Zu den dringendsten Problemen der Menschheit gehört die Frage sicherlich nicht. Sie darf einen aber schon beschäftigen. Und sie beschäftigt jeden. Irgendwann ist man nämlich zu alt, um sich täglich mit Freunden an einem belebten Platz zu betrinken und dort Passanten anzupöbeln. Andererseits ist man definitiv noch nicht in dem Alter, in dem einem gar nichts anderes übrigbleibt als zum Bingo-Nachmittag zu gehen. Wohin also geht man mit Mitte 40, das ist die Frage.
Jenseits von bierseligen Zusammenkünften auf unbequemen Festzeltbänken auf Festplätzen – eine überbezahlte Coverband ist hierbei noch das günstigste musikalische Szenario – fallen spontan zunächst fast ausschließlich Gelegenheiten ein, bei denen man auffällt. Man weiß zum Beispiel, dass man zu alt ist, wenn man vor einem Tanzlokal von anderen Wartenden mit der irgendwo zwischen Frage und Feststellung angesiedelten Bemerkung konfrontiert wird: „…und Sie wollen sicher nur jemand abholen…“
Da ich zum Glück erstens nicht tanze und zweitens meinen erlesenen musikalischen Geschmack nicht mit der breiten Masse teile, sind solche Probleme für mich theoretischer Natur. Doch auch jenseits von Discos und Clubs gibt es Veranstaltungen, bei denen zumindest die Frage gestattet ist, ob es nicht eventuell doch unangebracht wäre, diese aufzusuchen. In der Regel sagt zwar niemand etwas. Das macht die Angelegenheit aber nicht zwangsläufig besser. Die Erinnerung an die Zeit, als ich um die 20 war, ist natürlich nicht mehr glasklar. Aber eines haben wir angesichts doppelt so alter Menschen bei solchen Anlässen bestimmt nicht gedacht: Coole Sau, ich hoffe, ich gehe in diesem Alter auch noch regelmäßig auf solche Veranstaltungen wie diese hier.
Niemand hat so gedacht. Das waren Fremdkörper. Auch wenn sie niemanden ernsthaft gestört haben, war es schon zumindest so, dass sie einem aufgefallen sind. Ernst genommen hat die jedenfalls niemand. Die konnten nur verlieren. Entweder haben sie so teilgenommen wie wir, dann waren sie peinlich. Oder sie haben sich altersgerecht verhalten. Ihre Biere geschluckt und sich ansonsten zurückhaltend verhalten. Dann waren sie etwas weniger peinlich, aber eben trotzdem noch alt. Und passten demnach dort nicht hin. Klingt hart, aber das war einfach so. Und jenseits von blöden Witzen haben wir uns zumindest in meinem Umfeld niemals ernsthaft der Frage gestellt, was wir eigentlich machen, wenn wir dereinst die Seiten gewechselt haben würden.
Etliche Jahre später ist auch diese Frage geklärt und mit dem alten Sprichwort „Was juckt es die Eiche, wenn sich die Sau an ihr kratzt“ zutreffend beschrieben. Wenn Jüngere ein Problem mit unserer Anwesenheit haben, ist es vor allem eines: ihr Problem nämlich. Sicher kommt uns dabei heute zugute, dass die Zeiten sich allgemein etwas gewandelt haben und man heutzutage vieles mehr als früher ungestraft tun darf, wenn man ein bestimmtes Alter überschritten hat. Die Möglichkeiten der Teilhabe sind größer geworden. Beispiel Konzerte: Es gibt Kapellen, die treiben seit 30 oder 40 Jahren ihr Unwesen. Oder nach 35 Jahren seit zwei Jahren wieder. Da darf man auch als alter Mann ´mal hingehen. Wenn man sich bemüht, rechtzeitig vor Ort zu sein, bekommt man je nach Örtlichkeit eventuell auch einen Sitzplatz. Sanitäter sind in aller Regel bei solchen Veranstaltungen vor Ort. Was also soll schon passieren?! Natürlich spielt bei Musikanten, die sich in noch gehobenerem Alter befinden als man selbst auch ein Stück Angst mit, einer von ihnen könne den Zugabenteil verpassen, weil er vorher das Zeitliche segnet. Da man den vollen Eintrittspreis bezahlt hat, wäre das ein unbefriedigendes Ende eines solchen Abends. Aber dabei sein ist bekanntlich alles.
