Neben „Halt´s Maul, wenn Du mit mir redest“ gibt es nicht viele weitere Sprüche, die sich im Prinzip nicht abnutzen, wenn sie im Freundeskreis alle ein bis zwei Jahre mal hervorgekramt werden. Einer, der aber auf jeden Fall in diese wertvolle Kategorie fällt, lautet: „Wir sind in den letzten zehn Jahren im Schnitt zehn Jahre älter geworden.“ Die Betonung sollte hierbei stets auf „im Schnitt“ liegen. Was immer der originäre Urheber damit sagen wollte – er hat ohne es geplant zu haben eine zeitlose Formulierung geschaffen. Eine Sentenz. Die bei etwas offensiverem Gebrauch unter Garantie sich bereits so weit verbreitet hätte, daß sie es auf einen Abreißkalender von Weltbild geschafft hätte und dort gleich einen Tag nach „Man bereut nie, was man getan, sondern immer, was man nicht getan hat“ stände.
Wie der zitierte Sinnspruch andeutet, soll es diesmal ums Älterwerden gehen. Zugegeben kein besonders origineller Einfall, wenn man gerade Geburtstag gefeiert hat. Doch waren Modern Talking jemals originell? Die Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg? Hat es dem Ansehen der Genannten nachhaltig geschadet? Eben: Originalität wird überbewertet.
Mit jetzt 45 Jahren hat man so seine Problemzonen zu pflegen. Vergesst Bauch, Beine, Po! Die sind zwar nach wie vor aktuell, werden aber in ihrer Dringlichkeit von Knie, Rücken, Schulter so rasant überholt, daß sie ihren Abstieg aus der ersten Liga zunächst gar nicht mitbekommen. Also lest und empfehlt diesen Blog eifrig weiter. Bei irgendwann genügend Reichweite kann ich mich ja eventuell von Voltaren sponsern lassen. Wäre glaubwürdig.
In jungen Jahren sorgten Verletzungen für die notwendige Kredibilität. Vor allem wenn man ohne zu lügen behaupten konnte: ich weiß auch nicht wie das passiert ist, ich war zu voll, kann mich an gar nichts erinnern. Legendenbildung funktionierte in diesem früheren Leben recht häufig auf genau solche Weise. Heute: kann ich genauso wenig sagen, wie es passiert ist. Ich hätte in den vermutlich wenigsten Fällen Scham, es zu verraten, kann es aber wirklich nicht. Weil ich nicht weiß woher es kommt! Weil es über Nacht kommt. Manchmal nicht einmal das. Dann ist es einfach so da. Aus heiterem Himmel. Klingt aber halt nur mäßig spektakulär verglichen mit „Ist mir beim ´Exzessiv´-Konzert einer dagegen gesprungen. Besser: drauf gesprungen. Als es mich beim Pogo kurzfristig auf den Boden verschlagen hatte. Als ich am nächsten Morgen wach wurde und mich natürlich erst ´mal orientieren musste, wo ich mich befinde, habe ich dann schon gemerkt, daß ich meinen Arm praktisch gar nicht mehr bewegen konnte. Nachdem die betäubende Wirkung durch die geschätzt 15 halbe Bier allmählich nachgelassen hat, bin ich dann halt ´mal zum Arzt gegangen.“ Man bereut immer nur das, was man nicht getan hat. Zutreffend. Damals.
Wenn seinerzeit maximal die Zahnbürste reichte, müsste ich heute ein sperriges Überlebenspaket mit Massage-Sitzauflage und Infrarotlampe zusammenstellen und also einen gefühlten Umzug leisten, bevor ich überhaupt in Erwägung ziehen würde, auswärts zu nächtigen. Ein weiter Weg von damals nach jetzt. Was ist in der Zwischenzeit geschehen?
Sortieren wir die Zäsuren chronologisch: ich habe aufgehört, Alkohol zu trinken. Ich habe meine nunmehrige Ex-Gattin kennengelernt. Ich habe einen Sohn bekommen.
Die Misserfolgs-Chroniken
Punkt 1 will ich nicht rückgängig machen, weil mir der Preis dafür zu hoch ist. Der 2. Punkt wurde bereits rückgängig gemacht. Das dritte in der Reihe ist zu wichtig, um darüber Späße zu machen. Insofern wäre die Behauptung auch gelogen, es mache mir nichts aus, daß er sich zu meinem Geburtstag nicht gemeldet hat. Das ist mit seinen viereinhalb Jahren zwar nicht seine Aufgabe, und generell sind Geburtstage wohl ähnlich überbewertet wie Originalität.
