Als ich neulich auf der Suche nach Inspiration in alten Texten von mir blätterte, gelangte ich bald an einen Punkt, an dem mir wieder einmal gewahr wurde: Manche Lektion, die das Leben uns lehrt, hätte ich wirklich früher begreifen können.
So trug sich seinerzeit in etwa um die Jahrtausendwende zu, dass ein Bekannter, mit dem mich nicht viel mehr als ein gemeinsamer Freundeskreis verbindet, mir unerwartet seinen Respekt bekundete. Da wir uns politisch nicht unbedingt nahe stehen, wisse er zwar fast immer schon vorher: Was ich zu sagen habe, wird ihm nicht passen. Aber weil ich mich grundsätzlich gut informiere, bevor ich meine Meinung kundgebe, höre er mir stets gut zu. Als Beleg für meinen Wissensdurst betrachtete er meine Berge an Büchern, Zeitschriften und Zeitungen, die sich zuhause zu jener Zeit besonders hoch türmten. Damit hatte er mich getroffen, ohne überhaupt gezielt zu haben. Was soll ich sagen?! Weder an jenem Abend noch irgendwann danach beichtete ich ihm, dass das Besitzen dieser Bibliothek und das Gelesenhaben der Werke zwei Paar Schuhe sind.
Die Erfahrung, die mich diese Geschichte lehrt, begreife ich in ihrer gesamten Dimension auch erst heute. Und leider, so muss ich eingestehen, ist mir jetzt auch ein bisschen peinlich, dass viele andere sie vor mir verstanden und entsprechend gehandelt haben. Von mir nämlich absolut unbeabsichtigt, hat sich hier jemand aufgrund der Gestaltung meiner Wohnung ein Bild von meiner Person gemacht. Ein mehr als deutlicher Fingerzeig also in Richtung: Man kann sich nicht nicht inszenieren. Auch frühere Hinweise, dass ich auch dann auf andere Menschen wirke, wenn ich mir gar nichts dabei denke, habe ich gekonnt ignoriert. Zum Beleg, dass diese Dynamik auch in eine weniger bauchpinselnde Richtung gehen kann, sei die Bekannte erwähnt, die mich und meine damals allgegenwärtige Bierflasche in meiner Hand als siamesische Zwillinge bezeichnete.
Worauf ich mit diesen beiden Begebenheiten hinauswill: Die Leute werden so oder so ein Image von Dir zeichnen und eine passende Schublade suchen, in die sie Dich einordnen können. Insofern war es aus heutiger Sicht schon ziemlich fahrlässig, sich im Spannungsfeld zwischen Authentizität und Showbusiness seine Nische ausgerechnet an diesem einen Pol dieser Extreme zu suchen und sich um die Außenwirkung genau genommen gar nicht zu kümmern. Klar: Man hat als Jugendlicher darauf geachtet, sich genauso zu kleiden wie die anderen Angehörigen der Subkultur, der man sich zugehörig wähnte. Was ja auch eine Aussage ist. Das war es dann aber auch schon.
Dabei geht es ja überhaupt nicht darum, seinen Bedürfnissen nicht mehr zu folgen und nur noch das zu tun, von dem man erwartet, dass andere es goutieren. Sondern lediglich darum, etwas mehr Kontrolle darüber zu gewinnen, was bei den Mitmenschen welchen Eindruck hervorruft.
Denn: Der größte Fehler meines Lebens war ja wohl die Annahme, dass die meisten Menschen schon irgendwie blicken, was ich drauf habe und ich mich also um meine Positionierung – privat wie beruflich – nicht kümmern müsste. Es mag schon sein, dass nicht alle Leute ein Buch ausschließlich anhand seines Umschlags bewerten. Aber auf den ersten zwei bis drei Seiten, die sie sich eventuell die Mühe machen zu lesen, sollte irgendwo ein Brett dabei sein. Ein Argument, sich intensiver mit Dir zu beschäftigen. Es gilt, die Wirkung des Scheins für sich zu nutzen, um die Aufmerksamkeit auf das Sein zu lenken.
Inzwischen habe ich sogar meinen Markenkern herausgearbeitet. Und auch wenn ich mich nicht in jeder Sekunde meines Lebens bei jeder Handlung frage, ob mein momentanes Tun auch in meine Marke einzahlt, war es mir das Nachdenken darüber wert.
Das Ende der Bescheidenheit
Manchmal muss man auf die Trommel hauen. Wie die anderen es mir vormachten und -machen.
Jeder kannte doch mindestens einen dieser Typen, die immer und überall eine Gitarre oder wahlweise zumindest ein Skateboard dabei hatten. Irgendwann, so meinte ich zu ahnen, kommt der Zeitpunkt, an dem diese Leute auch abliefern und diese Accessoires auch einmal bedienen müssen. Auch die Rede vom „best lover in town“ muss irgendwann einmal bestätigt werden. Ich dachte wirklich, dass die anderen Leute es checken werden, wenn da immer nur warme Luft aus irgendjemandes Mund kommt. Ich habe schon als Jugendlicher manche Sachen nicht gebracht, einfach nur weil ich dachte: Das muss ja irgendwann auch auffliegen. Und dann wird man älter, manche Menschen werden in dieser Zeit auch vernünftiger, man lebt so sein Leben, und irgendwann stellt man dann fest: Muss gar nicht. Die Annahme, dass dem so sei, entpuppt sich als der zweitgrößte Fehler meines Lebens. Die Blender kommen tatsächlich gut durchs Leben mit ihrer Masche, großenteils besser als ich. Weil die Anderen es nicht schnallen. Oder weil sie es schnallen, aber hinnehmen, solange es trotzdem „irgendwie“ läuft. Wie so oft bin ich mir unschlüssig, ob mich ersteres oder zweiteres mehr empören soll. Einig bin ich mit mir nur darin, dass es nicht zu spät ist, das Ende der Bescheidenheit einzuläuten. Meine nächste Geschichte wird auf folgende Weise erzählt:
Die Frauen stehen Schlange bei mir. Ihre Kinder an der Hand, rufen sie bald auch ihre Männer hinzu und befehlen ihnen: „Sieh´ genau hin, dann kannst Du das das nächste Mal auch machen.“ Die Kerle wiederum starren eher beeindruckt auf mein Arbeitsgerät statt meine Fingerfertigkeit zu bewundern. Derweil ihre Frauen weiter warten bis sie an der Reihe sind, schließlich bekommen, was sie begehren, sich bedanken und manchmal gleich noch ein zweites Mal wollen. Was ich mit Verweis auf die anderen Wartenden abschlägig bescheiden muss. Aber: Sie können sich gern noch ein zweites Mal in die Reihe stellen.
Ich spüre: Hier bin ich bei den Frauen nicht auf meinen Körper noch auf mein Geld reduziert. Deswegen macht mir die Luftballonmodellage so großen Spaß.
Bis hierhin ist ja nicht eine Silbe gelogen, aber die Geschichte so herum erzählt hat zweifelsfrei mehr Drive als die Art, wie der klassische Micky das ´rüberbringen würde: „Ich mache das halt manchmal an den Wochenenden. Macht großen Spaß, die Kids finden das auch ganz cool.“
Da ich diesen klassischen, höchstens manchmal etwas brummeligen und durchaus auch ´mal einsilbigen Micky aber im Laufe der Jahrzehnte auch schätzen gelernt habe und um auch meine ebenso geschätzte langjährige Freundin Tina zu beruhigen: Der alte Micky soll nicht ersetzt, sondern nur um einige Varianten, sich zu präsentieren, ergänzt werden.
Alles andere wäre mir auch viel zu anstrengend.
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