Wenn eine tendenziell introvertierte Persönlichkeit Selbstgespräche führt, darf man nicht unbedingt angeregte Unterhaltung erwarten. Echte Schlagabtäusche beobachtet man schon allein deswegen eher selten, weil ich mir nur sehr gelegentlich etwas mitzuteilen habe, das mich wirklich überrascht. Insofern erstaunt es auch nur mäßig, dass die Gegenrede meistens schon geplant werden kann, bevor ich einen Gedankengang bis zu seinem Ende ausgeführt habe. Es wäre vermessen, zu behaupten, dass dabei stets äußerst Gehaltvolles oder Tiefgründiges herauskommt. Empirisch belegen kann ich jedoch durch jahrzehntelange alltägliche Beobachtungen, dass diese Form der Kommunikation allemal fruchtbarer ist als so manche Unterhaltung mit einem anderen Gegenüber.
Ich habe meine Zurückhaltung so lange gepflegt, bis ich tatsächlich so langweilig wurde wie ich von Anderen wahrgenommen wurde. Das scheint erklärungsbedürftig: Früher war ich wie so viele, die sich für introvertiert halten, eigentlich immer ein schüchterner Extrovertierter. Außenstehende konnten mir als dem sich unauffällig zurückhaltend Gerierenden nicht ansehen, dass mich im Innern nur zwei Fragen umtrieben: Wo ist die Party? Wo ist das Bier? An guten Tagen kam es zu einem Aufeinandertreffen der richtigen Situation, der richtigen Leute sowie der genau richtigen Menge Bier. An anderen Tagen war ich im Trinken sehr viel besser und ausdauernder, aber in solchen handverlesenen Momenten habe ich dann auch ´mal einen Tanz hingelegt. Und alle, die es hinterher nur erzählt bekamen, haben sich geärgert, dass sie nicht dabei gewesen waren. Es gab Leute, mit denen ich ständig unterwegs war, die aber gerade in solchen entscheidenden Augenblicken immer gefehlt haben.
Fake it till you make it! So tun als ob, bis der Schein irgendwann von selbst zum Sein wird. Heute hat sich mein Innenleben meiner Außenwirkung angepasst. Andersherum wäre mir lieber gewesen, aber geplant hatte ich weder das eine noch das andere. Wenn ich heute äußerlich den Eindruck hinterlasse, dass meine Geisteshaltung zu einem beliebigen Sujet ungefähr „Na gut, wenn´s sein muss“ bedeutet, kann man sich sicher sein, dass meine innere Einstellung dazu bedeutet: „Na gut, wenn´s sein muss.“ Ich glaube, das bezeichnet man auch als Kongruenz, um ´mal das Positive an der ganzen Geschichte zu sehen. Reframing, Umdeutung, würden diejenigen dazu sagen, die auch gerne von Kongruenz sprechen. Oder die Tipps wie „Fake it till you make it“ geben.
Kongruenz bewirkt Glaubwürdigkeit. Das folgende Geständnis würde mir auch ohne Kongruenz jeder mit Augen im Kopf sofort abkaufen: Ich bin kein guter Tänzer. Eigentlich bin ich gar kein Tänzer. Auch wenn ich als Prä-Pubertierender die damals populären Tanzfilme wie Footloose und Flashdance gesehen habe und gern gesehen habe und gern gewollt hätte, ich könnte mit meinem Körper auch solche Sachen veranstalten. Mit 30 Kilo Übergewicht zu jener Zeit tut man allerdings nicht nur einiges, um mit seinem Körper nicht noch zusätzlich aufzufallen. Man tut alles.
Mein seit jener Zeit gestörtes Verhältnis zu meinem Körper hat den Zug auch für spätere Zeiten abfahren lassen. Es ist natürlich nicht so, dass irgendwo irgendjemand sitzt und Schilder mit Bewertungspunkten hochhält. Es ist aber natürlich so, dass die Leute auch ohne solche Schildchen bewerten, wie jemand tanzt, wenn jemand tanzt. Es ist natürlich nicht so, dass man das Urteil der anderen dann zwangsläufig mitgeteilt bekommt. Es ist aber natürlich so, dass man das Urteil an ihrer Mimik ablesen kann. Und dann ist es doch ganz natürlich so, dass man leicht bis mittelmäßig gehemmt ist, sich so zu verhalten wie man vielleicht gern möchte.
Das mag man in manchen Momenten als ungerecht empfinden. Doch sobald beziehungsweise solange man etwas einigermaßen gut kann, wird überraschenderweise auch nicht mehr als ungerecht empfunden, dass man bewertet wird.
