Es gibt Texte, für die ich mir selbst gleich mehrere Nobelpreise verleihen möchte. Bei denen einfach alles stimmt: Ein originelles Thema, kreativ und leidenschaftlich aufbereitet. Saubere Gliederung. Klare und direkte Formulierungen, die nötige Prise Poesie dennoch nicht vermissen lassend.
Auf der anderen Seite gibt es eben auch ´mal Texte wie diesen hier. Nicht eben einfallsreich, aber notwendig. Vielleicht.
Die Reihenfolge ergibt sich aus dramaturgischen Gesichtspunkten und stellt keine Wertung dar. Anders formuliert: Der oberste Satz in der Aufzählung ist genauso scheiße wie der letzte. Den Start macht ein Evergreen des schlechten Geschmacks:
„Für das leibliche Wohl ist gesorgt“
Geschätzt zwei von drei Veranstaltungshinweisen werden von diesem Satz verunziert. Und zwar seit ich denken kann. Was ja jetzt auch nicht erst seit gestern der Fall ist. Es fehlen die Belege, aber die Indizien sprechen dafür, dass die Formulierung damals schon nicht mehr originell gewesen ist. Bei weniger häufiger Verwendung könnte man diesem Satz eventuell noch etwas abgewinnen; sachlich richtig ist er ja in den allermeisten Fällen. Doch kommt zu dem überstrapazierten Gebrauch dieser Floskel ja oft genug auch noch erschwerend hinzu, dass der sonstige Einladungstext ebenfalls seit Jahrzehnten kaum verändert wurde. Vom Design des Plakates, das dann an drei bis vier Orten diejenigen paar Leute informiert, die sowieso Bescheid wissen, fange ich besser gar nicht erst an. Das Datum anzupassen ist dementsprechend auch ausreichend, denn der Rest bleibt ja wie gewohnt.
Und genau das strahlt dieser Satz eben auch aus: Innovationsgrad Null, das Programm ist oft so hausbacken wie die Formulierung mit dem Leiblichen Wohl es befürchten ließ. Das ist doch keine Veranstaltung, die ich gerne besuche! „Das nächste Mal sollen das sowieso andere machen.“ Dieser Satz ist selbst heißer Anwärter, in nicht allzu ferner Zukunft auf einer solchen Liste unerwünschter Sätze zu landen. Denn wer die Anderen in die Pflicht nehmen möchte, muss damit rechnen, dass diese auch irgendwas anders machen wollen. Zum Beispiel die Showtime an der Wersi-Orgel durch etwas Zeitgemäßeres ersetzen. Was dann wiederum auch nicht recht ist. Diese Gedankenkette wird inzwischen bei mir in Gang gesetzt, wenn ich etwas vom Leiblichen Wohl aufschnappe.
Trotz allem hält sich diese Formulierung hartnäckig. Immerhin: Den Nerv-Faktor 11 von 10 hat sich der Satz über Jahrzehnte erarbeiten müssen. Andere Sätze in dieser Güteklasse kommen auf, bleiben ein paar Jahre und gehen wieder, ohne dass ihnen jemand auch nur eine einzige Träne nachweint. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit wären etwa „Das geht gar nicht!“ oder die Feststellung „Wie geil ist das denn!“ Es bedarf keines Meteoriteneinschlags, um diese Sätze aussterben zu lassen, die Halbwertszeit solcher Modeerscheinungen ist gering.
Insofern kann das Leibliche Wohl durchaus zu den Dinos unter den missliebigen Sätzen gezählt werden. Der Alltag hält sonst lediglich eine Formel mit mehr Ausdauer bereit:
„Wie geht’s?“
Hier steckt der Teufel im Detail: Gemeint ist natürlich nicht die ehrliche Frage, sondern die Floskel. Das Unangebrachte daran ist auch schnell erklärt: Wenn Ihr keine Zeit oder keinen Bock habt, darauf eine Antwort zu hören, die sich nicht in den drei Worten Gut, Danke, Selbst erschöpft, dann stellt diese Frage nicht. Falls Ihr weiter wollt oder müsst, stößt es zwar auch vor den Kopf, wenn ebendiese Information der Gesprächseinstieg und also auch gleichzeitige -ausstieg ist. Allerdings schon bedeutend weniger als wenn Ihr erst Interesse heuchelt und dann die Antwort nicht ´mal abwartet.
