Die Beantwortung der Frage, wie harmonisch das Weihnachtsfest verlaufen ist, hängt regelmäßig ganz wesentlich davon ab, wie frei oder voll der Gabentisch von Schnäppchen war, die Mama nach intensivem Studium eines Teleshopping-Senders als zukünftig unverzichtbare Accessoires für ihre Liebsten auserkoren hat.
Nicht erst seit vor zwei Jahren ein Spielzeug für den Kleinen von so erlesener Qualität gewesen ist, dass es den zweiten Weihnachtsfeiertag nicht mehr im gleichen Zustand erlebte, in dem es Heiligabend noch aus seiner Verpackung geholt wurde, hege ich eine gesunde Skepsis gegenüber den von solchen Sendern feilgebotenen Waren. Streng genommen muss man mit der Grundsatzkritik schon bei der Art der Produkte beginnen: Verkauft werden vornehmlich Artikel, die eine Lösung für ein Problem versprechen, von dem man vorher nicht einmal ahnte, dass man es hat. Etwas wohlwollender formuliert: Dinge, die dem Leben wieder einen Sinn geben.
Wenn ich mit meinem Blick durch das Wohnzimmer meiner Mutter schweife, fallen als erstes gewaltige Mengen künstlicher Kerzen auf, für deren Betrieb sie pro Woche etwa 300 Batterien verbraucht. Es sieht beinahe so aus als wäre sie einmal quer durchs Lager von QVC gegangen, um zuhause das Studio so originalgetreu wie nur möglich nachzubauen. Falls das Aufnahmestudio irgendwann einmal aus unerklärlichen Gründen abbrennt, können die Sender jederzeit einfach von meiner Mutter aus senden.
Bei einem Wechsel der Örtlichkeit ergeben sich ähnliche Bilder: Die Küche ist voll mit antibakteriellen Schneidbrettern, farblich korrespondierenden Messer- und Topfsets sowie weiteren kleinen, mittleren und großen praktischen Helfern, selbstredend alles zum „unschlagbaren“ Preis geschossen. In den Schränken im Flur befinden sich eine zweimal benutzte Eismaschine und diverse, nicht wesentlich öfter gebrauchte Reinigungshelfer neben weiteren Erzeugnissen, deren Existenz sie mir aus nachvollziehbaren Gründen verschweigt. Im Bad findet man mehr Kosmetika von M. Asam als im entsprechenden Regal einer durchschnittlich ausgestatteten Rossmann-Filiale.
So sehr ich meine Mutter in anderen Punkten auch verehre – an dieser Stelle hat sie auch nach über 20 Jahren Teleshopping nicht begriffen, dass die 20-minütige Produktpräsentation Werbung ist, teilweise sogar sehr plumpe, die lediglich einem Ziel dient: in kürzester Zeit so viel wie möglich davon unter die Leute zu bringen. Sorgfältiges und ausgiebiges Testen wäre in dieser Hinsicht kontraproduktiv und findet demnach nicht statt. Umso größer ist später das Erstaunen, wenn in unschöner Regelmäßigkeit das Zeug nicht so reibungslos funktioniert wie am Bildschirm noch dargeboten.
Das merkt man nicht immer sofort, später dafür nicht minder eindrucksvoll. So zum Beispiel bei den giftgrünen Fusselrollern, die man nach Gebrauch einfach abspülen, trocknen lassen und erneut verwenden kann. Ich formuliere es ´mal so: Hätten die Entwickler dieser Innovation zu einer anderen Zeit gelebt, hätte die Menschheit seitdem wahrscheinlich Feuer mit lauwarmen Flammen.
