Wenn vom beginnenden Ernst des Lebens die Rede ist, kann man sich sicher sein, daß gerade etwas Einschneidendes geschieht. Für den Betroffenen nicht weniger als eine Zeitenwende. Eine Zäsur. Oder auch, wenn man es ein bisschen kleiner mag, einen Rest von Pathos aber noch belassen möchte: Ein Meilenstein. Insofern könnte man behaupten, das Thema passt in diesen Blog wie der sprichwörtliche Arsch auf Eimer.
Ich weiß nicht, wie viele neue Schüler in den kommenden Tagen in den Genuss dieser Mischung aus Drohung, Warnung und Verheißung kommen werden.Was ich allerdings weiß: Der Ernst des Lebens wird für keinen von ihnen zum letzten Mal beginnen, ihnen vielmehr spätestens dann wieder begegnen, wenn das Abenteuer Schule nach einigen Jahren seinem Ende entgegengeht.
Die gute Nachricht lautet demnach: Wer jetzt versäumt, den Spruch anzubringen – macht nichts, es gibt im Leben noch mehrere Gelegenheiten, ihn zu platzieren.
In meiner Kindheit war meine Tante an und für sich für die Unterbringung solcher Floskeln zuständig. Sie muss wohl am Tag meiner Einschulung einen schlechten Tag gehabt haben. Aber ein Freund aus der Straße, wenig älter als ich, ließ ihn dann irgendwann noch vom Stapel. Da nur die wenigsten Kinder den Unernst des Lebens bis zur Einschulung im luftleeren Raum verbringen, hat so ziemlich jeder auch eine gewisse Ahnung, was danach folgt. Sicher ist die Vorstellung nicht sonderlich attraktiv, nunmehr einen weitgehend fremdbestimmten Alltag zu verleben. Sicher – manche brauchen das auch. Wiederum anderen schadet es zumindest nicht, ein Minimum an Struktur vorgegeben zu bekommen. Die Aussicht, formal in Werten zwischen Eins und Sechs beurteilt zu werden, ist auch nicht das, was ich als besonders reizvolle Angelegenheit bezeichnen würde.
Andererseits meine ich mich zu erinnern, dass nicht nur ich, sondern die meisten Mitstreiter dann doch relativ unbefangen an den neuen Lebensabschnitt herangingen. Was sollte schon Schlimmes passieren?! Ungelegte Eier. Sorgen kann man sich als Erwachsener immer noch mehr als ausreichend machen. Von so einem profanen Ereignis wie dem ersten Schultag wird man sich doch nicht gleich die Laune verderben lassen.
Und tatsächlich hatte ich das Glück, dass mir der Schulalltag nicht ganz so schwer gefallen ist und ich mehr Spaß als Ernst hatte. Und das obwohl ich – in den 1970er und 1980er Jahren eigentlich kaum noch vorstellbar, weil nicht sein kann, was nicht sein darf – zweimal in meiner schulischen Laufbahn Ohrschellen seitens des Lehrpersonals einstecken durfte. Natürlich wegen nichts. Jedenfalls nichts, womit ich angeben könnte. Eine andere Unsitte mancher Lehrkräfte: Man durfte zumindest nicht überrascht sein, wenn ein Schlüsselbund durch die Gegend gepfeffert wurde und direkt neben einem einschlug. Aber weil ich dessen unbeeindruckt gute Noten einfuhr, zuhause also den Anschein erwecken konnte, alles sei in Ordnung, hatte ich Spaß. Wenigstens an den Tagen, an denen kein Sportunterricht auf dem Stundenplan stand.
Eine noch größere Rolle als beim Sport spielt das Verhältnis zum eigenen Körper in der spaßbefreitesten Phase der menschlichen Entwicklung überhaupt: der Reifezeit. Mit dem einsetzenden Interesse an Mädchen bei gleichzeitigem erfolglosen Werben um sie drang der Ernst plötzlich und unerwartet in mein Leben ein. Und das ohne dass mich vorher jemand davor gewarnt hätte. Logisch, dass er sich auf die Schule auswirkte. Spätestens zur Vorbereitung auf die Abi-Prüfung wurde es dann richtig ernst: viele Sachen konnte ich einfach nicht mehr aufholen, was ich in den Jahren zuvor versäumt hatte. Es hat gereicht, um durchzukommen, aber nicht gereicht, wirklich zu brillieren. Nur dabei statt mittendrin. Spaß hat´s trotzdem gemacht.
