Wie es geht, will er von mir wissen. „Solange wir nicht über Fußball reden, geht’s gut“, erkläre ich wahrheitsgetreu. Ich erkenne, dass ich am Feintuning meiner Formulierungen noch zu arbeiten habe, als wir ab dem nächsten Satz wie selbstverständlich über Fußball reden. Ich gehe ja kaum noch ins Stadion, würde aber im Falle eines Falles als in etwa angemessene Gegenleistung für das entrichtete Eintrittsgeld erwarten wollen, dass ein Sieg meiner Mannschaft wenigstens nicht ganz im Bereich des Utopischen ist. Momentan freilich wären solche Erwartungen definitiv zu hoch angesetzt, weil die Verantwortlichen in einer für Eintracht Frankfurt typischen pathologischen Mischung aus Größenwahn und Inkompetenz ein neues Konzept erschufen:
1. Eine beunruhigend hohe Menge an „Perspektivspielern“ und Versprechen für die Zukunft in den Kader implementieren. 2. Hernach überraschend feststellen, dass man eine gewisse Anzahl Spieler zu viel in den Reihen zählt. 3. Vorhandene Spieler aussortieren, von denen man von einem Teil definitiv weiß, dass sie dem Team aktuell eher weiterhelfen könnten als die Neuzugänge. 4. Dementieren, dass es die für die Aussortierten eingerichtete Trainingsgruppe II überhaupt gibt.
Immerhin hat man für hiesige Verhältnisse früh auf die diese Saison anstehende Mehrfachbelastung reagiert und als Sofortmaßnahme die Anzahl der Pflichtspiele durch den Erstrunden-Knockout im DFB-Pokal wenigstens ein bisschen reduziert. Nicht das, was der gemeine Fan sich wünscht, aber effektiv.
Ich spüre, wie mein Blutdruck ungekannte Höhen erklimmt, während ich mich in Rage rede, und bin daher dankbar, dass unser Gespräch durch Eintreffen seines Busses beendet wird. Beim Einsteigen lässt mir mein Kumpan noch den Rat zurück, mich nicht aufzuregen. Wenige Minuten später hinterlässt diese Unterhaltung bei mir überraschenderweise in der Tat ein eher angenehmes Gefühl. Und ich glaube auch zu wissen, warum.
Es war nämlich eine gepflegte Konversation der Sorte, in der nicht alles „nice“ ist und entsprechend „hart gefeiert“ wird. Ohne Vokabular wie „random“, wenn man „zufällig“ meint, „als ob“, wenn der Wahrheitsgehalt einer Aussage angezweifelt wird, oder „wayne“, wenn einem etwas egal ist. Auch weiß ich zu schätzen, wenn nicht jeder zweite Satz entweder mit „Ja, Mann“, „Dicker“ oder „Alter“ eingeleitet wird.
Jetzt kann man als halbwegs informierter Mensch natürlich durchaus wissen, dass nicht gleich der Untergang der abendländischen Kultur ins Haus steht, nur weil ein paar Halbstarke anders kommunizieren als ich es gewohnt bin. Vor allem benutze ich manches davon ja selbst auch: „Alter“, das ist schon so lange gebräuchlich – ich war selbst noch jung, als das aufkam. Davor meinte man mit „Alter“, nun ja, das Lebensalter. Auch für den Vater war „Alter“ seinerzeit ein sich allmählich etablierender jugendsprachlicher Ausdruck, der heute ebenso selbstverständlich im Duden steht wie die Verwendung als Anrede. Mein Missmut richtet sich hauptsächlich gegen den inflationären Gebrauch des Begriffs. Zumal „Alter“ zusätzlich ja auch jeder zweiten Aussage nachgestellt wird, es also absolut keine Seltenheit darstellt, wenn „Alter“ in einem Satz am Anfang UND am Ende vorkommt. Vor allem benutze ich „Alter“ nicht gegenüber einer Frau. Und als allererstes nicht zu meiner Mutter!
Trainingsgruppe II rockt
„Bruder“ hat eine andere Bedeutung, wird aber ähnlich überstrapaziert. Mein „Bruder“ war früher noch ein weiterer männlicher Nachkomme meiner Eltern. Im Zweifelsfall auch noch ein Insasse eines Klosters und in sehr seltenen Fällen tatsächlich auch ´mal ein dicker Freund. Die Freundschaft musste aber dann schon auch eine von der Qualität Winnetou und Old Shatterhand sein. Aber heute wird jeder Dahergelaufene, mit dem man drei- oder viermal gesoffen hat, zum „Bruder“ erklärt.
