Lassen wir den ersten Blogeintrag des Jahres einfach ´mal mit einer guten Nachricht starten: Die Zahl der Ladendiebstähle nimmt ab. Gut – es wird zur gleichen Zeit auch weniger verkauft, wenn die Läden dicht sind, aber irgendein Haar in der Suppe wird sich immer finden lassen. Damit schlechte Stimmung deswegen gar nicht erst aufkommt, schiebe ich die nächste gute Nachricht gleich hinterher: Auch Wohnungseinbrüche haben infolge vermehrten Zuhausebleibens stark abgenommen.

Doch bevor jetzt die ersten wieder mit Schaum vor dem Mund in die Tasten hauen, dass in der „Corona-Diktatur“ selbst die Langfinger „Berufsverbot“ haben – nehmt Euch an ihnen lieber einmal ein Beispiel! Die angesprochene Gruppe weiß sich schon zu helfen. Nach dem Motto „Nicht immer nur meckern, sondern auch ´mal etwas tun“ wird Pragmatismus gepflegt: Wenn man schon nichts klauen kann, was irgendeinen Gebrauchswert hätte, erweitern wir eben unser Produktportfolio kurzerhand und nehmen das, was wir bekommen können.

Dass manche offenbar wirklich jeden Mist gebrauchen können, belegt nicht nur ein Blick in mein Wohnzimmer, sondern auch in die Meldungen aus aller Welt, die in der Regel in Tageszeitungen auf der letzten Seite eher der Unterhaltung als der Information dienen. Ein Einnetzgerät für Weihnachtsbäume wurde da beispielsweise vor kurzem entwendet. Falls auch nur irgendein Zusammenhang mit den andernorts gestohlenen 100 Tannen besteht, ergibt diese Aktion sogar Sinn. Wenn nicht, hat man halt ein Einnetzgerät zuviel. Und 100 Weihnachtsbäume nenne ich sowieso ambitioniert! Die verkauft man ja nicht einfach ´mal eben aus dem Kofferraum an Kollegen und die Vereinskameraden vom Handball. 100 Tannenbäume sind schon groß gedacht.

Die Weihnachtsbäume stehen dabei durchaus exemplarisch für ein generelles Problem der konsequenten Anwendung des Prinzips „Gelegenheit macht Diebe“. Denn was stellt man mit dem in Zueignungsabsicht in ein ausreichend großes Transportmittel verladenen Jagd-Hochsitz am Ende des Tages an? Der Anfangsverdacht, dass der Aufwand größer als der Ertrag ist, besteht auch bei den 90 Leitplanken-Teilen, die vergangenen Sommer in Südhessen zur Beute wurden. In Texas wurde 2018 sogar ein Hai aus einem offenen Pool eines dortigen Aquariums mitgenommen. Solche Erzeugnisse sind aufgrund ihrer Unhandlichkeit sowie ihrer „ungeklärten“ Herkunft ja auch weder für einen Flohmarkt noch für den Kleinanzeigenmarkt geeignet.

Bei einem im Frühjahr 2018 von einer Baustelle entwendeten 48 Tonnen schweren Kran ist später immerhin der Abnehmer ausfindig gemacht worden. Seitdem rätselt die Fachwelt bloß noch darüber, wie es gelingen konnte, solch schweres Gerät unentdeckt von Stuttgart nach Ägypten zu schaffen. Da kann der kleine Mann, der bestenfalls im Holiday Inn bei der Abreise versehentlich einen Bademantel mit einpackt, einfach nicht mithalten. Wobei anerkannt werden muss, dass die Diebstähle aus Hotels in letzter Zeit durchaus etwas einfallsreicher wurden: Matratzen, ein Rudergerät aus dem Fitnessraum oder ein Piano aus der Bar sind in dieser Hinsicht schon ´mal recht eindrucksvolle Beispiele, was möglich ist. Denn Gegenstände solcher Größenordnung müssen ja unbeobachtet nicht nur an der Rezeption vorbei, sondern vor der Tür auch noch unter Beachtung sämtlicher Aspekte von Ladungssicherung auf ein geeignetes Fahrzeug kommen. Der gewöhnliche Dachgepäckträger scheint mir da nicht ´mal die zweitbeste Lösung zu sein.

Angesichts dieser und anderer Schwierigkeiten darf es nicht verwundern, dass die weniger kreativen Diebe den vermeintlich einfacheren Weg gehen und zum Beispiel versuchen, Geldautomaten um ihren Inhalt zu erleichtern. Das geschieht dann wahlweise durch Abtransport des kompletten Gerätes oder durch Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion direkt vor Ort. (Wobei Fachleute keine pauschale Empfehlung für eine der genannten Methoden abgeben, sondern zur Beurteilung, welche der beiden die effektivere ist, die Einzelfallabwägung bevorzugen.) Wie auch immer man sich am Ende entscheidet – zu beachten bleibt in jedem Fall, dass Zeitdruck die Fehleranfälligkeit erhöht. Nicht wenige Gangster, die sich zunächst diebisch gefreut hatten, dann aber in einer abgelegenen Lagerhalle vor einem profanen Kontoauszugsdrucker standen, werden dies bestätigen können. Betrachtet man zudem die beim Umgang mit explosiven Stoffen nicht unerhebliche Verletzungsgefahr, ergibt sich oft genug das Bild, dass auch bei Geldautomaten Aufwand und Ertrag in keinem besonders gesunden Verhältnis stehen.

