Wenn man jetzt im Frühjahr genau hinschaut, kann man manchmal gut den Unterschied erkennen, welche Mitmenschen in der letzten Zeit bloß eine typische Winterdepression hatten und welche einfach das ganze Jahr über mies gelaunt sind.
Nun möchte ich nicht bestreiten, dass es plausible Gründe gibt, ganzjährig schlechte Stimmung zu verbreiten, umgebe mich selbst allerdings inzwischen lieber mit Menschen, die einen locker aus dem Ärmel geschüttelten Spruch zwischendurch durchaus zu schätzen wissen.
So weit die Theorie. In der Praxis gestaltet sich die Suche nach Menschen, mit denen man humortechnisch auf der gleichen Wellenlänge funkt, leider oftmals schwieriger als gedacht. Offen gestanden gestaltet sich generell die Suche nach Menschen, mit denen man etwas anfangen kann, schwierig für jemanden, der problemlos Ratgeber wie „Die Kunst, keine Freunde zu finden“, „Unbeliebt in vier Wochen“ oder „Erfolglos netzwerken“ schreiben könnte. Doch bevor ich wieder unnötig abschweife – dem Problem jedenfalls, dass Individuen über Unterschiedliches lachen, muss man sich stellen. Das gilt übrigens unabhängig davon, ob man nun ein einsamer Blogger ist, der seit vier Jahren für die gleichen sieben bis acht Freunde veröffentlicht, oder ein renommierter Schauspieler: Fällen zu viele Menschen das Urteil „Da kann ich nicht drüber lachen“, hilft am Ende auch nicht, wenn die Arbeit rein handwerklich betrachtet absolut nicht zu beanstanden ist.
Jede witzige Bemerkung benötigt ihr je eigenes Publikum. Berichtet beispielsweise die Kollegin, dass sie soeben wegen der Handwerker auf der Frauentoilette zu den Herren der Schöpfung ausgewichen ist und sich natürlich just in jenem Moment ein männlicher Kollege irritiert umsieht, ob er die richtige Tür genommen hat, ist „als ob er´s gerochen hätte“ von vielen denkbaren Redewendungen eine der wenigst schmeichelhaften. Derart ungeschickte Wahl der Worte aufzuspüren und darauf aufmerksam zu machen, entspricht in etwa meinem Verständnis von Alltagshumor. Der jedoch bei einem zu großen hierarchischen Gefälle nicht hätte funktionieren können. Auf Augenhöhe hätte man getrost sogar noch einen draufsetzen können, indem man (nicht ganz wahrheitsgetreu) behauptet: „Gerochen haben wir das bis hier unten. Und zwar alle. Wir haben uns aber schnell darauf verständigt, besser nur einen der Unseren dieser Gefahr auszusetzen.“ Witzischkeit kennt keine Grenzen. Oder eben doch. Humor ist eben, darin Oralsex nicht ganz unähnlich, meistens einfach nur Geschmackssache.
Ein weiteres Beispiel soll verdeutlichen, dass man nicht von jedem Publikum die gleiche Reaktion erwarten kann. Wenn ich auf die Äußerung „Ich komme mir gerade ein bisschen blöd vor“ reagiere, indem ich mit „Du kommst Dir nicht blöd vor“ beginne, hole ich damit nämlich nur einen Teil der Umstehenden ab. In jungen Jahren habe ich einmal unbedarft auf einen wertvollen Hinweis eines Kollegen erwidert, dies sei genau das, was ich an dieser Firma so schätze: dass man selbst vom Dümmsten noch etwas lernen kann. Die gleiche Situation wie eben: Ein Teil der Belegschaft fühlt sich bestens unterhalten. Doch anzunehmen, aus so einer Nummer unbeschadet wieder ´rauszukommen, ist ähnlich naiv wie der Glaube daran, dass ein 16-jähriger Terrier bereits nach der ersten Woche intensiven Trainings, um stressfrei einen Maulkorb anzulegen, sagen wird: „Lass´ gut sein mit Deiner Fleischwurst! Mir reicht´s aus, wenn Du mir meinen Maulkorb bereitlegst.“ Ich formuliere es ´mal so: Auch wenn ich bis heute die Gültigkeit dieser Aussage nicht in Zweifel ziehe, würde ich diese heute so nicht mehr tätigen. Wenigstens sollte nach Lektüre des letzten Absatzes klar geworden sein, dass die weiter oben getätigte Aussage bezüglich des Findens von Freunden nicht übertrieben war. Um aber dem Eindruck vorzubeugen, ich hätte die Kunst des grobschlächtigen Scherzes exklusiv – gegen das folgende Beispiel bin ich ein Waisenknabe:
Die Mutter aller schlechten Scherze stammt von einem Mitarbeiter der Agentur für Arbeit, die seinerzeit wahrscheinlich noch Arbeitsamt hieß, und trug sich wie folgt zu: Der Sachbearbeiter kürzte einem armen Hund die Leistungen, da jener seiner Auffassung nach durch Verlust des Führerscheins die nachfolgende Kündigung seines Jobs als Fahrer eines Getränkehandels selbst verschuldet habe. Um dem Mann aber gleichzeitig eine Perspektive zu geben, sendete er ihm noch am selben Tag einen Vermittlungsvorschlag zu, dachte sich dabei wahrscheinlich noch „Hach, was bin ich heute wieder für ein Schelm“, und überlegte, wie der gute Mann wohl reagieren wird, wenn er sich bei der Firma XY bewerben soll – als Fahrer! Im Prinzip genau mein Humor. Der aber natürlich auch etwas polarisiert. Man nimmt bewusst in Kauf, dass eine Gruppe von Leuten das alles ganz und gar nicht witzig findet. Tut man es trotzdem, offenbart man damit eben auch, wo man selbst steht. Diesem Sachverhalt muss man sich stellen. Was für einen Blogger mit sei es noch so geringer Reichweite gilt, betrifft den renommierten Schauspieler natürlich in weitaus größerem Maße.
Es sollte drei Jahrzehnte dauern, bis ich begriff, wie jemand so wird. Dann hörte ich aber vor wenigen Wochen einen geschätzt siebenjährigen Knirps in der Drogerie zu seiner Mutter sagen: „Weißt Du, warum ich nicht gern mit Dir einkaufen gehe? Weil Du mich einfach nicht wertschätzt!“ Und es fiel mir wie Schuppen von den Augen: Wer als Kind schon so redet und mit solchem Vokabular um sich wirft, wird später garantiert auch wenig Spaß im und am Leben haben und seine vorrangige Aufgabe darin sehen, anderen das Leben schwer zu machen. So zumindest meine erste, absolut voreingenommene Einschätzung.
Es war zwar noch Winter, aber irgendwie konnte, wer genau hinschaute, damals schon erkennen, dass es sich um mehr als eine typische Winterdepression handelt.
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