Die hartnäckigsten, letzten Endes aber ebenso ergebnislosen Diskussionen hatte ich allerdings bei einem Produkt, das im Gegensatz zu etlichen anderen nur vermeintlichen Problemlösungen umgekehrt fast schon zu gut funktioniert: Al Faras, das zuhause bei mir niemals zum Einsatz kommen würde. Was so wirksam die komplette Population an Blattläusen in unserem damaligen Garten beseitigt hat, kann einfach nicht „für Mensch und Tier gleichermaßen unschädlich“ sein, wie es bis heute behauptet wird. Tatsächlich ist der Extrakt aus Chrysanthemenblüten ein astreines Nervengift, das Insekten aufgrund seines Geruchs beim Anflug zum Abdrehen veranlasst. Wer es zu spät bemerkt, ist eben selbst schuld. Wer, wie Katzen, nicht über ein entsprechendes Enzym im Körper verfügt, um den Stoff abzubauen, riskiert fiese Vergiftungen. Weil aber nicht sein kann was nicht sein darf, argumentierte meine Mutter, das hätten die doch in der Sendung sonst gesagt. Außerdem sind Chrysanthemenblüten ja ein reines Naturprodukt. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Selbst mein Hinweis, dass Knollenblätter- und Fliegenpilz auch reine Naturprodukte sind, half nichts gegen die gebetsmühlenartig vorgetragene Beteuerung, das Zeug sei unschädlich.
Ganz und gar nicht natürlich dagegen ist ein anderes Allheilmittel aus den Häusern HSE und QVC: Pastaclean. Das Zeug hat einen so übelst strengen Geruch, dass ich lieber erst gar nicht wissen möchte, was sich darin verbirgt. Mit Pastaclean bekommt man relativ zuverlässig Flecken aus Kleidung, von Teppichen und Sesseln, dummerweise aber auch jede andere Farbe, die an dem betreffenden Stück jemals zu sehen war.
QVC macht weit über 90 Prozent seines Umsatzes über seine 1,8 Millionen Stammkunden, die im Schnitt 26mal im Jahr zum Hörer greifen und mehr oder weniger nützliche, oftmals jedoch vor allem skurrile Gegenstände ordern, nachdem diese ihnen in einer 20-minütigen Gehirnwäsche ausreichend schmackhaft gemacht wurden. In allen Studien zum Thema stößt man darauf, dass 80 Prozent der Kundschaft dieser Sender Frauen sind, deren durchschnittliches Alter bei über 50 Jahren liegt. Den Seniorinnen wird auf diese Weise langfristig mehr Geld aus der Tasche gezogen als durch alle Enkeltricks dieser Republik zusammen. Folgerichtig fürchten Millionen Deutsche darum, dass ihr Erbe vorzeitig verjubelt wird und sie hinterher stattdessen Dutzende Tuben Pastaclean zum Schadstoffmobil bringen müssen, weil es die später nie wieder so günstig gab als seinerzeit.
Nicht dass es Tinnef wie gruselige Puppen oder Hemdenbügler nicht auch andernorts zu kaufen gäbe. Aber die Teleshopping-Händler haben die Kunst entwickelt, von allen Dingen, die die Welt nicht braucht, die unterirdischsten aller Angebote herauszufiltern und sich dann zu sagen: „Das kriegen wir noch schlechter hin, meine Damen und Herren! Geht nicht, gibt’s nicht.“ Das Publikum seinerseits goutiert diesen Ehrgeiz, indem es bestellt.
Man kann sich das durchaus schönreden: Man spart Zeit und Benzin, weil die Fahrt zum Fachgeschäft entfällt. Man hat keinen Stress im Geschäft und muss sich nicht über inkompetente Verkäufer ärgern. Woher allerdings der Glaube kommt, ausgerechnet bei HSE und Co. eine ausgewogene Beratung zu erhalten, hat noch niemand vernünftig zu erklären vermocht.
Die Illusion, der Moderator als Verkäufer nehme sich Zeit für einen, ist wohl einer der Gründe für den Erfolg dieses Vertriebswegs. Den Moderatoren gelingt, was Verkäufern im stationären Handel nicht oder nicht mehr gelingt: Vertrauen aufzubauen. Sie erzählen Geschichten zu den gezeigten Produkten, sind nett, menschlich und nahbar. Dafür bekommen sie Fanpost. Dass man sich die Zeit nimmt, jeden Quadratzentimeter eines Mikrofaser-Handtuchs detailliert zu erklären, steigert die Konsumlust. Da wird dann auch gern mal drüber hinweggesehen, dass die Sachen so geil gar nicht sind und einem preislichen und qualitativen Vergleich mit ähnlichen Produkten nicht standhalten würden.