Couch oder glücklich
Leider finden nicht ständig gute Konzerte genau dann statt, wenn man auch Zeit hat. Manche Künstler erdreisten sich ja sogar, unter der Woche aufzutreten. Dann können da ja nur die Jüngeren hingehen. Darüber hinaus muss natürlich auch das Finanzielle im Auge behalten werden, weil der lässige Mittvierziger zu seinen monatlichen Fixkosten inzwischen auch Ausgaben für Cremes und Medikamente zählt. Die günstige Alternative, schon früher gern gepflegt: Nachwuchsbands. Da gab es meistens was zu lästern, da gab es aber auch Riesenüberraschungen. Aber im Alter nimmt man vom Besuch weiterer solcher Veranstaltungen spätestens dann Abstand, wenn man einmal von einem anderen älteren Anwesenden angesprochen wird: „Und – bei welcher Band spielt Ihr Nachwuchs mit?“
Wenn es denn wenigstens so wäre! Theoretisch könnte es mir noch bevorstehen, zumal sich kürzlich erst herausstellte, dass Fußball bei meinem Kleinen mangels Talent schon einmal keine Option sein wird. Ganz der Papa eben. Dass aber eine schon im Ansatz gescheiterte fußballerische Karriere nicht zwangsläufig zu einer Zukunft als Rockstar führt, ist leider ebenso klar. Ich knabbere heute noch dran.
Aus all diesen bis hierhin aufgezählten Gründen besuche ich hauptsächlich Veranstaltungen mit mindestens ´mal gemischtem Publikum. Am besten solche, die wochenends stattfinden und vor Einbruch der Dunkelheit enden. Meines Erachtens die bessere Alternative als es sich komplett zuhause einzurichten. Couch, TV, Hund, Erdnüsse. Eben so, wie manch andere aus unserem Jahrgang das bereits zu einer Zeit als Erfüllung betrachteten, als wir die Wochenenden noch durchgemacht haben. Das klingt nicht nur gemütlich, das ist auch gemütlich. Falls uns doch ´mal jemand animieren will, dies oder jenes mitzumachen, können wir immer noch hanebüchene Ausreden erfinden oder kurzfristig relativ unglaubwürdig krank werden.
Probleme mit diesem Lebensentwurf ergeben sich nur dann, wenn man nicht den Rest des Lebens ohne Partner an der Seite verbringen möchte. Denn zuhause sinken die Chancen beachtlich, jemanden zu treffen, der diese Rolle erfüllen könnte. Schon deshalb empfiehlt es sich, die eigenen vier Wände hin und wieder zu verlassen. Sehr gelegentlich soll diese Methode zum gewünschten Ergebnis führen. In diesem Fall wäre es jedoch der falsche Ansatz, anzunehmen, jetzt sei alles gut, man hat einen Partner und also brauche man das Haus nicht mehr verlassen. Abwegig? In einer britischen Studie aus dem vergangenen Jahr gaben 70 Prozent der 5000 Befragten an, so zu denken. An einem sehr ähnlichen Punkt befand ich mich schon einmal, weiß daher: Als Grundlage für eine Beziehung ist eine solche Denkweise nur bedingt tauglich.
„Viele Menschen sterben mit 25, werden aber erst mit 75 begraben“, urteilte schon Benjamin Franklin. Sein an sich generell auf mangelnde Bereitschaft zur persönlichen Weiterentwicklung bezogene Spruch kann in meinen Augen problemlos aufs Weggehen angewendet werden. Regelmäßige Unternehmungen bestätigen mir, dass ich noch am Leben bin. Gerade seit dem letzten Jahr habe ich eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Orte und Veranstaltungen aufgesucht und nur selten hinterher bereut, dass ich es getan habe. Manchmal hätte ich die besten Ausreden gehabt: Alleine macht es keinen Spaß, das Wetter ist nicht so der Hit, der Hund, der Kater, schlecht geschissen, alles zusammen, was auch immer. Und natürlich war ich auch glücklich, wenn ich später wieder bei Hund und Herd war. Aber ich war froh, weg gewesen zu sein. Mich währenddessen gar amüsiert zu haben. Mich nicht davon beeindrucken lassen zu haben, dass es unter Umständen keine meinem Alter angemessene Veranstaltung war.
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