Zu behaupten, jede Sekunde mit ihnen genossen zu haben, würde die Verhältnisse nicht direkt auf den Kopf stellen, sie zumindest aber auf unzulässige Weise verklären. Ganz als ob man niemals geflucht hätte, weil man nach einem ohnehin stressigen Tag auch noch spät nach Feierabend ihre Käfige reinigen oder ihre Spuren vom Teppich beseitigen muss, tun wir dennoch so, als gehörten Haustiere zum Fantastischsten, das uns jemals passiert ist. Und Jahre nach ihrem Ableben kräht kein Hahn mehr nach den Lieblingen von einst.
Doch der Reihe nach…
Nicht nur weil sich meine Lieblingstante neben jungen aufgelesenen Igeln zum Überwintern stets Wellensittiche hielt, sondern vor allem dank meines Vaters waren Haustiere für mich als Kind gleichbedeutend mit Vögeln. Jegliche Debatten über Mäuse, Hunde oder Pferde hatte dieser nämlich mit dem „Argument“, nur wenn er/sie/es fliegen kann, relativ beizeiten beendet. Entsprechend war auch mein erstes eigenes Tier ein Wellensittich:
Flippi
ist eben so ein Name, dem man seinem Vogel gibt, wenn man zwölf Jahre alt ist. Flippi tat alles, was man von einem Wellensittich erwarten kann: Er kackte auf Sessel und Haare, schimpfte in den Morgenstunden und verließ uns nach Ablauf seiner Zeit. Für einen neuen gefiederten Freund war ich zunächst nicht bereit. Später hatte ich tausend andere Interessen. Insofern war es keine ganz so gut durchdachte Idee von meinen Freunden, mir zum 17. Geburtstag
Günther
zu schenken. Trotzdem war er dann halt da. Bis mein Kumpel Dirk ihn eines Morgens ausgeschaltet hat. An einem Sonntagmorgen nach einer dieser Zusammenkünfte, die wir zu jener Zeit Bandprobe nannten. Zwar hatten wir, wie die meisten neu gegründeten Bands des Genres Punkrock, keine Ahnung, wie wir Instrumente bedienen sollen, aber das war erst unser zweitgrößtes Problem. Das größte Problem war das grundsätzliche Nichtvorhandensein von Musikinstrumenten. Dieser für das kreative Schaffen an und für sich suboptimale Zustand erlaubte es uns aber immerhin, unsere Proben bequem in der Wohnung abzuhalten, wenn meine Eltern wochenends über Nacht auf dem Campingplatz am Kahler See blieben. Wir hatten einen Namen, wir hatten T-Shirts und einer hatte sich sogar einen Aufnäher mit unserem Logo gemacht. Aber Instrumente? Von welchem Geld denn überhaupt?! Der einzige, der sich einen Bass zugelegt hatte, hatte dann auch schnell andere Ambitionen und war der erste offizielle Abgang unserer Band. Wenn Du als Band keine echte Zuordnug der Mitglieder zu ihren Instrumenten hast, bleibt auch oft unklar, wer eigentlich dazugehört, aber dieser Bassist war jedenfalls draußen, und Günther dafür sehr laut an diesem Morgen. Denn auch ein einzelner Wellensittich kann laut sein. Erst recht wenn mehrere gut durchgehangene Gelegenheitstrinker sich nach zuwenig Schlaf überlegen, ob es für ihre Köpfe nicht besser wäre, einfach weiterzutrinken. Als in dieser Situation jemand fragte, ob man den Piepmatz nicht abschalten könne, richtete Dirk die Fernbedienung des TV auf letzteren, und auf einmal war er ruhig.
