Aufzeichnungen aus der Wirrnis des Alltags

Monat: April 2020

Irgendwas ist immer

Irgendwann reicht es dann aber auch wieder. Es gibt ja bei Neuanschaffungen immer diesen Punkt, an dem die erste Euphorie in Ernüchterung umschlägt, weil die Ahnung, dass damit längst nicht alles so geil ist oder zu werden verspricht wie erwartet, durch Gewissheiten abgelöst wird. Jeder Fußballfan wird das bestätigen, hat man doch oft genug erleben müssen, dass ein mit reichlich Vorschusslorbeeren zum Lieblingsverein gestoßener Spieler sich schon beim ersten Spiel für weitere Einsätze hinreichend disqualifiziert hat. Das schlimmste – nebenbei bemerkt – ist dann auch weniger das herausgeworfene Geld, sondern dass dann die Skeptiker aus ihren Löchern kriechen und triumphierend erklären, dass sie es ja von Anfang an gesagt haben. Selbst wenn sie das auch bei dem Stürmer, der die favorisierte Mannschaft vorletzte Saison ins Endspiel geschossen hat und in der selben Zeit zum Nationalspieler gereift ist, ebenfalls von Beginn an gesagt haben.

Dass Stimmungen derart kippen, kann man aber auch an wesentlich profaneren Dingen beobachten: Paarbeziehungen sind beispielsweise so ein Fall, bei dem oft nach einigen Wochen festgestellt wird, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Bei anderen Menschen sind es Kinder oder Haustiere, die nach einiger Zeit die nervöse Suche nach dem Ort auslöst, an dem man den Kassenzettel aufbewahren wollte. Und um nach langer Vorrede endlich aufs Thema zu kommen: Bei meinem neuen PC war dieser „Irgendwann“-Zeitpunkt nach etwa 20 Sekunden erreicht. Als ich nämlich feststellen musste, dass man sogar Maus und Tastatur in die verkehrte Buchse stecken kann. Die spätere Feststellung, dass sie doch in exakt den Anschlüssen funktionieren, in denen sie ursprünglich den Dienst verweigerten, stimmte mich nicht unbedingt milder. Man muss das alles nicht verstehen, aber für den angenommenen Fall, jemand hätte mir in diesem Moment angeboten, das Aufstellen des neuen Rechners für mich im Tausch gegen eine Woche Arbeit im Steinbruch zu übernehmen – lange hätte ich nicht gezögert und den Deal eingetütet. Solche Gelegenheiten bekommt man nicht alle Tage.

Wenn also zunächst der ursprünglich angedachte Monitor aufgrund von Anschlüssen, die offenbar nicht mehr state of the art sind, gegen einen – zum Glück vorhandenen – kleineren getauscht werden muss; wenn nach Lösen der Tastatur-und-Maus-Problematik noch der Drucker durch alle vorhandenen Buchsen versucht werden muss und wenn wir bei alledem über die nicht funktionierenden Lautsprecher noch nicht einmal gesprochen haben, darf es nicht überraschen, wenn das gute Teil zu jenem Zeitpunkt als heißester Anwärter auf den Titel „Sinnlosester Kauf des Jahres“ galt. Nur fürs Protokoll: Wer denkt sich so etwas aus, dass es im Jahr 2020 Desktop-PCs zu kaufen gibt, die kein WLAN an Bord haben? Was bei Kaffeemaschinen und elektrischen Zahnbürsten inzwischen fast Standard ist, wird bei einem PC zum Nice-to-have degradiert. Da sich aber das Angebot immer wenigstens zum Teil an der Nachfrage orientiert, kann man da wohl nichts ändern. Irgendwas ist immer. So geht Stoizismus im 21. Jahrhundert.

Mit Ende 40 nähert man sich ja allmählich dem Alter, in dem man sich ohnehin bei so mancher Anschaffung, die für einen längerfristigen Zeitraum gedacht ist, die Frage stellen muss: Lohnt sich das überhaupt noch? Oder wird einem noch vor Ablauf der Gewährleistung der Stecker gezogen und man geht endgültig offline? Wenn man dieser Zielgruppe angehört, lernt man Produkte zu schätzen, bei denen man nicht noch auf irgendetwas warten muss, bevor man das Zeug auch tatsächlich nutzen kann.

