Wie es geht, will jemand wissen. Ich denke mir nur: Heutzutage ist schon die Frage verkehrt gestellt. Die Frage lautet doch schon längst nicht mehr, wie es geht, sondern bloß noch, wie schnell es geht. Geschwindigkeit ist die Leitwährung unserer Zeit. Alles muss gleichzeitig passieren. Und weil das so ist, obwohl es so nicht sein müsste, gibt es viele Güter des täglichen Bedarfs hauptsächlich „to go“ Das mit dem Kaffee war ja nur der Auftakt. Damals vor gut 20 Jahren, als nicht wenige einschließlich des Verfassers dieser Zeilen irgendwann nach dem dritten oder vierten Lesen erkennen mussten, dass der feilgebotene Kaffee mitnichten in Togo angebaut wurde.
Inzwischen erledigen wir nicht nur das Kaffeetrinken, sondern fast alles von unterwegs. Und natürlich hatte die Etablierung dieser To-Go-Kultur nicht nur Sinnvolles im Gepäck, sondern auch reichlich Absurditäten. Sogar Autos gibt es inzwischen „zum Gehen“, und als besonderen Höhepunkt faltbare Schuhe „to go“. Wofür auch sonst?! Wenn ich an die Zeiten ohne Ersatzschuhe zum Mitnehmen zurückdenke, kommt mir vor allem eines in den Sinn: Es ging auch irgendwie.
Und heute? In Läden, die früher als Tankstelle bekannt waren, bekomme ich mit Mühe noch einen Liter Motoröl, aber ansonsten hauptsächlich Dinge zum Mitnehmen und dabei noch die irritierende Frage aufgeworfen, was bei Rewe to go außer dem Benzin der Unterschied zu einem ordinären Rewe sein könnte. Ist der Kunde in den herkömmlichen Rewe-Märkten etwa eingeladen, seine dort erstandenen Waren direkt vor Ort zu konsumieren? Oder ist er angehalten, weiterzuziehen, nachdem – natürlich schnellstmöglich – die Kasse passiert ist?
„To go“ ist der Zeitgeist, derweil Mediziner beklagen, dass wir zu viel sitzen und uns zu selten wirklich bewegen. Das hatte die Evolution eher nicht auf dem Schirm, als sie uns einst anbot, aufrecht zu gehen. Der Mitnehmkaffee mutiert zum Symptom für eine gestresste Gesellschaft, der Wegwerfbecher ist längst zu einem Symbol für einen allzu sorglosen Umgang mit Umweltproblematiken aufgestiegen. Trotzdem ist die Nachfrage nach dem Wachmacher im Einwegbehältnis anhaltend hoch. So werden Erfolgsgeschichten heutzutage geschrieben.
„Keine Zeit“ lautet das Mantra dieser Tage. Doch genau genommen hat der Tag immer noch 24 Stunden. Man „hat“ demnach weder mehr noch weniger Zeit als vor 50, 500 oder 5000 Jahren, sondern exakt genauso viel. Aufgaben und Verpflichtungen haben sich im Laufe der Zeit wohl geändert, aber man darf getrost unterstellen, dass viele durchaus die Zeit hätten, ihren Kaffee „to stay“ zu genießen, sich aber bewusst für andere Möglichkeiten entscheiden, ihre freie Zeit mit Inhalt zu füllen. Und irgendwann registriert man, dass man auf die Frage, wie es geht, eigentlich antworten müsste: Nicht gut. Und natürlich verspricht die schnelle neue Welt auch hierfür Lösungen: Eine Vielzahl an Apps verspricht allen Smartphone-Geschädigten eine Auszeit wann und wo man möchte. Meditation to go ist das Schlagwort für alle, die für Meditation eigentlich keine Zeit haben.
Doch es mangelt uns ja nicht nur an Zeit, sondern auch an Geduld. Da ich meine wertvolle Zeit tagsüber damit verbringe, dafür zu sorgen, dass Bestellungen in einem der coolsten Onlineshops dieses Planeten möglichst am nächsten Tag beim Empfänger landen, bekomme ich natürlich hautnah mit, wie stark die Ansprüche da inzwischen gestiegen sind. Es soll ja Leute geben, die eine Stunde nach ihrer Bestellung schon den gerade erst erhaltenen Link zur Sendungsverfolgung aktivieren, um nachzusehen, an welcher Stelle im Netzwerk des Paketdienstleisters sich die heiße Ware gerade befindet. Ich spoilere nur sehr ungern, verrate an dieser Stelle aber dennoch: Sehr weit ist sie in aller Regel nicht gekommen.
Früher, als ja bekanntlich immer alles besser war, sah eine Bestellung ungefähr so aus: Man übertrug Artikelnummern und -bezeichnungen der gewünschten Produkte aus einem Katalog auf das Bestellformular und rechnete anschließend den zu zahlenden Gesamtbetrag aus. Diesen schrieb man auf einen Verrechnungsscheck, der mit dem Bestellformular zusammen in ein Briefkuvert gesteckt und an den Händler geschickt wurde.
Die erste Woche (ver-)ging. Danach hätten wir jemanden getötet, wenn es uns dabei geholfen hätte, herauszufinden, ob eine baldige Ankunft des erwarteten Paketes bevorsteht oder nicht. Stattdessen wusste man nicht einmal, ob der Versender überhaupt die Bestellung erhalten hat. Letztendgültig wusste man das erst, wenn man nach 10 bis 14 Tagen mit der lange ersehnten Sendung quasi auch die Auftragsbestätigung in den Händen hielt und mittelmäßig enttäuscht war, dass viele der bestellten Teile nicht mitgeliefert wurden, weil ein Katalog natürlich nicht die verfügbaren Mengen abbilden kann und daher auch etliche bereits ausverkaufte Artikel zeigt.
Heute, wo die Frage nicht mehr lautet, wie es geht, sondern wie schnell es geht, geht selbst der Verfasser dieser Zeilen konform mit dem Lauf der Dinge, weiß die Vorzüge der modernen Zeit zu schätzen und plädiert daher keineswegs für eine Rückkehr der Postkutsche.
Gegen eine Rückkehr zu der Erkenntnis, dass Glück nur höchst selten von der Geschwindigkeit abhängt, mit der unsere Einkäufe bei uns eintrudeln, hätte er dann allerdings in der Tat nichts einzuwenden.