Leider war er wenige Tage später tot, weshalb es bis heute heißt, dass Günther von Dirk ausgeschaltet wurde. Auch wenn keiner wirklich wusste, wie. Ich habe Dirk im weiteren Verlauf unserer Freundschaft vorsätzlich Bier ins Gesicht geschüttet und fahrlässig seine Brille mit Sprühlack bemalt. Ich habe ihn getroffen, als ich in der voll besetzten Kneipe keinen Nerv hatte, mir eine Schneise zum Klo zu schlagen und mein kleines Geschäft unter dem Tisch erledigte. Aber eigentlich habe ich Dirk verziehen, dass er meinen Vogel auf dem Gewissen hat.
Bakunin
Nach dem Wellensittich kam dann eine Zeit lang nichts, dafür dann ein Meerschweinchen. Zu der Zeit hatten wir alle in meinem Freundeskreis einigermaßen Bock auf Meerschweinchen. Wohlgemerkt: Wir waren damals alle keine 10, sondern etwa 20 Jahre alt und darüber hinaus. Weil ich also auch eins wollte und dann eines Heiligabends ein Kumpel im Offenen Treff von seinem Meerschweinchen erzählte, das er loswerden will, war die Sachlage klar. Ich hatte mich noch kurz vergewissert, dass er das Tier nicht eben erst zu Weihnachten bekommen hatte, obwohl ich nicht weiß, inwieweit das an meiner Entscheidung, das Schwein zu nehmen, irgendetwas geändert hätte. Und als ich dann am nächsten Tag bloß noch meinen Vater davon in Kenntnis setzen musste, dass ein neues Haustier einziehen wird, hatte ich das Problem, dass ein Meerschweinchen nicht fliegen kann. Ich stellte mich auf alles mögliche ein, aber das einzige, was er zu der Diskussion beisteuerte, war „In Ordnung“.
Bakunin hatte mit seiner Farbkombination aus Schwarz und Weiß perfekte Voraussetzungen, persönliches Eintracht-Maskottchen zu werden. So gesehen wäre Charly der passende Name gewesen. Ich fand es in diesem Alter allerdings schicker, ein Tier nach einem russischen Anarchisten zu benennen. Ebenfalls in diesem Alter lernte ich, dass es für ein Tier unerheblich ist, ob es bei seinem richtigen Namen gerufen wird. Meine Mutter rief ihn Tiger, meine Freundin Eisbär, bei seinem eigentlichen Namen Bakunin wurde er eigentlich ausschließlich von mir gerufen.
Lotte
Als das Kapitel Bakunin beendet war, sollte es erneut eine Weile dauern, bis ich wieder zu einem Tier kommen sollte. Meine damals frisch kennengelernte spätere Ehefrau hatte diese alte Katze, von der sie behauptete, wenn sie sich nicht mit mir verstünde, wäre die Grundlage für die sich eben erst anbahnende Beziehung entzogen.
Natürlich gab es später Zeiten, in denen ich mir deswegen gewünscht habe, Lotte hätte mich an dem Abend gekratzt, gebissen oder mir auf sonst irgendeine Weise ihre Abneigung zum Ausdruck gebracht. Aber jenseits von Dingen, die jetzt nicht unbedingt hierher gehören, hat mir diese Beziehung ja einen wundervollen Sohn beschert. Dazu zwei Tiere, die bis heute bei mir leben.
Doch zurück zur Chronologie der Ereignisse. Lotte bekam nämlich schon bald Gesellschaft:
Pauli
Das Monster. Als er noch sehr jung war, übernahmen wir ihn von einer Kollegin meiner angehenden Frau, die sich freimütig dazu bekannte, den Kater an die Wand flatschen zu wollen. Da kamen wir ins Spiel.
Pauli war nicht der einzige Neuzugang im ersten Jahr dieser Beziehung, denn als ich gefragt wurde, was ich mir zum Geburtstag wünsche, hatte meine neue Freundin den Gag meiner Antwort nicht verstanden, als ich etwas von Meerschweinchen sagte. Also bekam ich zu meinem 33. Geburtstag ein Geschwisterpärchen.