Außer an den geschilderten PC-Erfahrungen habe ich das auch noch gemerkt, als ich – ebenfalls diese Woche – mehrfach auf die Leiter geklettert bin, um alle Rauchmelder abzudecken, weil die bei Norma erstandenen Eisenpfannen vor dem ersten Schwung Bratkartoffeln noch eingebrannt werden wollten. Wie bei so vielem in diesen Zeiten, bleiben Fragen. Zum Beispiel: Wäre es nicht eine innovative Geschäftsidee, wenn eine Eisenpfanne bereits eingebrannt in den Handel gelangen würde? Oder: Wenn es Leute gibt, die gegen entsprechendes Entgelt Computer aufstellen, und Imbisse, die dem Konsumenten selbst das Aufwärmen von Fertiggerichten noch abnehmen, damit das Thema Warten gegessen ist, warum gibt es dann in dieser Servicewüste keine Menschen, die Pfannen einbrennen, Schuhe einlatschen, Kreuzworträtsel lösen und Puzzles zusammenfügen oder die kleinen Aufkleber von Playmobil akkurat auf die passenden Teile der Ritterburg kleben?

Vielleicht ist mein Verlangen, umgehend loslegen zu wollen, sogar der eigentliche Grund, weshalb ich inzwischen lieber Kleidung shoppe als technisches Gerät. Doch selbst die neue Garderobe soll vor dem ersten Tragen gewaschen werden. Bereits gewaschene Kleidung findet man auf dem Markt für Gebrauchtes, wenngleich hier wiederum andere Gründe für ein vorheriges Waschen der neuen Lieblingsstücke sprechen. Neben Flohmärkten haben sich bei mir im Laufe des letzten Jahres insbesondere die Kleiderläden des DRK als Bezugsquelle für allerlei schickes Inventar im Kleiderschrank etabliert.

Wenn man den Tatsachen ins Gesicht sieht, erkennt man zwar, dass dort drei Viertel der feilgebotenen Ware exakt den Vorstellungen entsprechen, derentwegen man an solchen Läden normalerweise vorbeigeht. Wenn man allerdings den Aufwand nicht scheut, das restliche Viertel zu begutachten, kann man hier und da echte Perlen herausfischen, die auch dem Budget eines Lageristen gerecht werden.

Man sollte sich jedoch davor hüten, die dort lauernden Fallstricke zu ignorieren. Wenn man zum Beispiel ein wirklich edles Teil zum kleinen Preis in der Hand hält, das allerdings eine kleine Macke hat, kann man sich mitunter selbst dabei ertappen, wie man wichtige Fakten einfach übergeht, weil man die Realität eben so sehen möchte, wie sie leider nicht ist. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, ignoriert man einem Verschwörungstheoretiker gleich sämtliche Warnungen der Begleitung, der Fleck werde sich höchstwahrscheinlich nicht ´rauswaschen. Machen wir uns also nichts vor: Nur die allerwenigsten Teile, die dort hängen und liegen, sind nicht gewaschen. Wenn der Fleck also beim Waschen ´rausgehen würde, wäre er sehr wahrscheinlich aktuell nicht zu sehen.

Ein ebenso häufig benutztes Element der Selbstbeschwörung ist die Formel „Das sieht man kaum“. Denn um sich selbst zu vergewissern, dass man das kaum sieht, achtet man bei jedem Tragen permanent darauf und lenkt damit überhaupt erst die Aufmerksamkeit aller anderen auf den manchmal tatsächlich kaum sichtbaren Mangel.

Das sind bei weitem nicht die einzigen Fehler, die man machen kann. Besonders bewährt hat sich auch das bewusste Unterschätzen etwaiger noch aufzuwendender Arbeit. Sprich: Man weiß im Grunde sehr genau, dass sich die fünf Minuten, die man für das Nachbessern der Naht an dieser einen Stelle veranschlagt, in Wahrheit auf 30 Minuten ausdehnen werden. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass es manchmal bloß Sekunden dauert, bis man aufgrund unvorhergesehener Zusatzaufgaben so genervt ist, dass man den ganzen Kram am liebsten durchs Fenster auf die Straße befördern möchte, können 30 Minuten eine äußerst lange Zeitspanne sein. In solchen Situationen unterscheidet sich eine Nähmaschine nicht fundamental von einem neuen PC. Und ob das Fenster geöffnet oder geschlossen ist, macht da nebenbei bemerkt ebenfalls schon fast keinen Unterschied mehr. Zum Deeskalieren solcher Situationen bin ich – womöglich aufgrund nie aufgearbeiteter Aspekte frühkindlicher Sozialisation – tendenziell ungeeignet.

