Es gab da diesen einen Kollegen: Glühender Anhänger eines inzwischen viertklassigen Fußballvereins aus der Gegend hier. Aber auf den klassischen Montagvormittag-Gesprächseinstieg „Und – Kickers..?“ hat er oft genug erst ´mal zurückfragen müssen, wie sie gespielt haben.

Hallo..?!

Nicht dass es mir zustünde, zu verurteilen, wenn Menschen an Spieltagen lieber ihre Zeit verschwenden als vor Ort, am Radio oder anderen mobilen Endgeräten mit ihrem Team zu kämpfen, zu leiden, zu gewinnen oder um den Sieg beschissen zu werden. Aber es konnte mir auch niemand plausibel folgenden Sachverhalt erklären: Jemand, der zwei Tage lang das Ergebnis „seines“ Vereins gekonnt zu ignorieren in der Lage ist, kann sich plötzlich ebenso gekonnt darüber aufregen, dass der Aufstieg verspielt wird. Und das obwohl es Montag Vormittag auf der Arbeit ist und es also inzwischen bei weitem andere Dinge gäbe, über die aufzuregen sich eher lohnte.

Manchmal haben wir uns überlegt: Was würde wohl passieren, wenn wir ihm einfach ´mal ein komplett falsches Ergebnis durchgeben? Oder gleich eine ganze Saison lang im Glauben lassen, dass es diesmal mit dem Aufstieg klappt. Aber weil wir schon damals zu gut für diese Welt gewesen sind, endete es bei diesem Gedanken. Und der Einsicht: Banausen sollten besser unter sich bleiben.

Banausendarsteller dagegen verhalten sich wie Banausen, sind aber keine. Sie lieben das ironische Spiel mit den Banausigkeiten. Und wo praktizieren sie diese spezielle Form des method acting? Natürlich dort, wo es wehtut: Im Stadion nämlich zwischen den 99 Prozent der anderen, der echten Banausen. Die sich mit ihren zwei verbliebenen Zähnen im Maul des Verdachts auf Ironie gar nicht erst aussetzen, wenn sie „Frankfurt ist die geilste Stadt der Welt“ und „Alles außer Frankfurt ist scheiße“ rufen. Wer solche Gestalten sieht, ahnt, weshalb der Ausdruck „Fremdschämen“ in den letzten Jahren in Mode gekommen ist.

Wie grandios dagegen das Kino, welches die Banausendarsteller bieten: Nicht allein dass sie zwischen all jenen Vollpfosten Contenance wahren – augenzwinkernd greifen sie das Gehabe der Banausen auf und vollenden es auf ihre Weise.

Es sind diejenigen, die den Strafstoß am vehementesten von allen einfordern, obwohl sie genau gesehen haben, dass es eine Schwalbe war. Was „unsere“ Spieler jedoch niemals tun würden. Sie schämen sich nicht, laut „Schieß!“ zu brüllen, wenn der Spieler der anzufeuernden Mannschaft den Ball gerade erobert hat und frei zum Schuss käme, sich allerdings dort, in Höhe des Mittelkreises, in alles andere als aussichtsreicher Position zum Torabschluss befindet. Sie wissen auch, dass man diesen Ausruf noch einmal bringen kann, nach diesem zweiten Mal aber kein weiteres Mal.

Das mit den Distanzschüssen ist übrigens ein gern aufgegriffenes Thema: Ein anderes Mal stand einer neben uns, der darüber klagte, „schon lange keine 60-Meter-Schüsse“ mehr gesehen zu haben.

Man weiß über die Banausendarsteller, dass sie genauso unter dem müden Gekicke leiden wie alle anderen. Aber mit einem nur vordergründig resignativen „Beim Elfmeter kann er wenigstens keinen Fehlpass spielen“, illustrieren sie eindrucksvoll, dass Humor dem Leben diese gewisse Leichtigkeit wiederbringt, die angesichts gewohnt schlechter Leistungen auf dem Platz oft schon beim Ansehen des Aufwärmprogramms abhanden kommt.

