Nirgends hat man seine Ruhe. Gerade hat der Mann auf der Bühne einen gelungenen Gag über die Unvernunft mancher Konsumenten gemacht, wonach fair gehandelter Kaffee zu teuer sei, während die unfairen, dafür um ein Vielfaches teureren Kapseln sich steigernder Beliebtheit erfreuen. Das Publikum lacht und klatscht. Da empört sich hinter mir eine Frau: Jetzt klatschen wieder die Leute, die das exakt so praktizieren, so sinngemäß ihr vorgetragenes Lamento.
Ziemlich sicher hält der Comedian mit dieser Nummer auch zumindest einem Teil seines Publikums den Spiegel vor. Darüber ließe sich diskutieren. Hinterher!
Nicht, dass ich mich angesprochen fühlen musste, weil ihre Anklage meine Scheinheiligkeit entlarvt hätte. Als Nicht-Kaffeetrinker bin ich aus der Nummer ´raus, auch wenn bei anderen Gütern meine Konsumentscheidungen wahrhaft nicht immer ethisch vertretbaren, streng genommen nicht einmal immer rein rationalen Gesichtspunkten folgen. Es ist vielmehr: Wenn man einem Vortragenden zuhören möchte, sind Kommentare von den billigen Plätzen das letzte, das man gebrauchen kann. Dass man für die Möglichkeit des Zuhörens sogar Geld bezahlt hat, löst dieses Problem nicht. Es verschärft es höchstens noch.
Es ist ferner so, dass in solchen Situationen mein Blick besorgt in Richtung meines Bruders wandert, um zu sehen, ob beziehungsweise wie lange er noch die Contenance wahrt. Da man weiß, dass dieser Mann schon wegen weitaus unwichtigerer Anlässe mittlere Tumulte ausgelöst hat, hält man bei solchen Störungen halt einfach immer die Luft an, wenn man mit ihm unterwegs ist.
Weil die Frau nicht ahnen konnte, welche Zeitbombe sie da eigentlich vor sich hat, fühlte sie sich trotz oder wegen der Nichtreaktion aller anderen Anwesenden ermutigt, das Prozedere im weiteren Verlauf des noch jungen Abends an mehreren Stellen zu wiederholen. Immer leise genug, dass der Mann auf der Bühne ihre Zwischenrufe ignorieren konnte. Jedoch laut genug, um zwei bis drei Reihen der Gäste auf die Nerven zu gehen.
Mein Bruder nahm´s erstaunlich gelassen. Selbst im Nachhinein ist nur schwer zu rekonstruieren, ob das – er ist vor kurzem 50 geworden – eine Form von Altersmilde ist oder ob es damit zu tun hat, dass die Dame schon vor Beginn der Show dafür gesorgt hat, dass man sie nicht ernst nehmen sollte. Indem sie ihre beiden Begleiterinnen nämlich fragte, ob es in Ordnung wäre, dass sie in der Pause geht, wenn sie das Programm nicht lustig findet, hatte sie unmissverständlich angedeutet, dass bei ihr der Spaß aufhört.
Während der Pause erzählte ich meinem Bruder von einem mehrere Jahre zurück liegenden Konzert einer uns beiden bekannten Band. Für ihn, der mehr Konzerte dieser Kapelle gesehen hat als ich, musste ich nicht extra erwähnen, dass es in dieser Szene gang und gäbe ist, dass Menschen aus dem Publikum die Bühne entern, um einen Teil eines Songs gemeinsam mit der Band zu performen. Manchmal wird auch bloß ins Mikrofon gerülpst oder gegrunzt. Manchmal werden auch Statements abgegeben, die mit dem Lied an sich gar nichts zu tun haben, andere Male dagegen sind Statements zu hören, die mit gar nichts irgendetwas zu tun haben beziehungsweise überhaupt nicht zu verstehen sind. Im Prinzip also auch ein bisschen wie Comedy. Die anlässlich solcher Konzerte nicht unübliche Praxis, eine nicht nur geringfügige Anzahl alkoholhaltiger Erfrischungsgetränke zu konsumieren, verstärkt diesen Trend zur unfreiwilligen Komik nur. So waren wohl auch an diesem Abend etliche Kannen Bier im Spiel gewesen, als ein junger Mann zwischen zwei Liedern auf der Bühne erschien und vom Sänger bereitwillig das Mikrofon gereicht bekam.
Was dann folgte, waren allerdings nicht ´mal die gestammelten Werke eines ansonsten sicher tiefgründigen Wesens. Der Typ hat zwar den Mund aufgemacht, aber aus diesem heraus kam: einfach nur gar nichts. Das war, als wenn jemand versuchte, einen Playback-Auftritt hinzulegen, die Technik aber versäumt hat, den dazugehörigen Ton bereitzustellen.
Nach ein paar ewig lang erscheinenden Sekunden dieses Stummfilm-Klassikers hatte der arme Kerl ein Einsehen und gab das Mikrofon – wortlos – an den Sänger zurück. Dieser wiederum verabschiedete den verhinderten Wortkünstler spontan mit dem bis heute unvergessenen Ausspruch: „Das war gerade der Sprecher der Adlerfront.“
Mein Bruder hat sich über meine Schilderung dieser Aktion fast noch mehr amüsiert als über das bis dahin gezeigte Programm.
Nach der Pause blieb es übrigens ruhig hinter uns. Die Frau hat ihre Ankündigung – im Nachhinein bin ich fast geneigt zu sagen: ihr Versprechen – wahr gemacht und ist dem zweiten Teil freiwillig ferngeblieben. Konsequent war sie wenigstens.
Und auch über diesen Move hat sich mein Bruder fast noch mehr amüsiert als über das ohnehin gelungene Programm.
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