„Da erscheinen erst ´mal ganz Andere auf dem Radar“, beruhigte mich mein Kollege. Zuvor hatte ich die Sorge geäußert, mit unseren Macken könnten wir für die neue Aushilfe mit ihrem Bachelor in Psychologie erstklassige Studienobjekte sein.

Weihnachtsfeiern eignen sich üblicherweise hervorragend, um einen solchen Befund zu belegen. Gleichzeitig kam mir während dieser Festivität auch der Gedanke, dass es genau jetzt an der Zeit wäre, einmal die komplette Belegschaft auszutauschen.

Zugegeben: Eine solche Maßnahme mag zunächst radikal erscheinen. Aber letzten Endes lässt sich nur so ein erneutes Wiedersehen mit den unbeliebtesten Schrottwichtel-Geschenken im nächsten Jahr zuverlässig vermeiden.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es jetzt für oder gegen das Konzept des Schrottwichtelns spricht, aber: Selbst eines von zwei im vergangenen Jahr äußerst gefragten Objekten hatte den neuen Besitzer gerade noch ausreichend beeindruckt, um es nicht bereits im Laufe des Jahres der stofflichen Verwertung als seiner endgültigen Bestimmung zuzuführen, sondern es immerhin bis zur Wiedervorlage in diesem Jahr aufzubewahren.

Dabei war der Eiscrusher so begehrt gewesen. Nachdem der letztjährige Empfänger jedoch gestand, das Küchengerät diese ganzen 365 Tage lang ebenso wenig benutzt zu haben wie sein Vorbesitzer, war der Reiz, das Ding zu ergattern, diesmal auch für alle anderen Teilnehmer schnell verflogen.

Es könnte aber auch daran gelegen haben, dass es dieses Jahr ein echtes Übergeschenk in der Verlosung gegeben hat: den singenden Fisch.

Noch kürzlich hatten wir uns auf der Arbeit darüber verständigt, uns ein stilvolles akustisches Signal zuzulegen, das die geschätzten Kollegen betätigen, wenn sie mir Arbeit hinstellen. Über Tröten und Rezeptionsklingel sind wir dann darauf gekommen, einen dieser Fische aufzuhängen, die „I will survive“ und „Don´t worry, be happy“ singen. Also hatte ich angekündigt, bei meinen nächsten Flohmarktbesuchen nach einem solchen Fisch Ausschau zu halten.

Und dann wird da auf der Feier dieses Ding ausgepackt! Für einen Moment drohte die große Frage, ob es Zufälle gibt, nicht nur das Wichteln, sondern die komplette Feier zu überschatten.

Um Euch nicht allzu lange im Trüben fischen zu lassen: Gibt es natürlich nicht. Der Fisch kam von einem Aushilfskollegen, der sich nach Bekanntgabe der Neuauflage des Schrottwichtelns an die Unterhaltung erinnert hat. Aber was für ein toller Hecht: Tauscht ´mal eben sein altes FIFA15-Spiel gegen diesen Fisch ein, um ihn uns bei der Weihnachtsfeier zu servieren. Petri Dank für diese Aktion! Wenn demnächst die komplette Belegschaft ausgetauscht wird, dann machen wir bei ihm eine Ausnahme. Und umgehen damit nebenbei eine an sich unzulässige Doppelbestrafung. Denn dieser wäre er dann zwangsläufig ausgesetzt, weil im Sommer auch noch sein Lieblingsfußballverein aus der 2. Bundesliga absteigen wird.

Das Wichteln bescherte uns also Eiscrusher und Fische, dazu hatten wir die obligatorischen Kerzen und DVDs. Bücher waren heuer etwas unterrepräsentiert, aber wir hatten auch das große schwere Päckchen, das Sachkundige umgehend als den alten Tintenstrahldrucker identifizierten, der letztes Jahr schon die Runde gemacht hatte. Im Prinzip auch für diese Aktion einen Daumen hoch. Denn einen Gegenstand wie beispielsweise besagten Icecrusher zu behalten, weil man ihn vielleicht irgendwann einmal benötigen könnte, ist das eine. Für einen Drucker, von dem man schon weiß, dass man ihn nicht in Betrieb nehmen wird, ein ganzes Jahr lang einen Platz irgendwo in der Wohnung vorzuhalten, weil man diesen einen Plan hat: nämlich ihn bei der nächsten derartigen Zusammenkunft wieder in den Ring zu werfen, das hat Stil! Butter bei die Fische: Ich fordere eine Jobgarantie für den jungen Mann!

Schöne Bescherung

Auch den Kollegen, den wir im Vorfeld extra noch mehrfach darauf hingewiesen haben, dass sich als Wichtelgeschenk die eine (!) schmutzige (!) Radzierblende aus dem Vorjahr nicht wiederholen sollte, müssen wir eigentlich im Team behalten. Weil er sich immerhin zu einem selbst gefertigten Schraubstock gesteigert hat. Und weil man bekanntlich nie weiß, wann man zufällig ´mal wieder eine Leiche benötigt und dann dankbar ist, wenn jemand da ist, der eigentlich entbehrlich ist.

