Wenn man jede einzelne Entscheidung seines Lebens auch nach Jahren noch plausibel begründen können müsste, käme ich spätestens dann in arge Erklärungsnöte, wenn man mich auf Eierlikör anspräche.
In meiner Erinnerung verbinde ich mit Eierlikör Kaffeekränzchen mit Tanten und anderen älteren Damen, die Hildegard, Mathilde oder Gertrud heißen. Als Getränk muss man sich schon anstrengen, um ein schlechteres Image zu haben als Eierlikör. Wäre das Zeug nicht Bestandteil unzähliger Backrezepte – längst hätte man es zu Recht vom Markt nehmen müssen. Eierlikör – das überflüssigste Getränk der Welt.
Was genau meinen Kumpel und mich seinerzeit – gute dreißig Jahre mag das inzwischen her sein – veranlasste, unserer Band den Namen „Eierlikör“ zu geben, ist aus heutiger Sicht schwierig nachzuvollziehen. Zu vermuten ist, dass wir ihn lustig fanden. Jedenfalls bekam ich an diesem Abend das erste Mal in meinem Leben eine Ahnung, was es bedeutet, wenn man von einer Schnapsidee spricht. Als ich Jahre später auf eine Kapelle mit Namen „Gelbwurst“ traf, lernte ich: Man muss es manchmal eben einfach durchziehen.
Wir allerdings blieben wie viele andere Gleichaltrige regelmäßig auf der Ebene „Man müsste mal…“ stehen. Da interessieren Fragen wie der Name des Projektes einfach mehr als so nebensächliche Aspekte, wer ein Instrument besitzt und dieses eventuell sogar bedienen kann.
Weil solche Fragen sekundärer Natur waren, hätten wir im Grunde genommen auch einen Verein statt einer Band gründen können, um unser vorrangiges Ziel umzusetzen: einen Rahmen für – meist – sinnlose Besäufnisse zu generieren.
Scheinbar weil ich geringfügig mehr als meine Kumpels wenigstens den Anschein hinterließ, ich sei bereit, die Musikantenkarriere einfach ´mal durchzuziehen, bekam ich wenige Monate nach Gründung dieses ersten Bandprojektes von ebendiesen Freunden eine Gitarre geschenkt. Wie man so ein Ding hält, hatte ich schon einmal gesehen, und da alle sechs Saiten aufgezogen waren, hätte ich theoretisch sofort loslegen können. Allerdings befanden wir uns vor 30 Jahren in der wenig komfortablen Situation, dass es kein Internet, kein Youtube oder irgendwas in der Art gab, das mir kostenfrei den Einstieg erleichtert hätte. Da ich aber mein Taschengeld lieber für Musik von Leuten ausgab, die ein Instrument wenigstens insoweit spielen konnten, dass man daraus so etwas wie einen Song heraus hören konnte, blieb für gescheiten Unterricht kein Geld mehr übrig. Genau genommen gab ich auch nur den Rest meines Geldes für Tonträger und Live-Erlebnisse aus. Das Gros nämlich floss in die Hardware für unsere – meist – sinnlosen Besäufnisse.
Mir blieb der Gang in die Stadtbücherei, und mit einem Lehrbuch ausgestattet kam ich zurück. Ich tat wie mir darin befohlen, und es klang scheiße. Beziehungsweise hatte ich nicht einmal eine Ahnung, wie es hätte klingen sollen. Begleit-CDs waren damals Luxus, nicht Standard. Ich musste einsehen, dass mein Spiel auf der Gitarre auf diese Weise nicht besser wurde. Fast folgerichtig kam danach viele Jahre nichts. Jahre, in denen ich zwar auf der Gitarre nichts lernte, in denen ich aber vieles anderes lernte. Zum Beispiel: Gitarre spielen ist cool. Etliche Gitarristen sind aber nicht cool. Viele Gitarristen sind arrogant. Manche Gitarristen sind peinlich. Peinlich zum Beispiel dann, wenn sie die kompletten drei Stunden bis zum Beginn ihres Gigs im örtlichen Jugendzentrum ihre Klampfe umhängen lassen, um auch dem letzten im Saal zu signalisieren, wie ungeheuer wichtig sie für das weitere Geschehen sind. Uncool sind auch Frauen, die sich von solchem Gehabe trotzdem beeindrucken lassen. Und ich lernte, dass man fünf Mark Eintritt sparen kann, wenn man mit einem leeren Gitarrenkoffer wie selbstverständlich am Einlass vorbei spaziert. Die freie Hand dabei noch lässig zum Gruß in Richtung Kassierer gehoben, wird niemand daran zweifeln, dass man zum Ensemble gehört.
Da man im Laufe eines durchschnittlichen Lebens üblicherweise erwachsener wird, sinkt irgendwann der Stellenwert von – auch selbst gemachter – Musik bei den meisten Menschen. Entsprechend viele Gitarren werden in die Keller und Dachböden verbannt. Manche immerhin dienen im Haushalt noch als Dekorationselemente. Was bei mir nicht anders war.
Erst etwa fünfzehn Jahre nach dem allerletzten der – meist – sinnlosen Besäufnisse startete ich einen neuen Anlauf. Ich war inzwischen 43 und von der Mutter meines Sohnes noch relativ frisch getrennt. Da darf man auch ´mal überlegen, wohin man im Leben noch möchte. Um den Neuanfang zu unterstreichen, sollte es ein neues Instrument sein.