Doch bevor der Eindruck entsteht, beim Einkaufen in diesen Geschäften handele es sich um eine komplett spaßbefreite Angelegenheit – mit der überwältigenden Mehrheit der erstandenen Dinge bin ich auch nach einiger Zeit noch absolut zufrieden. Speziell mit Umhängetaschen, bei denen ja die beim Shoppen nicht eben selten auftretende Begleiterscheinung des „Wenn ich noch zwei Kilo abnehme, passt das perfekt“ entfällt, habe ich beste Erfahrungen gemacht.

Und manchmal bekommt man auch großes Tennis geboten, ganz ohne etwas Passendes gefunden zu haben. So wird in einem dieser Läden das Stöbern von einem jeden Winkel der Räumlichkeiten durchdringenden beständigen Lamento einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin begleitet, dass dieses und jenes hierhin und nicht dorthin gehört und überhaupt und so. Wenn die ´mal nicht anwesend ist, fällt diese angenehm entspannte Ruhe direkt auf. Und in dieser beinahe meditativen Stimmung fällt mir dann regelmäßig auf, dass es meinen Kollegen mit mir wohl exakt genauso geht.

Zum Glück fällt mir dann aber nach kurzer, aber angemessener Zeit, in der ich sogar einen Moment lang darüber nachgedacht hatte, die Intensität meiner Reaktionen auf Unbill jeglicher Art zugunsten eines ausgeglicheneren Blutdrucks in Zukunft etwas herunterfahren zu wollen, wieder ein: Es macht einen Unterschied, ob unwissende Kunden Unordnung in einer im Grunde nachvollziehbaren Ordnung verursachen oder die eigenen Kollegen. Das Weltbild ist wieder gerade gerückt. Und man ist obendrein noch gut gekleidet dabei.

Insofern ist auch ansonsten alles wie immer. Denn man muss es vielleicht von Zeit zu Zeit nochmal erwähnen: Wenn das die größten Sorgen sind, gibt es eigentlich keinen Grund zu klagen.

Stadtrundfahrt

Jucken, Husten, Niesen, Kotzen, Brechen, Pissen – oder wie wahrscheinlich die meisten Leute spontan assoziieren: Feierabend eben. Das distinguiertere Publikum weiß natürlich, dass es sich hierbei um eine Auswahl der schönsten Ortsnamen handelt. Mit anderen Worten: Die Richtung ist nach zwei Sätzen schon ´mal vorgegeben; selten habe ich in nur einem einzigen Text so dermaßen viel unnützes Wissen versammelt wie diesmal.

Da wir bekanntlich alle zunächst klein anfangen, beschränkte sich meine Kenntnis unangebrachter Ortsnamen lange Zeit auf die Beispiele vor der eigenen Haustür: Linsengericht oder Wixhausen wären die Namen, die in diesem Zusammenhang zu nennen wären und dabei durchaus Maßstäbe gesetzt haben. Kennzeichnend für beide: Es reicht, daran vorbei gefahren zu sein, um den Verdacht aufkeimen zu lassen: Schön im Sinne von „Hier möchte ich mich niederlassen“ ist das nicht. Man muss nicht dort gewesen sein, um das zu spüren.

Nein, es gibt wirklich Orte in diesem Land, die außer für Sammler ausgefallener Ortsschilder nur mäßig einladend sind. Das wäre nicht weiter tragisch, gäbe es nicht Menschen, die dort ständig leben müssen. So steht beispielsweise zu vermuten, dass man im unterfränkischen Erlenbach sämtliche Nuancierungen des Gags „Entschuldigen Sie bitte, ich suche Streit“ bereits zigtausendfach gehört hat, wenn sich wieder ´mal jemand auf dem Weg in den Ortsteil mit gleichlautendem Namen befindet. Auf lange Sicht ist da selbst Schöntrinken der Situation zum Scheitern verurteilt. Die Leute haben einfach Pech. Doch nur wer das zweifelhafte Vergnügen hat, im beschaulichen Örtchen Pech etwas südlich von Bonn zu wohnen, ist echten Kummer gewohnt. Andererseits kann aber eben auch nicht jeder auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Dieses Schicksal teilen die 2700 Einwohner von Pech mit denen aus Einöd, wo der Name vermutlich auch Programm ist. Wenn man ein wenig herumkommt, entdeckt man viel Elend in deutschen Landen. Fast erwartungsgemäß im Osten der Republik etwas häufiger, weil man dort immer noch vergeblich auf die versprochenen blühenden Landschaften wartet. Es sollte also nicht überraschen, dass dort tatsächlich ein Dorf mit Namen Elend real existiert. Und irgendwie sieht es auch tatsächlich so aus. Kein Ort zum Verweilen. Das ist so ein Ort, bei dem man für gewöhnlich damit rechnet, nach der nächsten Kurve auf das Ende der Welt zu treffen.