Echte Banausen fordern auch schon ´mal die Auswechslung eines Spielers, von dem sie nicht mitbekommen haben, dass er diesmal ohnehin auf der Bank sitzt. Banausendarsteller fordern „Funkel raus“ bei vollem Bewusstsein darüber, dass der Geschmähte seit letzter Woche beurlaubt ist und für manches, nicht aber für die aktuell schlechte Vorstellung des Teams verantwortlich ist. Die echten Banausen sind auch die Mädchen, die den Torwart der Bochumer ganz süß finden, auch wenn der Gast eigentlich Werder Bremen ist. Was natürlich so viele Klischees bedient, dass die Anmerkung unbedingt vonnöten ist, dass sich auch schon Kerls über Tore des Gegners gefreut haben, weil sie die Trikotfarben nicht zuordnen konnten. Echte Banausen halt.

Fußball ist vielleicht nicht so seine Stärke, aber sonst ist das eigentlich okay, was der da macht.“ (unbekannter, ungenannter, unbemannter oder umbenannter Herkunft)

In einem sind sich authentische wie darstellende Banausen genau gleich: Die Sprüche fallen unabhängig vom Spielverlauf. Allerdings steigt die Wahrnehmung dafür, wenn auf dem Platz nichts geschieht. Was zu dem Gefühl führt: Je schlechter das Spiel, umso dümmer die Sprüche. Es gab in der Geschichte meines Vereins bekanntlich häufig Zeiten, zu denen die Sprüche zwangsläufig interessanter als das Spiel gewesen sind. Weil alles interessanter gewesen wäre als das Spiel. Angenommen, es wären vor Anpfiff die Wände gestrichen worden – es wäre interessanter gewesen, der Farbe beim Trocknen zuzusehen, so schlecht haben die gespielt. Oder wie es einer aus dem Block mal formulierte: Das Interessanteste am Spiel sind die Flugzeuge, die dauernd drüberfliegen.

Als besonders inspirierend empfinde ich auch so manche originelle Beleidigung, die mich das ein ums andere Mal sogar für eine Last-Minute-Niederlage entschädigt hat. Manchmal auch für eine seit der ersten Minute feststehende Niederlage. Was ein anderes Thema ist.

Adressat einer ausgestoßenen Beschimpfung kann theoretisch jeder sein: Eigene oder des Gegners Spieler (Abwesenheit schützt wie gesehen nicht vor Unmutsbekundungen), Trainer, Vorstand, Schiedsrichter, Zuschauer im gegnerischen Block, Zuschauer im eigenen Block. Im Stadion gibt es eigentlich immer jemanden ohne Anlass zu beschimpfen. Und zwischen der Monokultur aus „Hurensohn“ und „schwuler Was-auch-immer“ wird dann eben auch ´mal die eine oder andere Perle ausgespuckt.

Wenn zum Beispiel dem Sohnemann, in Richtung der Gästefans deutend, mit den Worten „Das da drüben sind die Idioten“ die allererste Lektion zum Thema Mikrokosmos Stadion beigebracht wird, verdient das ohne Zweifel das Prädikat „pädagogisch besonders wertvoll“.

Ansonsten ohne zusätzlichen Kommentar einige der schönsten Beleidigungen, die ich beim Fußball das erste Mal gehört habe und die offen gestanden viel zu lange (und im übrigen auch völlig unbegründet) in meinem Formulierungsschatz lange nicht vorkamen und erst dank der Beschäftigung für diesen Blogeintrag wieder ins Bewusstsein gerückt sind:

„Der kriegt nicht mal den Senf auf die Bratwurst“

„Der würde sogar über ein kabelloses Telefon stolpern“

„Ich hab´ schon gegen Sachen gepisst, die schlauer waren als der“

„Der ist zu blöd um eine leere Schublade aufzuräumen“

Nicht fehlen dürfen in diesem Zusammenhang noch die Verbalinjurien Beilagenesser, Hafensänger, Langscheißer, Kassenpatient sowie das immer wieder großartige, oft kopierte und nie erreichte Hammerwerfer. Es wird Zeit, sich ´mal wieder ein Spiel vor Ort anzusehen.

Erfolglos genug spielen sie ja in der Zwischenzeit wieder.