Früher war nicht alles besser. Technischen Schnickschnack mit fragwürdigem Nutzen beispielsweise gab es auch schon lange bevor unsere Wohnungen smart wurden. Klassisches Beispiel hierfür ist die Schlummertaste des Weckers.
Man tritt der Schlummertaste garantiert nicht zu nahe, wenn man sie mit einem langjährigen Partner vergleicht, den man auch nur noch aus Gewohnheit benutzt, weil er nun halt ´mal da ist, aber nicht mehr, weil man ihn richtig geil findet. Ich jedenfalls gebe mich nicht mehr der Illusion hin, dass diese Funktion den Start in den Tag, der ja nun so oder so stattzufinden hat, in irgendeiner Weise erleichtert. Man ist doch so kurz nach dem Aufwachen gar nicht in der Lage, eine kluge Entscheidung zu treffen: Ob man die dem Tagesablauf entliehenen zehn Minuten jetzt nutzen soll, um tatsächlich nochmal fest einzuschlafen, oder ob man sich lieber freut, einfach noch halbwach eine kurze Runde liegenbleiben zu können, um sich während dieser Zeit mental auf das am Ende ja doch unausweichliche Aufstehen vorzubereiten. Hat man das Glück, in Offenbach aufwachen zu dürfen, kann man sich diesen Zustand je nach Uhrzeit sogar schon von ab- und anfliegenden Flugzeugen untermalen lassen. Das ist eben der Vorteil, wenn man dort wohnt, wo andere in den Urlaub starten.
Auch ohne solche Begleitmusik endet die Frage in einem Kompromiss, der seiner Eigenschaft als Kompromiss auch absolut gerecht wird, indem er beide Bedürfnisse nicht wirklich befriedigt: Man grübelt rund acht Minuten lang, und schon ist man wieder eingeschlafen. Und weil´s so schön war, kann man sich zwei weitere Minuten später auf eine Wiederholung dieses Trauerspiels einstellen. Geübte Menschen können diese Performance locker sechs-/siebenmal wiederholen. Die Grenzen nach oben sind ohnehin offen. Zumindest wenn man das Glück hat, sich die Wohnung nicht mit einem festen Partner teilen zu müssen. Denn einer verliert bei diesem Spiel immer.
Nachdem also mit Aufstehen oder Liegenbleiben die ersten Entscheidungen des Tages mehr oder weniger intuitiv getroffen wurden, geht es früher oder später – zumindest bei den meisten Menschen – um komplexere Gedankengänge. Diese Woche ist mir bei der morgendlichen Hunderunde sogar eingefallen, was mich daran hindert, ein glücklicherer Mensch zu werden. Andere Menschen nämlich. Vorzugsweise in Gestalt von besorgten Bürgern, dogmatischen Fußballfans oder einfach nur schlechten Autofahrern.
Weil dank der segensreichen Erfindung der Schlummertaste etliche Zeitgenossen verspätet in den Tag gestartet sind, muss die verlorene Zeit ja irgendwie wieder ´reingeholt werden. Schnellstmöglich ist hier Programm. Riskante Überholmanöver, die notwendig werden, weil einem Teil der Autofahrer die innerorts geltenden 50 km/h verbindliche Höchstgeschwindigkeit sind, einem anderen Teil aber lediglich als grobe Empfehlung dienen. Ich mache das nicht an Fahrzeugtypen fest. Eher schon daran, dass das amtliche Kennzeichen mit FB beginnt. Und das Feindbild Opa mit Hut tausche ich gern ein gegen junge Männer, die zu cool für diese Welt sind.
Letzte Woche hatte ich wieder so ein Exemplar zunächst hinter, dann vor mir. Der Beifahrer – zumindest hoffe ich, dass es der Beifahrer war und nicht der Pilot selbst – hängte auch noch seinen Schädel zum Fenster ´raus und bildete sich wahrscheinlich auch noch ein, ich könnte oder wollte irgendetwas von dem verstehen, was er da von sich gibt. Wahrscheinlich aber sollte mir dieser Move ebenso wie die vorherige Lichthupe signalisieren, dass sie mit meiner Fahrweise nicht einverstanden sind. An und für sich wirklich nicht mein Problem, wenn die beide an dem Tag die Medikamentenausgabe geschwänzt haben. Ich sehe aber auch ein, dass ich nicht alle diese Leute einfach so erschießen kann, bloß weil niemand so gut Auto fahren kann wie ich.
Zur Versachlichung der Debatte mit mir selbst schlage ich vor, jeden Führerscheinanwärter obligatorisch zum Wesenstest zu schicken. Man müsste nicht jeden, der dort nicht besteht, umgehend einschläfern. Aber die Straßen wären frei, es gäbe überall Parkplätze, und selbst die Umwelt hätte etwas davon, wenn nur noch die Hälfte der Autofahrer unterwegs sein dürfte.
Wenn wir gerade dabei sind: Das alles wirft zumindest die Frage wieder auf, weshalb in einer Welt, in der so vieles bis ins Detail reglementiert ist, nach wie vor keine verbindlichen Eignungsvoraussetzungen existieren, um im world wide web nicht nur Blödsinn abzusondern. Aus meiner Sicht besteht hier akuter Handlungsbedarf. Die nochmalige Lektüre der letzten beiden Absätze dieses Textes unterstreicht die Dringlichkeit dieses Ansinnens.
An einem durchschnittlichen Tag kann man also davon ausgehen, dass mindestens ein Idiot dafür sorgt, dass ich bereits um 9 Uhr auf 180 bin.
Und da hat die Arbeit noch nicht ´mal angefangen.
Vielleicht ist die Arbeit auch eigentlich ein wundervoller Ort und die Kollegen dort allesamt spannende Menschen. Was ich einfach nur regelmäßig versäume zu registrieren, weil ich schon zu genervt bin von all den anderen Einzellern, die mir auf dem Weg dorthin schon begegnet sind.
„Absurder Gedanke zum Schluss eben, da hat mir mein Unterbewusstes wohl einen Streich spielen wollen“, denke ich so bei mir, während ich zum garantiert letzten Mal heute früh die Schlummertaste betätige.
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