Wäre nicht die räumliche Nähe, würde sich die Frage ganz anders, wahrscheinlich aber eher gar nicht stellen. Zumindest nicht jedes Jahr. Da der Ort des Geschehens aber eben um die Ecke liegt, kann man sich selbst bei erfolgreicher Missachtung des Ereignisses nicht einmal dagegen wehren, von Anderen mit der Frage konfrontiert zu werden. „Und – gehst Du dieses Jahr hin?“ Zwar finde ich es grundsätzlich schön, dass die Buchmesse in meinem Umfeld ein Thema ist, obwohl nur die Wenigsten von Berufs wegen damit zu tun haben. Der Haken an der Geschichte ist bloß: Von dem Genuss, den man mit Lesen im allgemeinen verbindet, ist so rein gar nichts zu spüren, während man von Massen von Menschen wie Schlachtvieh durch die Gänge geschoben wird.
Unter bewusster Vermeidung des Wortes „irgendwann“, das Pläne und Absichten für gewöhnlich bis mindestens ins Rentenalter zurückstellt, beschließe ich trotzdem: Dieses Jahr nicht, aber ich werde auch wieder ´mal hingehen. Ein einziges Mal bis jetzt halte ich für einen 45-Jährigen mit einigermaßen ausgeprägter Neigung zum Lesen etwas arg wenig. Selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass ich deswegen kein schlechterer Mensch bin.
Für eine kurze Phase meines durchwachsenen Lebens hatte ich sogar so etwas Ähnliches wie den Glauben daran, dass diese Ausstellung vielleicht so etwas wie ein Pflichttermin werden könnte: Eine kleine, feine Verlagsgenossenschaft suchte Autoren für diverse Themen. Als jemand, dessen Texte einem der Genossenschaftsvorsitzenden oft gefallen hatten, kam an dieser Stelle ich ins Spiel. Die Sache kam ins Rollen, ich setzte mich ein knappes Jahr lang auf den Hosenboden, um das Manuskript fristgerecht fertigzustellen, und träumte eine Zeitlang den Traum, irgendwie Teil dieser Branche werden zu können.
Es wäre zu einfach, das Zerplatzen dieser Träume im Nachhinein auf die etwa zur gleichen Zeit beginnende Beziehung mit meiner nunmehrigen Ex-Gattin zu schieben. Aber wenn ich das Urteil abgebe, dass es – auch – damit etwas zu tun hat, werde ich niemandem Unrecht tun. Diese und einige weitere Erfahrungen später kann ich meine Autorenkarriere getrost wie folgt einschätzen: In diesem Leben höchstwahrscheinlich nicht mehr. Wenn demnach die Buchmesse auf mich verzichten kann, kann ich das ebensogut umgekehrt. So kann man sich das auch schönreden.
Dabei geht es bei all dem ja auch längst nicht mehr nur um bedrucktes Papier. Das mag mancher doof finden. Das Medium ist egal und war es schon immer. Wenn ein Film in der gleichen Zeit mehr ´rüberbringt als ein Buch, bedeutet das nicht den Untergang der abendländischen Zivilisation. Es braucht doch niemand so tun, als wäre ein Buch per se gut und dass es keine schlechten Bücher gäbe. Das hieße, das gedruckte Werk auf einen Sockel zu heben, der viel zu hoch dafür ist angesichts der Fülle an überflüssigen Veröffentlichungen. Denn, ja, es gibt viele schlechte Bücher. Ich tippe, jeder hat im Leben bereits mindestens eins gelesen, das er einfach nicht mehr weiterlesen konnte. Nicht wollte. Konnte! Umgekehrt ist der individuelle Geschmack natürlich auch kein Gradmesser für die Qualität einer Lektüre.
Mach mal langsam!
Aber das Buch steht als Symbol noch für etwas, das diese beschleunigte Gesellschaft so dringend benötigt: Sich für etwas Zeit zu nehmen, nicht alles im Schnelldurchgang abzuhaken und sich dem nächsten Reiz auszusetzen. Ob das nämlich einem Gemeinwesen am Ende gut steht – man weiß es noch nicht, ahnt aber, dass uns die Antwort tendenziell nicht gefallen wird.
Meine Prognose dazu ist leider nicht so ganz optimistisch. Gerade wenn man als Beispiel die Vermittlung von Informationen betrachtet. Im Prinzip war es nämlich wenn nicht immer, dann doch zumindest sehr lange schon so, dass eine Mehrheit sich mit Informationshäppchen à la BILD versorgte, sich damit zufrieden gab und gut informiert wähnte. Fake news, das Thema dieser Tage – sie sind kein vollkommen neues Phänomen. Lediglich Art und Ausmaß der Verbreitung hat eine durchaus Besorgnis erregende neue Qualität erhalten.
Nun mangelt es nicht an – auch guten – Vorschlägen, wie das Individuum die Fülle an Informationen in den Griff bekommen könnte. Für eine Vielzahl an Menschen scheint es jedoch die bequemere Lösung, einfach noch weniger zu lesen und sich über das weltpolitische Geschehen nahezu überhaupt nicht mehr zu informieren. Kann man so machen. Blöderweise führte solcherlei Desinformiertheit noch nie dazu, dass diejenigen anschließend ihre Meinung nicht mehr bei jeder sich bietenden Gelegenheit kund tun. Was allerdings wieder ein anderes Thema ist. Das Buhlen um den verbleibenden Rest an Aufmerksamkeit dagegen setzt eine Spirale in Gang, wonach die Texte immer kürzer werden, um überhaupt noch Zugang zum Publikum zu finden. Inzwischen kommt kaum noch ein Schreib-Ratgeber ohne den Tipp aus, einen Text soundso kurz zu halten, um die Aufmerksamkeitsspanne der Leser bloß nicht zu überfordern. Eine Veröffentlichung to go sozusagen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass viele Texte heutzutage auf dem Weg von A nach B gelesen werden, während dabei gleichzeitig noch etliche andere Dinge erledigt werden, muss ich fast entschuldigend nachlegen: Ich wünschte, diese Formulierung wäre eine harmlose Überspitzung, doch die Realität befindet sich auf der Überholspur.
Sicher: Der umgekehrte Fall ist nicht viel besser: Dass nämlich Autoren von (Sach-)Büchern ihre Kernaussagen auf 200 Seiten aufblähen, obwohl man sie problemlos auf 30 Seiten hätte herunterbrechen können. Weniger von diesem Extrem wäre sicher ein angenehmer Nebeneffekt. Wenn sich aber immer mehr Texter allein nach der Aufnahmefähigkeit der Mehrheit der potentiellen Leser richten, dann ist da von mehreren Schritten in die eigentlich richtige Richtung mindestens einer zuviel gemacht worden. Nach Definition der UNESCO grenzt sich ein Buch gegenüber Broschüren und Vergleichbarem über den Mindestumfang von 49 Seiten ab. Kann sein dass die Menge an Menschen zunimmt, die selbst mit dieser Anzahl bereits überfordert sind. Am Ende bestimmt die Generation Klick den Umfang eines Werkes.
Seltsam, aber so steht es geschrieben…
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