Hinz und Kunz
sollte die beiden heißen. Bis die Tierärztin ihrer Praktikantin erläuterte, dass das Russenmeerschweinchen sind. Also wurden aus Hinz und Kunz Ivan und Olga. Ich wusste ja bereits, dass es den Tieren egal ist, was Du rufst, wenn Du mit einem Bund Möhren wedelst.
Dummerweise können Meerschweinchen erst ab einem Gewicht kastriert werden, das sie üblicherweise nach ihrer Geschlechtsreife erreichen. Dass sie Geschwister sind, ist ihnen in dieser Hinsicht überdies genauso egal wie der Name, den man ihnen gibt. Aber wir waren naiv und ahnungslos. Zwar bemerkten wir beide, dass Olga richtig schwer geworden ist, aber das nahmen wir nicht zum Anlass, größer drüber nachzudenken, bis ich eines Abends plötzlich ein paar Tiere zuviel im Käfig erblickte. Die Situation, Tiere einmal nicht zu uns zu holen, sondern sie abzugeben, war recht ungewohnt, aber wir haben sie überlebt. Und es sollte ja auch nicht allzu lange dauern, bis alles wieder nach gewohntem Schema verlief.
Chomik
Chomik lief eines Abends neben mir her. Aus den Augenwinkeln erspähte ich ein kleines Wesen, das für die üblichen Verdächtigen Maus oder Ratte eindeutig zu buntes Fell hatte. Ohne zu wissen, worum genau es sich handelt, versuchte ich das Tier in einer Tüte einzufangen. Ich muss ziemlich unmännlich ausgesehen haben bei diesem Vorhaben, weil ich nicht riskieren wollte, das Tier zu berühren. Schließlich wusste ich immer noch nicht, worum genau es sich handelt. Ein zufällig vorbeikommender Passant hatte weniger Berührungsängste, stellte kommentarlos seine beiden Tüten ab und half mir, das unbekannte Wesen in meine Tüte zu bugsieren. Nachdem alles erledigt war, fragte ich ihn, ob er wisse, um welches Tier genau es sich denn handelt. Sein mit breitem Grinsen vorgebrachtes „chomik“ brachte mich in dieser Frage allerdings nur bedingt weiter. Noch immer ohne zu wissen, was genau ich mir da eingefangen habe, ging ich nach Hause, diesen Fund meiner angehenden Frau zu zeigen.
Wie sich später leider herausstellte, musste dem Hamster, so die deutsche Übersetzung für das polnische „chomik“, erst einmal ein Bein amputiert werden. Aber da wir für diese Operation 50 Euro bezahlt hatten, war immerhin klar, dass er bei uns bleibt. Wir dachten, dass als Name Chomik ganz gut passen würde. Nach einem runden Jahr war dann der allgemeinen Lebenserwartung für Hamster folgend das Thema durch. Chomik hatte sich zuletzt auch nur noch in einem Erdloch verkrochen, was ihm zwar den neuen Namen Saddam einbrachte, aber sein Leben dennoch nicht weiter verlängern konnte. Alles war für die Katz´ gewesen.
Ronja
zog in einem Alter bei uns ein, in dem sie gerade nicht mehr umkippte, wenn sie sich mit einer Pfote irgendwo kratzte. Ging im Alter von etwas über einem Jahr wieder aufgrund einer Katzen-Epilepsie.
Ein gutes halbes Jahr vorher war bereits Lotte altersbedingt so weit gewesen. Drei Tage nach deren Ableben war
Oka
zu uns gekommen. Oka heißt laut seinen Papieren eigentlich Feivel, wurde aber zuletzt Speedy genannt. Wir beschlossen, dass beide Namen unangemessen für diesen Hund sind. Gemeinsam mit Pauli stellt Oka den verbliebenen Rest des Streichelzoos.
Und wenn ich mir diese Beiden so anschaue, muss ich leider feststellen: Selbst wenn ich es bei nasskalten minus 15 Grad bei der Gassirunde hier und da ´mal anders sehen werde – Haustiere gehören zum Fantastischsten, das uns passieren kann.
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