Dass diese Frage nicht nur theoretischer Natur ist, zeigte sich, als wir später beim Ausprobieren eines Spiels, bei dem Tischtennisbälle direkt, mit Aufsetzer, über Bande oder andere Hindernisse in einem Becher untergebracht werden müssen, die Figur „Nur über meine Leiche“ spielen wollten. Da wir gerade niemandes sterbliche Hülle bei der Hand hatten, mussten wir uns also eine besorgen. Und also habe ich gefragt, wer aus unserem erlesenen Kreis am ehesten abkömmlich ist. Und dann kann man sich ja sicher sein, dass trotz der enthemmenden Wirkung des Alkohols fast alle schweigen.

Fast.

Man kann sich nämlich genauso sicher sein, dass es einen Kollegen gibt, der völlig unverkrampft spontan ausspricht, was die meisten denken. Und so hatten wir dann doch noch diese eine Situation, in der die Stimmung auch gern ´mal kippt. Dank der souveränen Nicht-Reaktion des Angesprochenen tat sie das nicht.

Zum Glück, denn sonst wäre ein spätes Geständnis womöglich im allgemeinen Trubel untergegangen: Einer der Kollegen hat uns alle beim Wichteln betrogen! Ganz als ob er keine Freundin hätte, die die Bude voll Tinnef stehen hat, hat er seinen Wichtel-Beitrag nämlich extra gekauft. Hätten wir das ´mal gewusst. Er wäre sehr wahrscheinlich einer der ersten Menschen gewesen, die beim Schrottwichteln disqualifiziert werden.

Zumindest bedeutete seine Beichte eine gleichzeitige Entlastung in einem anderen Fall. Denn dass wir nämlich ein Geschenk zu wenig hatten, kann ja mathematisch nur darin begründet liegen, dass einer der Gäste ohne Wichtel erschienen ist. Ich will nicht wissen, was noch alles nach und nach ans Licht kommt.

Der Fisch ist übrigens inzwischen gerade rechtzeitig vor meinem wohlverdienten Urlaub im Lager angekommen, weil dem Begünstigten klar wurde, dass er bei sich zuhause zum Staubfänger mutieren würde. Ich selbst bin mein Puzzle losgeworden. Wie Fische übrigens auch, strahlen Puzzles ja eine gewisse Hektik aus, die meinem Lebenswandel zunehmend weniger entspricht. Ich bekenne: „Zunehmend weniger“ klingt nicht so ganz logisch. Auf der anderen Seite sprechen wir doch aber auch ohne jeden Anflug von Zynismus von „glücklich verheiratet“, ohne dass sich jemand daran stört. Zurück zur Feier: Ich habe eine DVD erhalten. Action. Genau das richtige Genre für jemand, der wie erwähnt beim Puzzlen schon zuviel Adrenalin ausschüttet. Konnte ich noch gegen einen Coming-of-Age-Film eintauschen. Passt eher zu mir. Natürlich nur wenn man die in solchen Filmen obligatorische Lovestory abzieht. Aber um unpassende Geschenke musste ich mir zum Glück sowieso fast nie Gedanken machen. Die waren einfach immer da.

Was habe ich nicht schon alles zum Geburtstag bekommen in jungen Jahren: Verkehrsschilder und Eisfahnen waren da nur die Spitze des Eisbergs. Oder die sieben-saitige Gitarre, die nicht einmal den Anlass eines Geburts-, Namens- oder Sonstwas-Tages gebraucht hatte, um von der Straße aufgehoben und mir später überreicht zu werden. Die dann irgendwann sehr viel später als Teil einer Showeinlage während des Zeltlagers immerhin einmal in ihrem viel zu langen Leben einen gewissen Zweck erfüllte. Gitarre und Lagerfeuer, das passt halt einfach zusammen. Allzu lange hat sie zwar auch nicht gebrannt, aber um einen Moment knisternder Rockstar-Romantik zu erzeugen, hat es gereicht.

Wie ich so über all das nachdenke, ist es vielleicht doch keine so gute Idee, die komplette Belegschaft auszutauschen. Zum einen habe ich sie alle auch irgendwie lieb gewonnen. Samt ihrer Macken. Zum anderen sind schlechte Geschenke wenigstens retrospektiv für die besseren Storys gut. Gegenüber den mittelmäßigen Gaben haben die richtig schlechten Präsente den eindeutig höheren Erinnerungsfaktor. Und mir gefällt allmählich auch die Vorstellung, bei der Weihnachtsfeier in fünf Jahren zu rätseln, wer den Drucker, den Icecrusher und all das andere uns alle Jahre wieder begegnende Zeug eigentlich ursprünglich eingebracht hatte und durch wessen Hände die Sachen in der Zwischenzeit gegangen sind.

Das ist eigentlich nicht Teil des Spiels. Aber es könnte einer werden.