Zum Glück arbeitet man aber in einem Milieu, das wie kein zweites Brüche im Lebenslauf duldet, vielleicht sogar erwartet. Wo Lücken in der Vita nicht krampfhaft als Auslandsaufenthalte beschönigt werden müssen, kann man leichter einfach noch einmal neu anfangen. So wie der Protagonist des folgenden fiktiven Dialogs, der dem Klischee entsprechend im Hinterzimmer einer verrauchten Kneipe stattfindet. Dort versucht unser Antiheld, nennen wir ihn „Kickers-Schorsch“, bei einer Art Job-Interview beim „Lächelnden Joe“ die ersten Sprossen seiner Karriereleiter zu erklimmen.

Kickers-Schorsch: „Bist Du Joe?“

Der lächelnde Joe: „Wer will das wissen?“

„Theo sagt, wenn ich Bares für Rares haben will, soll ich bei Dir vorstellig werden.“

Der lächelnde Joe zieht skeptisch eine Augenbraue hoch. „Der gute alte Terror-Theo… dieser Nichtsnutz! Ist er diesen 48-Tonnen-Kran eigentlich inzwischen losgeworden? Aber gut, lassen wir die alten Geschichten. Was kannst Du für mich tun?“

Kickers-Schorsch beginnt etwas zögerlich: „Haftcreme…?!“

Der lächelnde Joe: „Haftcreme!“

„Ja, 140 Tuben.“

„Du stiehlst mir meine Zeit.

Pablo“, bedeutete er dem stumm neben ihm stehenden Typ der Marke Knochenbrecher, „geleite den Herrn hinaus.“

„Warte! Ich mache ein Super-Angebot“, sucht Kickers-Schorsch seine letzte Chance.

„Nun gut, was ist letzte Preis?“

„50 Cent pro Tube.“

„Pablo, richte ihm aus, dass ich nicht interessiert…“

„…nein, warte! Das sind 25 Prozent des Ladenpreises.“

„Jetzt hör´ mir ´mal zu, Du Wicht! Ich weiß nicht, seit wann Theo mit Kindern Geschäfte macht, aber ich habe heute schon ein Piano sowie ein Rudergerät gekauft und vor ein paar Minuten noch 100 Weihnachtsbäume von einem Geschäftspartner angeboten bekommen. Das ist heißer Scheiß! Komm´ wieder, wenn Du mir ein Angebot in dieser Größenordnung machen kannst. Ansonsten kannst Du mir gestohlen bleiben.“

„Ich werde sehen, was sich machen lässt.“

„Das hoffe ich für Dich. Enttäusch´ mich nicht noch einmal!

Pablo…bitte!“

Bevor unser sympathischer Antiheld von Pablo mit einer gewissen Verbindlichkeit zur Tür herausgebracht wird, richtet der lächelnde Joe noch einmal das Wort an ihn:

„Wenn Du mir Leitplanken besorgen kannst, sind wir im Geschäft.“

„Leitplanken? Echt jetzt?“

„Sehe ich so aus, als wäre mir nach Witzen zumute?“

„Mit Verlaub – bei einem permanenten Lächeln im Gesicht kann man das nicht immer zweifelsfrei ausschließen.“

„Touché! Doch Spaß beiseite: Ich plane eine Autobahn, um schneller von einem Teil unseres Anwesens zum anderen zu gelangen.“

„Ich werde sehen, was sich machen lässt.“

„Oder einen Hochsitz. Die Wildschweine in meinem Wald entwickeln sich allmählich zur Plage.“

Vor der Tür wird Pablo plötzlich unerwartet redselig: „Eins muss man Dir lassen: Mut hast Du. Früher hätte ich Typen wie Dir beide Beine brechen müssen. Aber seit der Boss bei der Detonation eines Kontoauszugdruckers fast draufgegangen wäre, als er zufällig am Automat nebenan Geld abheben wollte, hat er sich vorgenommen, jedem Tag mit einem Lächeln zu begegnen. Außerdem hinterfragt er sein eigenes Konsumverhalten ständig und denkt vermehrt darüber nach, worauf es im Leben wirklich ankommt und welche Dinge man wirklich gebrauchen kann und welche dagegen nur eine – wie er es beschreibt – kurze Illusion eines Glücksgefühls verschaffen.

Naja, dann trotzdem viel Erfolg!

Und noch was: Leg´ Dir einen Namen zu, bei dem nicht jeder Narr sofort checkt, dass Du nur ein harmloser Kleinkrimineller bist!“

Man merkt eventuell, dass ich keinen Schimmer habe, wie in dieser Branche Geschäfte angebahnt werden. Was ich allerdings weiß: Wenn die Bevölkerung noch länger zuhause bleiben soll, droht großen Teilen dieses Wirtschaftszweigs das Aus. Deswegen: Denkt dran, dass Diebe, Einbrecher und andere in diesem Gewerbe Tätigen meistens selbstständig sind und also auch in Pandemie-Zeiten kaum staatliche Hilfen erwarten können. Seid also solidarisch mit diesen Menschen und verlasst hin und wieder trotz Home-Office, Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen Eure vier Wände, damit die Langfinger dort ihr Tagwerk verrichten können. Ein Ausflug zum Feldberg ist völlig ausreichend. Der garantiert momentan einen ganzen Tag Abwesenheit. Das sollte Euch Euer Lieblings-Gauner einfach wert sein.