Nicht ganz das Ende der Welt, aber dicht dran ist die Ortschaft Ende. Es leuchtet direkt ein, dass bei so einem Namen stets etwas schwierig zu beurteilen ist, auf welcher Seite des Ortsschildes man sich gerade befindet. Damit nicht genug: Einmal verkehrt abgebogen, befindet man sich schnell wieder am Anfang von Ende.

Man weiß ja, dass bei der Namensgebung für Ortschaften überlieferte historische Begebenheiten eine Rolle spielen. In manchem der genannten Fälle möchte man über die Details eventuell auch lieber nichts genaueres erfahren. Und was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Denn auch viele Straßennamen entstanden nach diesem Prinzip. Dass sprachliche Finessen bei der Namensgestaltung tendenziell nicht zu erwarten sind, weiß man nirgends besser als in Mannheim. Wer in der dortigen Innenstadt unterwegs ist, muss sich an Adressen wie D 8, 14 gewöhnen. Das ist nicht schön, aber praktisch. Und wer einmal einer Horde Mannheimer Fußballfans begegnen durfte, ahnt, dass sich die Stadt bei dieser Praxis ziemlich exakt an den intellektuellen Fähigkeiten seiner Ureinwohner orientiert hat. Zugegeben: Das System ist nachvollziehbar und mitnichten so chaotisch, wie es dem ersten Anschein nach wirkt. Bloß: Originell ist das nicht. Okay – Hammelstall als Adresse zeugt nun auch nicht direkt von ausgeprägter Fantasie. Zumindest aber unterstelle ich den Leuten, die für solche Straßennamen verantwortlich zeichnen, dass sie sonst in ganzen Sätzen sprechen oder zumindest in der Lage wären, es zu tun.

Klar gibt es eine Reihe von Straßennamen, die Fragen hinterlassen: Länge Breite gehört zum Beispiel in diese Kategorie. Wenn nicht klar ist, ob die Hausnummer sich dann auf die Länge oder die Breite der Straße bezieht und ob nicht vielleicht zu jeder Adresse dort streng genommen zwei Hausnummern gehören, müssen sich die Verantwortlichen kritische Fragen gefallen lassen. Nicht viel besser: Lange Länge. Selbst wenn vorab geklärt wäre, was demgegenüber eine kurze oder wenigstens eine normale Länge und ab wann also eine Länge wirklich lang ist, bliebe immer noch die Frage, welches Klientel man davon überzeugen möchte, ausgerechnet in dieser Straße sein Quartier aufzuschlagen.

Körperteile wie Ellenbogen oder Am Knie bezeichnen mit großer Wahrscheinlichkeit Gassen mit mehr oder weniger ausgeprägtem Knick. Auf ungefähr halber Länge, denn sonst hätte man sie Stiefel, L oder meinetwegen gleich Hockeyschläger nennen müssen. Auch bei Am Sack kann man sich mit nur ein wenig Sprachgefühl erschließen, dass es sich um eine kurze Straße mit Zufahrt nur auf einer Seite handelt. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere das letztgenannte Beispiel als Wohnadresse deutlich weniger Glamour verspricht als Parkstraße oder Schlossallee.

Auch Bunte Kuh, Schwarzer Bär oder Witte-Wie klingen nicht gerade nach der ersten Liga deutscher Wohngegenden. Das kann, muss aber nicht zwingend gleich ein Grund sein, deswegen auf die Straße zu gehen. Für manchen macht gerade das charmant Unprätentiöse eine Straße wie Rutschbahn zur Top-Adresse. Naturverbundene wissen womöglich eine Straße namens Ast als Adresse zu schätzen. Und eigentlich wäre es nur konsequent, in dieser Straße keine Reihenhäuser zu errichten, sondern individuelle Baumhäuser, um Amsel, Drossel, Fink und Star und meinetwegen auch dem Rest der Vogelschar so nahe wie möglich zu sein. Und wer mag, findet sogar in der Einhornallee seinen Seelenfrieden. Denn am Ende landen wir ohnehin alle auf dem gleichen Acker und niemand fragt danach, ob man einen Bewohner von Pissen als Pissener oder als Pisser ansprechen soll. Daher sollte sich niemand seiner Herkunft wegen zu schämen brauchen.

Wenn man so will, also nicht einmal Mannheimer.

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