Ich höre immer nur Prüfungen. Nicht dass mich das angesichts der zahlreichen Studierenden unter unseren Aushilfen überrascht. Nicht dass mir was fehlt, weil ich aus diesem Thema vorläufig draußen bin. Das Dasein allgemein, der Arbeitsalltag an sich und, ja, auch einige der Kollegen – das alles ist ja Prüfung genug. In der Schule des Lebens, so sagt man ja zutreffend, bleibt man stets ein Schüler.
Da ich als Lernender immer auf der Suche nach Inspiration bin, habe ich wieder einmal die Suchmaschine angeworfen. „Welche große Prüfung hält das Leben für Dich bereit?“ ködert mich da auf der ersten Seite der Trefferliste eine Seite, die verspricht, dies in 10 Fragen herauszufinden. Da das www ja mehr weiß als wir alle zusammen, habe ich mich für meine Verhältnisse spontan, das heißt nach etwa zwei Minuten des Überlegens, dazu hinreißen lassen, dem Link zu folgen. Durchfallen kann ich bei einem Persönlichkeitstest ja eher nicht. Da wäre ich wahrscheinlich der Erste. Nach dem Motto: „Bevor Du für Deine Umwelt alles noch schlimmer machst, überlege Dir eine angenehme oder wahlweise spektakuläre Art des Freitodes und ziehe wenigstens dieses eine Mal etwas bis zum Ende durch.“ Ich gestehe: Solche Antworten vor Augen, hätte ich auch bei einem Fragespiel dieser Art Prüfungsangst. So aber muss ich schlimmstenfalls mit einem Ergebnis rechnen, das mir nicht gefällt. Früher, als wir diese Dinger noch in der BRAVO hatten, haben wir deswegen ja auch keine ehrlichen Antworten gegeben. Sondern die, die unserem Wunschergebnis mutmaßlich am förderlichsten waren. Weil wir damals cool waren.
In diesem Fall hielt sich mein Missmut über die Antwort aber eigentlich in Grenzen. Meine größte Prüfung sei, die vielen Zitronen, die mir das Leben gibt, zu Limonade zu verarbeiten.
Da seit den BRAVO-Tagen so viel Zeit vergangen ist, dass ich inzwischen ein altersweiser Mann geworden bin, weiß ich, was Ihr jetzt denkt: Wenn früher jemand mit so einem Spruch angekommen wäre, hätten wir ihn in eine Rangelei mittleren Ausmaßes verwickelt. Weil wir damals cool waren.
Heute kann ich mit dem Ergebnis aber ganz gut leben, und als ein nicht nur altersweiser, sondern auch von Grund auf neugieriger Mensch habe ich gleich noch weitere Tests gemacht.
Um es vorwegzunehmen: Realistischer wurde es nicht unbedingt. Dafür lustiger.
Vielleicht lag es auch schon an den eher unpassenden Fragestellungen. In der Rubrik Job gibt es zum Beispiel folgendes Thema: „Hättest Du das Zeug dazu, im Zirkus zu arbeiten?“ Tatsächlich habe ich Zirkuserfahrung. Das weiß nur niemand, weil die Zirkusse, in den ich gearbeitet habe, sich auf perfide Weise als Großbäckerei, Wäscherei oder Kulturamt, als ganz normale Betriebe also getarnt hatten, in denen ich als Fahrer, Büro- oder technische Aushilfe oder später eben Lagerist ein bisschen so etwas wie der Quoten-Gescheite gewesen bin.
In der Testauswertung werden diese Erfahrungen jedoch nach meinem Dafürhalten nicht in angemessener Weise gewürdigt. Was einerseits schade ist, mich andererseits auch sofort zum nächsten Thema führt.
„Wärst Du ein guter Polizist?“ Will ich das wirklich wissen? Ich bin ein integrer Mensch mit ausgeprägtem Sinn für Gerechtigkeit. Nach allem, was ich über diesen Beruf weiß, sind das nicht unbedingt die Schlüsselqualifikationen, die dort erwartet würden. Der Test bestätigt meine Auffassung, dass das keine gute Idee wäre. Trotzdem – vielleicht auch gerade deswegen – klicke ich mich langsam, aber stetig in einen regelrechten Rausch. Vielleicht erhalte ich hier ja noch mehr Antworten auf nicht gestellte Fragen.
Welcher Traumjob wäre wie für mich geschaffen? Inselhüter. Schon deswegen, weil angeblich 25,7 Prozent der Test-Teilnehmer das gleiche Ergebnis haben, ist mir die Antwort suspekt. Immerhin: Es gibt mindestens einen Job, der für mich noch weniger Attraktivität ausstrahlt als der eines Polizisten. Hätte ich vorher auch nicht erwartet.
