Sollte ich irgendwann einmal behaupten, ich würde in erster Linie für mich selbst schreiben, bliebe für diese Mitteilung nur wenig Interpretationsspielraum. Koketterie oder Resignation – zwischen diesen beiden Polen gibt es schlicht keinen Anlass, eine solche Aussage zu treffen. Entweder hat man ein Publikum mit einer gewissen Größe aufgebaut (oder auch durch Zufall erlangt). Dann erinnert eine solche Phrase an die gern ebenfalls ungefragt in den Raum geworfene Bemerkung, Geld sei nicht das wichtigste im Leben. Eine Aussage, die umso leichter über die Lippen geht, je mehr davon vorhanden ist und also hauptsächlich von Leuten getätigt wird, die sich über dieses Thema keine Gedanken machen müssen. Einen Standpunkt muss man sich eben auch erst einmal leisten können.

Am anderen Ende steht die Masse der Erfolglosen und klagt über mangelnde Reichweite als eine der wichtigsten Kennzahlen der Gegenwart. Wenn aus dieser Ecke der Spruch kommt, man schreibe lediglich für sich selbst, mag man das im Falle der Untalentierten als konsequent und im Falle der Unentdeckten als ungerecht empfinden. In jedem Fall aber steckt mehr Wahrheit in der Behauptung als einem lieb sein kann. Hier noch von einer bewussten Entscheidung zu sprechen, erfordert entweder ein gehöriges Maß an Realitätsverdrossenheit oder einen recht speziellen Humor.

Denn natürlich will wahrgenommen werden, wer Stunden, Tage, Wochen an einem Text gesessen hat. Niemand bringt seine Gedanken zu Papier, um selbiges anschließend in einer Schublade abzulegen. Ohne die Existenz eines entsprechenden Bedürfnisses nach Aufmerksamkeit wäre die Menge an Information nicht dermaßen explodiert, seit die Möglichkeiten, sich (nicht nur schriftlich) auszutoben, so einfach geworden sind, dass selbst ich regelmäßig meine Gedanken der uninteressierten Öffentlichkeit präsentieren kann. Dass ein großer Teil vielleicht besser unausgesprochen oder unveröffentlicht geblieben wäre, ändert daran zunächst nichts. Aber selbstverständlich geht es um Bestätigung. Um Anerkennung zu erlangen, tun die meisten Menschen sogar Dinge, die weit weniger Aufwand erfordern.

Nehmen wir die berüchtigten sozialen Netzwerke. Sofern ich meine Bemühungen bei der Suche nach Bestätigung zutreffend analysiert habe, unterscheidet mich in dieser Hinsicht zunächst weniger von anderen Akteuren als ich mir eigentlich einzugestehen bereit bin. Nehme ich allerdings meine Blogeinträge, kann ich mir die Situation leichter schönreden. Auffällig: Ich investiere mehr Zeit. Viel Zeit. Aus der Literatur zum Thema Zeitmanagement ist ja die 80/20-Regel geläufig. Sie besagt, dass mit 20 Prozent des Einsatzes bereits 80 Prozent des Ergebnisses erzielt werden. Um die weiteren 20 Prozent herauszukitzeln, müsste man unverhältnismäßig hohe 80 Prozent aufwenden.

Ich könnte also mit einem Fünftel des zeitlichen Aufwandes einen soliden Text schrauben. Bloß sind es meiner Erfahrung nach gerade die restlichen 20 Prozent, die aus einem soliden, meinetwegen auch sehr guten Text einen hervorragenden Text machen, weshalb der zeitliche Mehraufwand von 80 Prozent aus meiner Sicht absolut gerechtfertigt ist.

Für etwas Bestätigung wäre es einfacher, sich in ein Café zu setzen und ein Foto der Plörre, die einem dort serviert wird, zu posten, selbstverständlich nicht ohne den Hashtag „quality time“. Ein einzelnes gewöhnliches Bild kommt der durchschnittlichen Aufmerksamkeitsspanne eben eher entgegen als ein Text von 1.500 Wörtern.

Natürlich hat auch ein Bild mitunter seinen Preis. Wer hätte zum Beispiel noch vor zehn Jahren geahnt, dass es heutzutage ein Geschäftsmodell sein kann, einen Privatjet zu vermieten, ohne dass dieser überhaupt abhebt. Um sich für ein instagrammables Foto aus dem Flugzeuginnern in Szene zu setzen, muss die Kiste auch nicht fliegen, so weit reicht der Einfluss der Umweltbewegung inzwischen immerhin schon.

Man könnte an dieser Stelle etwas von der „Jugend von heute“ murmeln und den Fall somit als erledigt betrachten. Immerhin gibt es Phänomene der Gegenwart, die unsere Gesellschaft ernsthafter bedrohen als der Umstand, dass gegenwärtig Influencer als Berufswunsch so selbstverständlich ist wie es für unsere Generation Astronaut oder Schauspieler gewesen ist, bevor man letzten Endes Busfahrer oder irgendwas in der Art wurde. Genauso wird auch die Mehrheit der Generation Instagram schon noch rechtzeitig lernen, wie man das Bedürfnis nach Bestätigung etwas subtiler auslebt. Thema bleibt es so oder so:

In meiner Eigenschaft als Vorgesetzter bekam ich ja auch schon zu hören, ich müsste meine Kollegen mehr loben. Das sei wichtig. Also tat ich, was jeder charismatische Leader in dieser Situation tun würde: Theorie wälzen. In einer Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe, wurde ich fündig: Zwei Drittel der Beschäftigten bekommen niemals gesagt, dass sie einen guten Job machen, dass sie wichtig für das Unternehmen sind. Jetzt kann ich aus dem betrieblichen Alltag folgende Beobachtung gegenüberstellen: Fast zwei Drittel der Beschäftigten machen keinen guten Job und sind für das Unternehmen nicht wichtig. Zufälle gibt’s. Motivieren kann ich. Kann man eben nicht lernen. Man hat´s drauf oder eben nicht.

Ich möchte nicht ungerecht erscheinen: Es liegt in der Natur der Sache, dass die Beurteilung, ob es die Vorgesetzten oder die Untergeordneten sind, die alle keine Ahnung haben, im wesentlichen davon abhängt, welche Seite man fragt. Fakt ist aber auch, dass gerade im Bereich Lagerlogistik verstärkt mit Kollegen zu rechnen ist, deren Kernkompetenz darin besteht, anderen die Luft wegzuatmen. Eigentlich müsste also ich gelobt werden, nämlich für die Selbstbeherrschung, nach 20 Jahren Lagererfahrung immer noch keine Anklage wegen eines Tötungsdelikts auf dem Konto zu haben. Ob ich im Laufe dieser Zeit ruhiger geworden bin oder das Gegenteil der Fall ist, sollten andere, am besten vielleicht kompetente Nervenärzte, beurteilen. Aber eines – immerhin – ist geblieben: Nach wie vor weigere ich mich, bloße körperliche Anwesenheit schon als anerkennenswerte Leistung zu betrachten.

Sollte ich also irgendwann einmal behaupten, ich würde in erster Linie für mich selbst schreiben, ist es nicht einmal unwahrscheinlich, dass das Schreiben dann therapeutischen Zwecken dient.

Vielleicht tut es das ja aber auch bereits jetzt, und ich weiß nur noch nichts davon.