Jucken, Husten, Niesen, Kotzen, Brechen, Pissen – oder wie wahrscheinlich die meisten Leute spontan assoziieren: Feierabend eben. Das distinguiertere Publikum weiß natürlich, dass es sich hierbei um eine Auswahl der schönsten Ortsnamen handelt. Mit anderen Worten: Die Richtung ist nach zwei Sätzen schon ´mal vorgegeben; selten habe ich in nur einem einzigen Text so dermaßen viel unnützes Wissen versammelt wie diesmal.

Da wir bekanntlich alle zunächst klein anfangen, beschränkte sich meine Kenntnis unangebrachter Ortsnamen lange Zeit auf die Beispiele vor der eigenen Haustür: Linsengericht oder Wixhausen wären die Namen, die in diesem Zusammenhang zu nennen wären und dabei durchaus Maßstäbe gesetzt haben. Kennzeichnend für beide: Es reicht, daran vorbei gefahren zu sein, um den Verdacht aufkeimen zu lassen: Schön im Sinne von „Hier möchte ich mich niederlassen“ ist das nicht. Man muss nicht dort gewesen sein, um das zu spüren.

Nein, es gibt wirklich Orte in diesem Land, die außer für Sammler ausgefallener Ortsschilder nur mäßig einladend sind. Das wäre nicht weiter tragisch, gäbe es nicht Menschen, die dort ständig leben müssen. So steht beispielsweise zu vermuten, dass man im unterfränkischen Erlenbach sämtliche Nuancierungen des Gags „Entschuldigen Sie bitte, ich suche Streit“ bereits zigtausendfach gehört hat, wenn sich wieder ´mal jemand auf dem Weg in den Ortsteil mit gleichlautendem Namen befindet. Auf lange Sicht ist da selbst Schöntrinken der Situation zum Scheitern verurteilt. Die Leute haben einfach Pech. Doch nur wer das zweifelhafte Vergnügen hat, im beschaulichen Örtchen Pech etwas südlich von Bonn zu wohnen, ist echten Kummer gewohnt. Andererseits kann aber eben auch nicht jeder auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Dieses Schicksal teilen die 2700 Einwohner von Pech mit denen aus Einöd, wo der Name vermutlich auch Programm ist. Wenn man ein wenig herumkommt, entdeckt man viel Elend in deutschen Landen. Fast erwartungsgemäß im Osten der Republik etwas häufiger, weil man dort immer noch vergeblich auf die versprochenen blühenden Landschaften wartet. Es sollte also nicht überraschen, dass dort tatsächlich ein Dorf mit Namen Elend real existiert. Und irgendwie sieht es auch tatsächlich so aus. Kein Ort zum Verweilen. Das ist so ein Ort, bei dem man für gewöhnlich damit rechnet, nach der nächsten Kurve auf das Ende der Welt zu treffen.

Nicht ganz das Ende der Welt, aber dicht dran ist die Ortschaft Ende. Es leuchtet direkt ein, dass bei so einem Namen stets etwas schwierig zu beurteilen ist, auf welcher Seite des Ortsschildes man sich gerade befindet. Damit nicht genug: Einmal verkehrt abgebogen, befindet man sich schnell wieder am Anfang von Ende.

Man weiß ja, dass bei der Namensgebung für Ortschaften überlieferte historische Begebenheiten eine Rolle spielen. In manchem der genannten Fälle möchte man über die Details eventuell auch lieber nichts genaueres erfahren. Und was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Denn auch viele Straßennamen entstanden nach diesem Prinzip. Dass sprachliche Finessen bei der Namensgestaltung tendenziell nicht zu erwarten sind, weiß man nirgends besser als in Mannheim. Wer in der dortigen Innenstadt unterwegs ist, muss sich an Adressen wie D 8, 14 gewöhnen. Das ist nicht schön, aber praktisch. Und wer einmal einer Horde Mannheimer Fußballfans begegnen durfte, ahnt, dass sich die Stadt bei dieser Praxis ziemlich exakt an den intellektuellen Fähigkeiten seiner Ureinwohner orientiert hat. Zugegeben: Das System ist nachvollziehbar und mitnichten so chaotisch, wie es dem ersten Anschein nach wirkt. Bloß: Originell ist das nicht. Okay – Hammelstall als Adresse zeugt nun auch nicht direkt von ausgeprägter Fantasie. Zumindest aber unterstelle ich den Leuten, die für solche Straßennamen verantwortlich zeichnen, dass sie sonst in ganzen Sätzen sprechen oder zumindest in der Lage wären, es zu tun.

Klar gibt es eine Reihe von Straßennamen, die Fragen hinterlassen: Länge Breite gehört zum Beispiel in diese Kategorie. Wenn nicht klar ist, ob die Hausnummer sich dann auf die Länge oder die Breite der Straße bezieht und ob nicht vielleicht zu jeder Adresse dort streng genommen zwei Hausnummern gehören, müssen sich die Verantwortlichen kritische Fragen gefallen lassen. Nicht viel besser: Lange Länge. Selbst wenn vorab geklärt wäre, was demgegenüber eine kurze oder wenigstens eine normale Länge und ab wann also eine Länge wirklich lang ist, bliebe immer noch die Frage, welches Klientel man davon überzeugen möchte, ausgerechnet in dieser Straße sein Quartier aufzuschlagen.

Körperteile wie Ellenbogen oder Am Knie bezeichnen mit großer Wahrscheinlichkeit Gassen mit mehr oder weniger ausgeprägtem Knick. Auf ungefähr halber Länge, denn sonst hätte man sie Stiefel, L oder meinetwegen gleich Hockeyschläger nennen müssen. Auch bei Am Sack kann man sich mit nur ein wenig Sprachgefühl erschließen, dass es sich um eine kurze Straße mit Zufahrt nur auf einer Seite handelt. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere das letztgenannte Beispiel als Wohnadresse deutlich weniger Glamour verspricht als Parkstraße oder Schlossallee.

Auch Bunte Kuh, Schwarzer Bär oder Witte-Wie klingen nicht gerade nach der ersten Liga deutscher Wohngegenden. Das kann, muss aber nicht zwingend gleich ein Grund sein, deswegen auf die Straße zu gehen. Für manchen macht gerade das charmant Unprätentiöse eine Straße wie Rutschbahn zur Top-Adresse. Naturverbundene wissen womöglich eine Straße namens Ast als Adresse zu schätzen. Und eigentlich wäre es nur konsequent, in dieser Straße keine Reihenhäuser zu errichten, sondern individuelle Baumhäuser, um Amsel, Drossel, Fink und Star und meinetwegen auch dem Rest der Vogelschar so nahe wie möglich zu sein. Und wer mag, findet sogar in der Einhornallee seinen Seelenfrieden. Denn am Ende landen wir ohnehin alle auf dem gleichen Acker und niemand fragt danach, ob man einen Bewohner von Pissen als Pissener oder als Pisser ansprechen soll. Daher sollte sich niemand seiner Herkunft wegen zu schämen brauchen.

Wenn man so will, also nicht einmal Mannheimer.