Seitdem habe ich zwei Gitarren als Dekorationselemente in der Wohnung herumstehen.
Immerhin aber hatte ich wiederum einiges gelernt:
a) Selbst mit 43 Jahren kann es passieren, dass man den beim Erlernen eines Instrumentes nicht ganz unerheblichen Faktor Zeit unterschätzt.
b) Da das Internet nicht nur randvoll mit Tipps und Tricks und Tutorials für Anfänger des Gitarrespielens ist, findet man sich schnell auf Seiten mit Tipps und Tricks und Tutorials in Sachen Zeitmanagement wieder.
c) Die meisten Ratschläge in Sachen Zeitmanagement sind für Normalsterbliche Zeitverschwendung.
Nachdem ich also eine Weile damit verbracht hatte, zu überlegen, welche meiner täglichen Aufgaben ich delegieren könnte und vor allem an wen überhaupt, kam ich zu dem Ergebnis, dass mein Spiel auf der Gitarre auf diese Weise ebenfalls nicht besser würde. Die Kapitulation: Den Stau an unerledigten Aufgaben in Haushalt und Hobby würde ich nicht durch das Beginnen weiterer zeitintensiver Hobbys auflösen. Ich benötigte keine Strategien, Zeit sinnvoll einzuteilen. Ich benötigte mehr Zeit. Wenn das nicht ging, benötigte ich weniger Hobbys.
Auch wenn sich an diesem Grundzustand bis heute nichts geändert hat, war ich vor einem halben Jahr so wahnsinnig, mich bei der Volkshochschule für einen Anfängerkurs anzumelden. Dieser Rahmen schien mir geeignet, zu überprüfen, ob das mit mir und meiner Gitarre noch eine Zukunft haben kann. Wenn ich es nicht schaffen würde, regelmäßig zu üben, obwohl ich dann vor Kursleiter und anderen Teilnehmern als der Idiot dastehe, der dauernd seine Hausaufgaben nicht macht, würde ich dieses Engagement in diesem Leben auch sonst nicht aufbringen. Also angemeldet, bevor der Kurs am Ende schon voll ist.
Eine Woche vor dem ersten Termin wurde meine Motivation leicht gebremst: Mangels Masse an Teilnehmern fiel der Kurs aus.
Es scheint zu meinen wenigen Kernkompetenzen zu gehören, mich immer wieder für Volkshochschulkurse anzumelden, die nicht zustande kommen. Das mag daran liegen, dass ich mich tendenziell für abseitigere Themen begeistern kann: Lachyoga, Körpersprache, Clownsworkshop – alles Beispiele aus den letzten Jahren, auf die sich eben außer mir nicht genügend Andere gefreut hatten. Ich warte darauf, bis mir die VHS irgendwann vorab ihr Kursprogramm vorlegt und alles, was mich interessiert, wegen zu geringer Erfolgsaussichten umgehend aus dem Verzeichnis streicht.
Steuerrecht für Selbstständige hatte stattgefunden. Dort habe ich seinerzeit meine Vermögensberaterin kennengelernt – eine Information, die für diesen Text freilich nur insofern relevant ist als ich gerne noch folgende Anekdote unterbringen wollte: Wer über meine Vermögensverhältnisse nur ansatzweise Bescheid weiß, ahnt bereits, dass die Kombination ich und Vermögensberatung keine weitere Pointe benötigt. Die Durchsicht meiner Unterlagen wird ihr die Tränen in die Augen getrieben haben. Trotzdem melden sich bis heute alle paar Jahre fremde Menschen bei mir, weil sie den Kundenstamm von jemand übernommen haben, der zuvor mit mir in etwa so viel Glück gehabt hat wie ich mit meinen Anmeldungen zu VHS-Kursen. Weil der Kurs „Ich lerne, Nein zu sagen“ seinerzeit nicht stattgefunden hat, ermögliche ich dann einen Termin. Dass ich hinterher in der Regel nichts mehr von diesen Leuten höre – nennen wir es Zufall.
Man könnte nun in Versuchung geraten, darüber zu sinnieren, ob das Schicksal es für mich vielleicht nicht vorgesehen hat, Gitarre zu spielen, sondern mein Talent eher bei solchen Dingen wie Schreiben aufgehoben sieht. Trotzdem habe ich es wieder probiert. Ein Semester später. Wir sind im Jetzt angekommen. Der erste Termin fand an einem Mittwochabend im März statt. Ein neuartiges Virus sorgte anschließend dafür, dass bis auf weiteres kein weiterer Termin stattfindet.
Gemessen daran, welche Einschränkungen diese spezielle Situation uns noch abverlangt, gehört ein Gitarrenkurs zu den letzten Dingen, die mich in Aufregung versetzen. Nachdem ich dreißig Jahre darauf gewartet habe, mit dem Lernen richtig anzufangen, kommt es auf ein halbes Jahr dann nun wirklich nicht mehr an. Worauf es ankommt: die Krise irgendwie solidarisch zu überstehen. Dass selbstgemachte Musik ein kleiner Bestandteil solcher Praktiken sein kann, zeigt das Phänomen der Balkonkonzerte. Mangels Balkon und mangels Können wird mein Wohnumfeld auf meinen Beitrag dazu allerdings verzichten müssen. Auf eine Neuauflage dieser Erscheinungen zu einem späteren Zeitpunkt würde ich im Sinne der Allgemeinheit trotzdem sehr gern verzichten. In diesem Sinne: Alles wird gut!
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