Eigentlich bräuchte ich mich über nichts wundern.
Dieser Satz beschreibt mein gestörtes Verhältnis zum Rest der Gesellschaft nahezu perfekt und stellt in dieser Eigenschaft sozusagen ein Bonmot für jede Lebenslage dar, so universell anwendbar, dass er beinahe jeden meiner Blogeinträge mehrfach schmücken könnte.
Das aber nur am Rande. Ursprünglich sollte die Einleitung anders lauten: Eigentlich nämlich bräuchte ich mich nicht darüber wundern, dass ich als jemand, der in vielerlei Hinsicht als Spätzünder bezeichnet werden kann, erst mit Ende 20 begriffen habe, dass ein Satz, der mit den Worten „Man müsste ´mal“ eingeleitet wird, niemals eine verbindliche Absichtserklärung ist. Eher schon eine Art Gebet, dass sich bitte jemand anderes um das Angesprochene kümmern möge.
Dass ich diese Erkenntnis zeitlich relativ exakt einordnen kann, liegt an meinem Kumpel, mit dem ich seinerzeit das Vergnügen hatte, eine Wohnung zu teilen. In Bezug auf diesen rhetorischen Evergreen war er der oft kopierte, aber nie erreichte Experte. Je länger unser gemeinsames Zusammenleben andauerte, umso klarer wurde mir, dass ich einen von ihm auf diese Weise begonnenen Satz nur als Handlungsaufforderung an mich selbst interpretieren durfte, weil er sich mit Sicherheit nicht darum kümmern würde.
Es kam der Tag, an dem weder ich noch die Anrufung höherer Instanzen wie Götter, Feen oder Flaschengeister helfen konnten: Wollte er nicht riskieren, dass seiner neuen Freundin beim Anblick seines Zimmers plötzlich einfällt, dass sie noch etwas dringendes zu erledigen habe, woraufhin sie sich nie wieder melden würde, musste er es wohl oder übel selbstständig aufräumen.
Um es kurz zu machen: Ich habe unseren Flur, der an sich schon kein Hort der Ordnung gewesen ist, nie so vollgemüllt gesehen wie an diesem Nachmittag. Einfach alles, wofür er in seinem Zimmer auf die Schnelle keinen festen Platz gefunden hat, wurde uninspiriert in die Landschaft zwischen den einzelnen Räumen befördert.
Wie sich irgendwann herausstellte, hat er seiner Freundin erzählt, dass das alles meine Sachen wären. Wie eingangs erwähnt: Eigentlich bräuchte ich mich über nichts wundern. Ich weiß nicht, wem er diese Story sonst noch alles aufgetischt hat. Ebenso wenig weiß ich, wer von denen ihm das geglaubt hat. Was ich aber weiß: Dass er es seiner Mutter erzählt hat und die es ihm natürlich abgekauft hat, weil Mütter eben so sind. Selbst bis an diesen Punkt hatte ich mich noch darüber amüsieren können. Gekippt ist die Stimmung allerdings in dem Moment, als sie mich ansprach, wie ich ihrem Sohn zumuten könne, in so einem Saustall zu leben, und darauf ernsthaft eine Antwort von mir erwartete.
Später an diesem Tag hatten mein Mitbewohner und ich daraufhin Gesprächsbedarf. Ob dieser Abend letzten Endes der erste Schritt in Richtung Auseinanderleben war, ist schwierig zu rekonstruieren. Fakt jedoch ist: Die gemeinsame Zeit, darunter natürlich auch etliche schöne Momente, ist lange Geschichte. Geblieben ist auf meiner Seite
- die seitdem nie wieder wirklich in die andere Richtung gekippte Stimmung,
- eine gehörige Portion Misstrauen gegenüber anderen Mitgliedern dieser Gesellschaft, sofern es sich bei ihnen nicht um meine eigene Mutter handelt,
- die Skepsis gegenüber einem Satzanfang, der ja nicht aus der Welt geschafft ist, bloß weil ich mit meinem damaligen Mitbewohner nichts mehr zu tun haben will.
Auch wenn ich bei manchen Zeitgenossen an und für sich sehr froh bin, dass sie ihrem „Man müsste ´mal“ keine Taten folgen lassen, bleibt es eine Phrase mit konstant hohem Nerv-Faktor. Was kann ich denn schon noch von einer Ankündigung erwarten, in der die möglichen Subjekte des Handelns durch ein unspezifisches „man“ substituiert wurde?! Viel schneller kann man sich von einem Vorhaben im Grunde nicht distanzieren.
Weil man sich – siehe oben – ohnehin über nichts wundern darf, sollte man auch nicht allzu überrascht sein, wenn die Welt nicht so schwarz/weiß ist, wie man sie gern gezeichnet hätte: Viele erfolgreiche Ideen waren ursprünglich auch nicht viel mehr als ein „Man müsste ´mal“ zwischen zwei kräftigen Schlucken Bier. Umgekehrt sind viele mit wehenden Fahnen und der Erkenntnis untergegangen, dass „einfach ´mal machen“ allein noch kein Garant für ein erfolgreiches Projekt ist. Als jemand, der im Leben tatsächlich schon einige Male gescheitert ist, weiß ich, wovon ich rede.
Um dem Pessimisten in mir aber nicht das letzte Wort zu überlassen, habe ich zum Abschluss noch einige Man-müsste-Mals, die immer gehen: Wieder lachen. Wieder Kind sein. Von einer besseren Zukunft nicht nur träumen.
Wobei Träumen für viele ja wenigstens ´mal ein Anfang wäre.