Und so wie zu meiner Zeit gute Freunde sind es heutzutage eben „Brüder“, die sich irgendwann auch wieder voneinander entfremden, nachdem sie für eine gewisse Weile gemeinsam abgehangen haben. Denn bevor man allenthalben begann, unproduktive Zusammenkünfte als „Chillen“ zu bezeichnen, war die gängige Umschreibung dafür „abhängen“. Auch 25 Jahre später finde ich „abhängen“ als Begriff noch treffender, weil er von einem Selbstverständnis zeugt, sich nicht unbedingt bemühen zu müssen, den Umstand zu beschönigen, dass es sich genau genommen um Nichtstun unter Gleichgesinnten handelte. Wir haben also nicht „gechillt“, wir haben „abgehangen“ und fanden uns „cool“ und „geil“. Da ich allerdings nicht nur in den Achtzigern jung war, sondern auch noch ein bisschen in den Neunzigern, musste ich leider miterleben, wie das Abhängen langsam vom „Feiern gehen“ abgelöst wurde. Was bedeutete, dass man sich zwar immer noch zusammen in einer Gruppe Gleichaltriger langweilte, die Umschreibung „ich war feiern“ aber suggerierte, man hätte mächtig Spaß gehabt, während man sich in Wahrheit meistens in einer ordinären Schankwirtschaft gegenseitig unter den Tisch zu saufen versucht hatte.
Obwohl das Raute-Symbol zu dieser Zeit noch Raute genannt wurde und im Prinzip auch keine besondere Funktion hatte, die ihr Erscheinen auf sämtlichen Tastaturen dieser Welt gerechtfertigt hätte, war diese Umdeutung damals vielleicht der erste Vorbote hin zu einer Entwicklung, für die später mit den bekannten sozialen Netzwerken das ultimative Werkzeug zur Verfügung gestellt wurde: Das meist zutiefst durchschnittliche Leben als höchst interessanten und abwechslungsreichen Alltag zu inszenieren.
Wirklich „gediegene“ Momente wurden in etwa ab dieser Zeit von allen, die etwas auf sich hielten, auf keinen Fall mehr als „cool“ bezeichnet, sondern als „fett“. „Edel“ ging auch noch, wenn ein Gegenstand besonderes Gefallen erregt hatte, aber „cool“ hatte, wie heute das „nice“, den Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch der Erwachsenen geschafft und war aus diesem Grund im Laufe der Zeit uncool geworden. Um nicht zu sagen mega-uncool. Niemand hatte mehr „Bock drauf“. Die Dinge nahmen ihren Lauf; die Begriffe änderten sich und mit ihnen der Zeitgeist. Eventuell auch umgekehrt. Wer weiß das schon so genau?! Jedenfalls war „null Bock“ out, „null Problemo“ dafür in. Andere Ausdrücke blieben: Hatte ein Sachverhalt einen extremen Eindruck auf uns gemacht, war er „krass“ oder „abgefahren“. Angelegenheiten, die wir eher nicht gefeiert hatten, bekamen das Prädikat „ätzend“. In heftigeren Fällen konnte man auch schon ´mal „eine Krise kriegen“. Das Stichwort Krise schließlich führt uns schneller als mir lieb sein kann wieder zum Ausgangspunkt zurück und damit zum besten Verein der Welt und damit zu den obligatorischen Fragen: Was kommt? Was bleibt?
Was kommt, vermag ich nicht seriös zu beurteilen. Warum sollte es mir da auch besser gehen als den meisten anderen?! Was bleibt, ist die Bestätigung der Erkenntnis, dass manche Ideen Zeit benötigen, um ihre Wirkung voll zu entfalten. So registriere ich, wie die Idee einer Trainingsgruppe II mir nach und nach besser gefällt, ohne dass die Idee etwas dafür kann, weil sie sich schlicht gar nicht geändert hat, sondern nur meine Wahrnehmung. Jedenfalls ist mein Urlaub vorüber und also bin ich ab nächster Woche wieder dafür verantwortlich, ein Team von Aushilfen mit der Kadergröße eines durchschnittlichen Bundesligisten anzuleiten.
Da kommt mir diese Inspiration gerade recht.
Fast würde ich mich sogar zu der Bemerkung hinreißen lassen: Nice!
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