Neben ihrem penetranten Dauerlächeln scheint es die vornehmste Aufgabe der Moderatoren zu sein, das angepriesene Produkt zu bewundern wie das eigene Kind. Selbst wenn es nur Dinge zu erledigen vermag, die man von einem Produkt für den jeweiligen Preis selbstverständlich erwarten dürfen sollte, kennt die Begeisterung der Moderatoren weder Scham noch sonstige Grenzen.
Das Hauptproblem bleibt freilich bestehen: Die Qualität des angepriesenen Artikels wird ja nicht automatisch besser, bloß weil unentwegt wiederholt wird, wie besonders und aufregend und besonders aufregend diese bei Licht betrachtet zum Teil nicht anders als skurril zu bezeichnenden Sachen sind.
Das eigentlich Schockierende daran: Die Sender prüfen alles, was bei ihnen präsentiert wird. Die sprechen in diesem Zusammenhang wirklich von Qualitätssicherung, das ist leider kein Scherz. Das kann man bei manchen Sachen kaum glauben, aber wenn man weiß, wie wenig dort dem Zufall überlassen wird, muss man zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass die sehr genau wissen, dass die Qualität der vorgeführten Waren in keinem Verhältnis zu ihrem Verkaufspreis stehen. Aber sie kommen mit dieser Masche so gut durch, dass kein Anlass besteht, daran etwas zu ändern.
Bei der Betrachtung des Erfolgs dieser Sender darf ein wichtiger Bestandteil nicht fehlen: Indem ständig eine sinkende Verfügbarkeit des gepriesenen Artikels eingeblendet wird, wird bei den Menschen vor den Bildschirmen massiver Druck aufgebaut, möglichst sofort zum Hörer zu greifen und die Bestellung aufzugeben. Gerade die Angehörigen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration kennen das Gefühl noch von früher, wenn etwas knapp war und man sich also beeilen musste, zuzuschlagen.
Konsumieren gegen die innere Leere und der rund zweiminütige Kick, etwas Neues in den Händen zu halten, ist allerdings kein spezielles Problem, das diese Generation der Kernzielgruppe der Homeshopping-Sender exklusiv hätte, sondern ein grundsätzliches: Wer lästert, sei daran erinnert, dass Teile der jüngeren Generation Videos anschauen, in denen Leute, die selbst für eine Teilnahme beim Dschungelcamp zu unbekannt sind, ihre Einkäufe auspacken und sich dabei vor ihrer Fangemeinde keineswegs rechtfertigen, warum sie dies oder jenes gekauft haben, sondern sich im Gegenteil dafür feiern lassen. Dass nur einen Mausklick entfernt ein anderer Influencer erklärt, wie man Minimalismus praktiziert und den Mist wieder loswird, den man bei seinem Kollegen als heißesten Scheiß verkauft bekommen hat, macht die Angelegenheit nicht übersichtlicher. Besser schon gleich gar nicht. Ich möchte mir kein Urteil anmaßen, denn meine eigenen Kaufentscheidungen folgen wahrlich nicht immer rationalen Erwägungen, aber das alles wirkt nicht wirklich gesünder als die Praktiken der Homeshopping-Sender.
Jede Gesellschaft hat eben nicht nur die Produkte, sondern auch die Vertriebsformen, die sie verdient. Und da es ja wirklich allerhöchste Zeit wird, dass man zugunsten des Planeten und der nächsten Generationen auf mancherlei Dinge verzichtet – ich sehe bei den meisten der Sachen, welche via Teleshopping verhökert werden, ein wirklich sehr großes Potenzial für diesbezügliche Maßnahmen.
Im Sinne eines harmonischen Weihnachtsfestes war es dieses Jahr förderlich, dass bei uns nichts dergleichen unterm Weihnachtsbaum gelandet ist. Danke dafür, Mama, und natürlich auch für Tausende weitere Geschenke materieller und noch mehr immaterieller Art in den vergangenen bald 48 Jahren nicht nur an Weihnachten!
Mancher mag an dieser Stelle natürlich einwenden, dass Fanartikel von Eintracht Frankfurt unter gewissen Umständen auch überteuert und überflüssig sein können.
Aber in diesem Fall ist das Geld wenigstens für eine gute Sache ausgegeben worden. Und darum, Gutes zu tun, geht es an Weihnachten ja schließlich auch.
Wenigstens ein bisschen.
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