Bereits in frühen Kindheitstagen bekommen wir gelehrt: Wenn dieser Satz fällt, wird es unlustig, wird jemand zum Spielverderber, werden unpopuläre Entscheidungen verkündet und begründet. Sofern die weitere Entwicklung ansatzweise im Rahmen des Üblichen verläuft, geht diese Killerphrase wenig später allmählich in den eigenen Formulierungsschatz über. Weil man nicht alles haben kann, müssen politische Entscheidungsträger schon seit einigen Wochen das tun, was früher Papa vorbehalten war: äußerst unpopuläre Entscheidungen verkünden. Ohne die grundsätzliche Richtigkeit der allermeisten Maßnahmen zur Eindämmung dieses neuartigen Virus´ in Frage zu stellen, kann nach den ersten warmen Wochenenden des Jahres frei nach Loriot festgehalten werden: Ein Leben ohne Flohmarkt ist möglich, aber sinnlos.

Dennoch würde ich Stand heute wohl kaum mit wehenden Fahnen auf den erstbesten Basar stürmen, sobald auch hier die Beschränkungen wieder fallen. Dafür fehlt mir momentan schlicht und ergreifend das Vertrauen, dass Flohmarkt-Teilnehmer diesseits wie jenseits des Tisches Hygienekonzepte zu begreifen und sich daran zu halten in der Lage wären.

Mit etwas Abstand betrachtet, kann einem das Gedränge auf den Märkten schon unter völlig normalen Umständen den Spaß verderben. Gegenseitige Rücksichtnahme ist in diesem Treiben ähnlich gering ausgeprägt wie in einem x-beliebigen Supermarkt, wenn eine zusätzliche Kasse öffnet. Warum sollte in diesem Milieu etwas funktionieren, das schon in anderen Alltagssituationen nicht klappt?! Mir ist nach 48 Lebensjahren, erst recht aber nach acht Wochen Corona-Krise die Vorstellungskraft abhanden gekommen, dass ein Flohmarkt in Bezug auf die Einhaltung von Hygieneregeln exakt so ablaufen könnte, wie sich der Gesetzgeber das vorgestellt hat. Wo Händler einem im Brustton der Überzeugung erklären, den Radiowecker „heute früh noch zuhause getestet“ zu haben, während die Staubschicht auf dem Gerät verrät, dass es wohl eher seit Jahren nicht mehr angerührt wurde, bedarf es schon einer gehörigen Portion Fantasie, möchte man zu anderen Schlüssen gelangen.

Mit dieser Einschätzung gerate ich natürlich in Konflikt mit den gängigen romantisierenden Beschreibungen solcher Märkte. Da ist die Rede von einem Gegenentwurf zur Wegwerfmentalität, da wird das Flair des Flanierens gelobt, werden Rost und andere Gebrauchsspuren eines leblosen Gegenstandes zur Seele desselben verklärt. Wer möchte, kann diesen Narrativen weiterhin folgen. Mir persönlich sind Charme und Atmosphäre des Geschehens weitgehend egal. Wenn ich auf den Flohmarkt gehe, möchte ich sinnlos Geld ausgeben. Ich möchte Sachen kaufen, die ich nie vermisst habe, weil ich nicht ahnen konnte, dass es so etwas überhaupt gibt. Wenn man sowieso eigentlich alles hat, bleibt einem ja auch schon fast gar nichts anderes übrig. Das kaufentscheidende Kriterium ist nicht, ob ich das benötige. Solche Fragen zu klären ist später zuhause noch genügend Zeit. Mit solchen Fragen will ich mich nicht aufhalten, wenn ich gerade im Begriff bin, den Preis für eine CD eines schwarzen Rappers ´runterzuhandeln, auf der 50 Cent steht, für die der Verkäufer jedoch einen Euro haben will. Ich gebe zu: Diese Einstellung hat mich schon in die ein oder andere Verlegenheit platztechnischer Art gebracht. Von den Auseinandersetzungen mit meiner Ex-Gattin ganz zu schweigen. Meine Eltern hatten schon irgendwie Recht mit ihrer Behauptung, man könne nicht alles haben.

Bei einer meiner schönsten Flohmarkt-Anekdoten spielt allerdings nicht mein Konsumverhalten, sondern das einer anderen Person die Hauptrolle:

Mit meiner damals besten Freundin war ich wie beinahe jeden Samstagvormittag auf Schnäppchenjagd. Ich war ihr ein paar Meter voraus und achtete mit regelmäßigen Blicken nach hinten darauf, dass wir uns nicht aus den Augen verlieren. So konnte ich beobachten, wie sie an einem Stand stehengeblieben war und sich dort gerade eine Wollmütze überstülpte. Soweit für mich aus der Distanz zu erkennen, war diese wie gemacht für eine Angehörige der linksalternativen Szene: Individuell, dafür hässlich. Wenn der Preis stimmt, wird sie zuschlagen, dachte ich mir noch so, ansonsten aber weiter nichts. Nachdem sie mich wenig später wieder eingeholt hatte, wollte ich dann wissen: „Und..?“ Sie meinte, als sie nach dem Preis gefragt hatte, habe sie der Verkäufer leicht verlegen aufgeklärt, dass es sich bei der „Mütze“ eigentlich um einen Kannenwärmer handele. Mit diesem Insiderwissen hat sie anschließend von weiteren Verhandlungen lieber Abstand genommen.

Man muss ja auch nicht alles haben.