Reset-Schalter fürs Leben
Halten wir fest: Es gibt auf der Seite haufenweise schlechte Antworten auf Fragen, die ich mir vermutlich im Traum nie stellen würde. (Und das will schon was heißen angesichts meiner Träume!) Die Stimmung kippt: Ich spüre, wie ich beginne, die Seite richtig doof zu finden.
Andererseits: Das ist Unterhaltung! Mehr noch: Mache ich hier im Blog nicht im Prinzip genau das Gleiche: Antworten geben auf Fragen, die sich außer mir niemand stellt?! Mit dem Unterschied, dass der Meilensteinbildhauer eben als Geschäftsmodell nichts verspricht. Die Stimmung kippt erneut, und ich spüre, wie ich beginne, die Seite auf eine diffuse Weise cool zu finden.
Nach den im vorhergehenden Absatz geäußerten Gedanken spielt mein Kopf meinen ultimativen Lebens-Test ab. Die Fragestellung, immer gleich, lautet: Was mache ich im Leben eigentlich verkehrt? Die Antwort wird wahrscheinlich ebenfalls bis zum Ende desselben immer gleichlautend bleiben: Irgendwas mache ich im Leben verkehrt. Das ist bei weitem nicht immer so traurig wie es jetzt klingt, aber ist nun mal so und unter anderem dem Umstand geschuldet, dass das echte Leben viel bietet, eines jedoch nicht:
Einen „Test wiederholen“-Button.
Richtig: Zu den putzigsten Funktionen, die die Seite anzubieten hat, gehört dieser Button. Denn wer stand nicht schon vor dem Problem, dass ihm keine drei Minuten nach der erstmaligen Beantwortung mehrerer Fragen plötzlich siedend heiß einfällt, dass er eigentlich ganz andere Antworten hatte geben wollen?
Sicher: Einstellungen können, sollen und dürfen sich ändern. Aber normalerweise ist das eine Angelegenheit von Jahren, wenigstens aber Monaten. Und wenn ich sonst vielleicht nicht sehr viel weiß, ist zumindest eines unumstritten: Wer nach einer solchen Zeitspanne immer noch das Browserfenster eines solchen Tests offen hat, um diesem Button dann einen Sinn zu geben, hat sehr wahrscheinlich Probleme, die solche Tests definitiv nicht zu lösen imstande sind.
Als altersweiser Mensch habe ich im Laufe der Jahrzehnte aber auch viel gesehen und weiß daher: Immer nur motzen führt in nahezu allen Fällen im Alter zu Gesichtern, die selbst ihre Träger nicht mehr gern ansehen möchten. Diesem unschlagbaren Sachargument gebe ich mich natürlich geschlagen und erkenne hiermit positiv an: Neben unsinnigen Antworten auf nicht gestellte Fragen finde ich auf der Seite auch Tests, bei denen zumindest die Fragestellungen direkt aus meinem persönlichen Leben gegriffen sind: „Bist Du ein echtes Genie?“, „Wie gut läuft es wirklich bei Dir?“ oder „Welche Figur aus der Sesamstraße ähnelt Dir?“ sind ja Fragen, die ich mir permanent stelle. Das Ergebnis des letztgenannten Tests war übrigens Rumpel, also jemand mit harter Schale und weichem Kern und insofern ja nicht ganz unzutreffend.
Dass es sogar noch besser geht, beweist folgende Einschätzung:
„Du bist eine vielseitige, intelligente Person, die sich in verschiedenen Gesellschaftsschichten wohlfühlt und sicher bewegt. (…) Man darf nur einen Fehler nicht machen: dich langweilen. Du brauchst Herausforderungen, gute Gespräche und wirkliche Aufgaben. Gesellschaftliche Anlässe, die nur der Gesichtspflege dienen, sind dir zuwider. Dann kann sich auch schon einmal dein Widerspruchsgeist regen, obwohl du sonst ein ausgeglichener und loyaler Mensch bist.“
Viel zutreffender hätte ich mich selbst nicht charakterisieren können. Deshalb soll hier auch nicht vorenthalten werden, wonach eigentlich gefragt wurde. Wäre das hier ein Bühnenprogramm, würde ich an dieser Stelle Trommelwirbel einspielen lassen, bevor ich damit herausrücke: Das Thema, das zu dieser Antwort geführt hat, lautete „Welche Hunderasse repräsentiert Deine Manieren?“
Damit nicht genug! Der erste Satz der Auswertung lautete: „Deine Manieren haben was von einem Deutschen Schäferhund.“
Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber um auf so etwas zu kommen, muss man im Leben bereits durch einige Prüfungen gefallen sein..!
Schreibe einen Kommentar