Ich fürchte allerdings, daß genau solche Details schon jetzt und hier beeinflussen werden, was für ein Mensch ich in noch höherem Alter werde. Ob ich ein gütiger und weiser Mann werde, der seinem einzigen Kind lebenskluge Dinge sagt wie „Man bereut nie, was man getan hat, sondern immer, was man nicht getan hat.“ Oder ob ich ein motzender Kotzbrocken werde, ein Meckerschlumpf, der am liebsten mit sich selbst spricht, weil alle anderen sowieso keine Ahnung haben. Der wenn es denn notwendig ist, mit anderen zu interagieren, nur Sätze von sich gibt wie „Machen sie mal Platz“, „Heben sie das wieder auf“ und „Früher hätte es so etwas nicht gegeben“.
Doch kehren wir noch einmal zurück zur Frage, was in den letzten etwa 15 Jahren schief gelaufen ist, daß ich heute der bin, der ich bin.
In diesen Zeitraum fallen begrabene Träume von einer Teilzeit-Karriere als Autor mit immerhin einigen Achtungserfolgen. In diese Zeit fällt der gescheiterte Versuch, mit der Vermietung von Hüpfburgen und sonstigem Allerlei ins Haifischbecken der Veranstaltungsbranche zu springen. Die Erkenntnis, daß ich in diesem Leben eher kein guter Geschäftsmann werde. Es mag ziemlich punkig sein, einfach ´mal loszulegen mit seinen Ideen. Definitiv unpunkig jedoch: am Ende die Wahrheit ertragen zu müssen, daß Motivation ohne Kompetenz oder Strategie nicht zwangsläufig geeignet ist, einen durch die Decke zu schießen. Geblieben – immerhin – ist die Ballonmodellage. Mehr Hobby denn Business. Felix gefällt´s. Darauf – immerhin – lässt sich aufbauen.
Ansonsten: Eher Hamsterrad statt Selbstbestimmung. Autogenes Training statt Pogo. Individuelle Glückssuche statt Internationaler Solidarität. Eckart von Hirschhausen statt Che Guevara.
Ich bin mental im Spieleabend-Reihenhaus-Spießertum angekommen, hinke materiell allerdings noch ein bißchen hinterher. Noch ein „Immerhin“: Das Feiern von Schlagermusik, bei etlichen sogar jüngeren Menschen inzwischen zum guten Ton gehörend, ist an mir vorübergegangen. Ich suche gerade ein Stück Holz, auf das zu klopfen man pflegt in diesen Momenten, wenn man auf eine möglichst lange Halbwertszeit einer gerade getätigten Aussage hofft.
My Way
Moment! Ich bin 45 geworden. Nicht 75. Kein Grund zur Aufregung. Keine Legitimation zur Verklärung all dessen, was damals war, oder zum Schlechtreden all dessen, was heute ist. Generell kein Anlass, zwischen damals und heute zu unterscheiden. Weil: alles ich. Wie sagte eine Freundin noch vor kurzem beim Wiedersehen nach langer Zeit zu mir und über mich: „Manche Dinge ändern sich nie.“ Eine mit gewisser Vorsicht zu genießende Aussage, die man so sehen kann oder so.
Ich habe mich entschieden, das so zu sehen, das heißt als bedingt positive Eigenschaft. Klar bin auch ich älter geworden. So alt, daß ich sogar noch weiter gehen als der eingangs erwähnte weise Mensch und mich zu der Behauptung hinreißen lassen würde, daß ich ich den letzten fünfzehn Jahren fünfzehn Jahre älter geworden bin. Nach allgemeiner Verkehrsauffassung hat mich das aber nicht automatisch zu einem schlechteren Menschen gemacht. Höchstens zu einem älteren. Bevor das Spiel jetzt ausartet: Es kommt nicht drauf an, ob man Getanes oder Unterlassenes bereut, sondern ob man aus seinem Tun oder Unterlassen jeweils die richtigen Schlüsse zieht. Also scheiß´ auf das, was einst gewesen und vorwärts zu dem, was noch kommen mag. Und es wird noch einiges kommen. Jedenfalls habe ich noch viel vor.
Und über allem: Ich will jetzt und später sagen können: ich habe es auf meine Weise getan.
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