Nichttänzerin gesucht
Angesichts der Freaks, die wild durch die Gegend springen, mit ihren Armen uninspiriert in der Luft herumwedeln und dabei hauptsächlich fast so peinlich aussehen wie ich, wäre vor allem eines völlig unangebracht: Die Wendung „ich ertappe mich selbst dabei…“ Weil ich mich nämlich nicht ertappen brauche, sondern genau weiß, dass ich mir ein vernichtendes Urteil bilde über solche Typen. Und genau genommen habe ich gerade hier im Blog manche Leute für weitaus harmlosere Vergehen wie beispielsweise das Tragen eines Bartes mit Spott überzogen. Bei Leuten, die an der Theke in der Tat eine bessere Figur abgeben würden als auf dem Parkett, die jedoch von gutmeinenden besten oder festen Freundinnen den Tipp bekommen haben, dass scheiße zu tanzen immer noch besser wäre als dumm herumzustehen, höre ich mich den Spruch zitieren, wonach Motivation ohne Kompetenz gefährlich ist. Einige Fernsehsender leben allein davon, solche sich selbst überschätzenden Menschen aufzuspüren, um sie dann den ungeduldig vor ihren viel zu großen Bildschirmen Wartenden der Lächerlichkeit preiszugeben. Auf unser Thema bezogen: Nur weil jemand gern tanzt, tanzt er nicht automatisch gut. Ich dagegen: Wenn ich etwas nicht kann, übe ich im Verborgenen, bis ich es kann, oder ich lasse ich es einfach. Warum soll fürs Tanzen nicht gelten, was für Elektroinstallationen, Skifliegen oder Hochseilartistik als selbstverständlich hingenommen wird?
Darum – und weil man sich Tanztalent leider nicht anlesen kann – ist es nie zu einer Tänzer-Karriere meinerseits gekommen. Abgesehen von der kurzen durch die erwähnten Filme hervorgerufene Phase 1983/84 stand ich dem Thema Tanzen zu keinem Zeitpunkt meines Lebens mit ausgeprägtem Enthusiasmus gegenüber.
Tanzschule habe ich nie mitgemacht. Als sich alle anderen aus dem Schuljahrgang anmeldeten, dachte ich nur: Wie bitte? Einen Scheiß werde ich tun! Die meisten von uns hörten Metal oder Punk. Für Pogo und Luftgitarre hatte es bis dahin auch noch ohne Kurs gereicht. Man merkt: ein bisschen naiv war ich schon. Auch wenn ich das damals nicht naiv nannte, sondern prinzipientreu. Ich konnte mir nicht vorstellen, weitere Tänze jemals im Leben gebrauchen zu können. Die anderen konnten das offensichtlich sehr wohl, wussten also oder ahnten es zumindest, dass sie sich allmählich auf ihre Leben nach dem Abitur vorbereiten müssen, in denen Pogo und Luftgitarren keine große Rolle mehr spielen würden. Darüber hinaus war mir nicht klar, dass es bei diesen Kursen darum geht, eine Beziehung zu finden. Wie gesagt: naiv. Dass man dort nebenbei das Tanzen lernen muss, hat man auf der Suche nach einer Partnerin dann eben in Kauf genommen.
Ich kann allerdings auch nicht behaupten: Hätte ich das gewusst, hätte ich einen gemacht. Wahrscheinlicher ist: Hätte ich das gewusst, hätte ich trotzdem keinen gemacht, um mir die Frustration zu ersparen, wenn alle jemand kennenlernen, nur ich wieder ´mal nicht.
Weil Tanzen aber außer zum Kennenlernen von Frauen auch gut für die Gesundheit des Gehirns sein soll, was ja dann wirklich ´mal ein echtes Argument ist, habe ich mir meine Tanzspiele für die Konsole jetzt trotzdem wenigstens schon ´mal aus der Schublade geholt. Auf dass ich abends die Rolläden herunterlasse und mich so wenigstens nur vor mir selbst blamiere. So bin ich im nächsten Zwei-Augen-Gespräch mit mir mein eigenes Lästerobjekt.
Für den ersten Abend ist mir aber glücklicherweise gerade bevor ich eine davon einlegen wollte eingefallen, dass ich mit einer Handvoll Nüsse einen ganz ähnlichen Effekt erzielen kann. Was einem allerdings genausowenig gesagt wird wie das mit dem eigentlichen Zweck der Tanzschulbesuchs.
Ich muss im Leben echt noch viel lernen.
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