Wenn ich manche Sprüche schon lese, möchte ich regelmäßig in den Bildschirm beißen. „Alles, was Du über mich hörst, kann genauso falsch sein wie die Person, die es Dir erzählt hat.“ Einfach ´mal schamlos im Textbaukasten für Deutschrock-Songs bedient, und fertig ist der Facebook-Post. Mögen solche Zeilen von einem Freund oder Bekannten vorgetragen, das heißt von einem der wenigen unter meinen Bekannten, von denen Sätze dieser Güteklasse zu erwarten sind, werde ich wenigstens drüber nachdenken, was ihn zu diesem Statement veranlasst haben mag. Wirft dagegen jemand Wildfremdes mit einem solchen Bekenntnis um sich, beispielsweise nämlich in einer der Singlegruppen, in denen mich im gleichen Netzwerk mehr oder weniger freiwillig herumtreibe, ist mit nicht besonders viel Verständnis meinerseits zu rechnen.
Es stellt sich objektiv so dar, als ob da tatsächlich jemand der Ansicht ist, dass Beiträge dieser Qualität ein probates Mittel sind, um im Sinne der Partnerfindung Werbung in eigener Sache zu betreiben. Jemand kommentiert den Beitrag mit „Wie war“ (sic!); dazu gesellen sich zwei weitere tendenziell zustimmende Wortmeldungen anderer Gruppenmitglieder. Ich stelle fest, dass ich mit meinen seltenen, stets jedoch wohl durchdachten Versuchen, auf meine Person aufmerksam zu machen, durchschnittlich weniger Reaktionen generiere und stelle mir die Frage, wer von uns hier eigentlich verkehrt ist.
Bei einer Blitzrecherche auf den jeweiligen Profilen fördere ich zutage, dass Urheber wie Befürworter solcher Postings auffallend häufig die „Schule des Lebens“ besucht haben oder aktuell noch besuchen. Das kann man so schreiben, wenn man tatsächlich der Ansicht ist, im Vergleich zu anderen Menschen vom Schicksal besonders hart gebeutelt worden zu sein. Bei mir war das das letzte Mal mit etwa 16 Jahren der Fall gewesen. Man kann durchaus zu unterschiedlichen Beurteilungen der Frage kommen, inwieweit ein solcher Eintrag im Einzelfall passend ist oder nicht. Doch wie auch immer die Antwort ausfallen mag, sollte man sich über eines im Klaren sein: Die Idee ist inzwischen alles andere als originell, ein Alleinstellungsmerkmal ist der Aufenthalt auf der Schule des Lebens mitnichten. Auf den Kontext einer Singlegruppe übertragen würde ich daher nicht davon sprechen, dass jemand durch seinen Besuch dieser Einrichtung interessanter geworden wäre. Eher ist das Gegenteil der Fall. Dann doch lieber Frankfurter Schule.
Nicht wesentlich besser, obwohl in der Stoßrichtung eigentlich sympathischer, sind Bekenntnisse wie „Es ist nicht Dein Gesicht oder Dein Körper, der Dich perfekt macht, sondern Dein Herz.“ Das klingt toll, wird aber der Komplexität gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht gerecht. Das wäre ein Ziel, für das es sich zu leben lohnt, aber solange ich mich auf dem Markt der Singles behaupten muss, kann ich nicht nach solchen Sprüchen leben, sondern muss auf Äußerlichkeiten achten, sofern meine in dieser Hinsicht bescheidenen Möglichkeiten dies zulassen. Die Realität ist da gnadenlos. Unter Singles wird nicht honoriert, dass Du eine coole Sau bist, wenn Du das Pech hast, scheiße auszusehen. Da hilft auch nicht der beste Tipp von allen, der online wie offline herumgeistert. Das Schlüssel-, Reiz- und Unwort in einem heißt
Authentizität
Gute Freundinnen geben einem gern diesen Rat. Da es unwahrscheinlich anstrengend ist, permanent eine Rolle zu spielen, kommen wir dem gern nach und bleiben authentisch. Mit dem Effekt, dass die nächsten Bekanntschaften eben wieder nur zu guten Freundinnen werden. Und dann kennt da jeder mindestens einen Typen, dessen Form von Authentizität zufällig dem Beuteschema der meisten Frauen entspricht. Und weil der sich natürlich kein bisschen anstrengen muss, um authentisch zu sein, gibt er einem natürlich auch den selben Tipp: authentisch sein. Dabei ist doch die Kernfrage noch nicht einmal gestellt, nämlich wie authentisch es eigentlich sein soll, an mehreren Tagen in der Woche seinen Körper zu formen, wenn es nicht darum geht, hinterher schneller oder stärker, sondern lediglich darum, beeindruckender zu sein.
Das letzte Mal, das ich mir vornahm, mehr für meinen Körper zu tun, ging es im Prinzip um nichts anderes: Das Ziel war, nach zehn Wochen befähigt zu sein, zehn Liegestütze zu machen. Die Frage, ob ich überhaupt jemals in die Verlegenheit geraten sollte, ohne diese Fähigkeit im Leben nicht mehr weiterzukommen, stellte ich mir nicht. Zum Glück verriet mir mein Trainer alsbald, dass sich Muskeln nicht beim Training selbst, sondern stattdessen in den Pausen entwickeln.
Das hätte man mir nicht sagen dürfen.
Die Pause dauert inzwischen etwa 21 Monate, und in dieser Zeit habe ich gelernt, dass auch Dicke sehr effizient zur Steigerung des Bruttosozialprodukts beitragen können. Zwar habe ich mich gefragt, wie jemand überhaupt darauf kommt, diesen Zusammenhang erforschen zu wollen. Aber die gewonnenen Erkenntnisse ließen solch skeptische Überlegungen schnell in Vergessenheit geraten. Und zwar weiß man seitdem, dass Gäste eines Restaurants mehr Alkohol und darüberhinaus viermal so häufig einen Nachtisch ordern, wenn sie von einer Bedienung mit hohem BMI versorgt werden.
In der Schule des Lebens hätte ich das vermutlich nicht gelernt.
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