. Da hat dann nämlich tatsächlich einer als Reaktion auf diese Meinungsbekundung ganz trocken geschrieben: „Schade, dass kein Duden mitgeliefert wird.“
In einem Anflug von Wehmut stelle ich fest: Weil es wenig gibt, über das sich so herrlich lästern lässt wie über Autos und ihre Besitzer, würde mir am Ende womöglich sogar etwas fehlen, wenn das Auto als Statussymbol irgendwann tatsächlich ausgedient hätte.
Das ist jetzt ausnahmsweise einmal nicht untertrieben.
Schreibe einen Kommentar