Und der Spaß ging weiter: Ersatzdienst. Hier war niemand, der was vom Ernst des Lebens faselte. Das Feiern ging einfach weiter. Es gab exakt zwei Zivi-Feiern und ebenso viele Zivi-Ausflüge. Jeweils die ersten und die letzten. Die Gnade der zum rechten Zeitpunkt erfolgten Geburt bescherte mir den Genuss, bei beiden Meilensteinen in der Geschichte des Mobilen Sozialen Hilfsdienstes des DRK dabei gewesen zu sein. Behaupte noch einmal jemand, Zivildienst sei eine ernste Angelegenheit.
Ernsthaft jetzt..!
Nach 15 Monaten das nächste große Ding, auf das sich neu einzustellen war: Ausbildung, in meinem Fall Studium. Man hat also den Ort gewechselt, aber die Party ging weiter. Immer noch keine Spur vom Ernst des Lebens. Immerhin: Mit dem Ernst verwandte Fragen nach dem Sinn des Lebens wurden nun neu und öfter gestellt.
Das eigentlich Schöne an all dem war aber, dass ich weder wegen des Ersatzdienstes noch wegen des Studiums jemals ernsthaft erwägen musste, meiner Geburtsstadt den Rücken zu kehren. Im Nachhinein bedaure ich diese damals mit guten Gründen vollzogenen Entscheidungen natürlich. Aber aus Schnee von gestern formt man heute kein effizientes Wurfgeschoss. Daher lieber liegenlassen.
Es ist unschwer zu erkennen, dass der Text sich allmählich wieder dem gewohnten Kalenderspruchniveau annähert. Dabei habe ich gar nichts gegen solche Sinnsprüche. Im Gegenteil. Ich habe aber meine Probleme damit, wenn solche Zitate sofort wieder entwertet werden, indem die Aussage zwar vor sich hergetragen wird, ansonsten aber keinerlei Konsequenzen daraus gezogen werden.
Ohne Anspruch auf Repräsentativität ergab eine Mini-Erhebung, nämlich ein Blick auf die Pinnwände meiner Facebook-Bekanntschaften, dass mehrheitlich Frauen eine Empfänglichkeit für solche Aphorismen haben. Zum Beispiel also auch für folgenden Satz: „Menschen hören nicht auf zu spielen, weil sie alt werden. Sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen.“ Naiv, wer sich nun denkt: Okay, ich kaufe eine Carrera-Bahn für zweihundert Euro. Sie benötigt ein wenig Platz, das Wohnzimmer eignet sich also hervorragend, das Teil ein Wochenende lang auf Herz und Nieren zu prüfen.
Wer schon einmal das Vergnügen hatte, einen gemeinsamen Haushalt mit einer selbst gewählten Partnerin zu pflegen, weiß: Jetzt kann der Unterschied zwischen Theorie und Praxis live und in Farbe betrachtet werden. Es würde die Stimmung nämlich nur höchst unzureichend beschreiben, einfach nur zu schreiben, das wäre der Partnerin dann allerdings auch wieder nicht recht. Eher kann man darauf wetten, dass ziemlich bald Schluss mit Lustig ist und das schöne Spielzeug am Ende der Auseinandersetzung für alle Ewigkeiten aus dem Haushalt verbannt ist. So sehen Kompromisslösungen heutzutage aus. Und die Frauen denken sich: Dann doch lieber alt. Und die Männer denken sich: Dann doch lieber diese als keine.
Vielleicht beginnt mit Eingehen einer Zweierbeziehung der wahre Ernst des Lebens. Das hätte mir aber wirklich jemand vorher sagen können.
Heimtückisch daran ist ja vor allem, dass es nicht einfach wie eine nervige und überflüssige Krankheit zu einem Zeitpunkt, zu dem man sie am allerwenigsten gebrauchen kann, über Nacht einfach da ist. Sondern sich eher lange Zeit unbemerkt entwickelt, bis man eines Tages aufwacht und denkt: Scheiße, bin das eigentlich noch ich?
Fast hat man geglaubt, die Rede vom Ernst des Lebens wäre der running gag in der eigenen das halbe Leben andauernden coming-of-age-Geschichte, und dann plötzlich das!
Weil keiner meiner Texte einen solchen desillusionierenden Schluss verdient hat, zum Ende nochmal einen positiv stimmenden Denkspruch, der in verschiedensten Varianten sinngemäß predigt, dem Ernst des Lebens am besten mit Humor zu begegnen. Ich schätze, das immerhin ist mir trotz allem bis heute über weite Strecken relativ gut gelungen.
Schreibe einen Kommentar