Denkt bitte daran, bevor Ihr das nächste Mal diese Frage stellt. Und habt keine Scheu, mich daran zu erinnern, wenn ich selbst einmal nicht so handle wie ich es von anderen erwarte.
Was mir mit Sicherheit niemals selbst passieren wird, jedenfalls nicht solange ich gesund bin, ist folgendes:
„War azch nucht auf duch bezogen“
So etwas kommt eigentlich und zum Glück bis jetzt nur geschrieben vor und steht stellvertretend für folgenden Sachverhalt: Ihr habt zu dicke Finger für die Tastatur Eures mobilen Endgerätes und seid gleichzeitig zu bequem, das auf solche Weise Entstandene noch zu korrigieren, bevor Ihr es abschickt. Wenngleich sich der Adressat den Sinn meistens auch erschließen kann, bleibt es ihm gegenüber reichlich despektierlich. Wenn es einmal schnell gehen muss, klar! Wenn Ihr es nicht besser könnt, auch klar! Aber wenn das System hat und die Ausnahme zur Regel wird, erkläre ich hiermit: Wenn ich Euch nicht die Mühe wert bin, dass Ihr mir korrekte Sätze schickt, dann erspare ich Euch hiermit die Mühe. Schreibt irgendjemand anderem, aber nicht mehr mir.
In diesem Zusammenhang: Auf der Arbeit muss ich mich täglich damit beschäftigen, Adressen zu dechiffrieren, die offensichtlich auf sehr ähnliche Weise entstanden sind. Ich weiß nicht, ob sich alle darüber im Klaren sind, deswegen mache ich es an dieser Stelle öffentlich: Wir tun das, damit die Kollegen vom Kundenservice nicht übermorgen wütende Nachfragen beantworten müssen, wo denn bitteschön die Bestellung X oder Y abgeblieben ist. Aber eigentlich würden wir uns auf der Arbeit viel lieber aufs Wesentliche konzentrieren.
Wenn wir gerade bei mobilen Endgeräten sind, darf ein Satz natürlich nicht fehlen, auf den ein Single eigentlich nur wartet, wenn ein an und für sich harmloses Gespräch irgendwann an einen gewissen Punkt gelangt:
„Versuch´s doch ´mal bei Tinder..!“
Hier bin ich dann mitunter tatsächlich einmal froh, älteren Semesters zu sein. Denn kämen zu den diesbezüglichen Tipps der jüngeren Kollegen auch noch massenhaft gleich lautende von den Vertretern meiner Generation – es wäre kaum auszuhalten. Womöglich hätte ich schon eine Partnerin erfunden oder gekauft, nur um Ruhe vor diesem Satz zu haben.
Es ist ja – erstens – nicht so, dass es bei Tinder primär um das Herbeiführen einer nachhaltigen Beziehung geht. Wenngleich das gelegentliche Zustandekommen einer solchen als Zufallsprodukt gern als Argument herhalten darf, dass sogar ich das ´mal probieren sollte. Aber was soll ich bitte – zweitens – von einer Anwendung halten, die ein Prinzip zum Standard erklärt, das mir in der analogen Welt schon Gräuel genug ist: die Eingrenzung potentieller zweiter Hälften nach ausschließlich optischen Gesichtspunkten. Ich bin Realist genug, zu wissen, dass das von Angesicht zu Angesicht genauso funktioniert, aber da ist besagtes Prinzip noch etwas durchlässiger und begünstigt auch ´mal Menschen wie mich, wo der Inhalt stimmt, die Verpackung aber tendenziell mittelmäßig und auch nur in geringem Maße effektheischend ist. Beim Wisch-und-Weg der nachfolgenden Generationen geht’s eigentlich um nichts anderes mehr als das Äußere.
Inwieweit sich meine Sichtweise darauf ändern würde, wäre ich mit einem besseren Erscheinungsbild ausgestattet, also Profiteur einer solchen Geschichte, ist natürlich schwierig zu überprüfen.
Wenigstens muss ich bei der Kontaktaufnahme nicht ausschließlich auf Maßnahmen aus dem vorigen Jahrtausend bauen, sondern kann guten Gewissens auf Angebote zurückgreifen, die nicht ganz so fragwürdig sind wie Tinder, aber trotzdem nicht so antiquiert wie der Tanztee.
Das Problem bleibt jedoch das Gleiche wie im realen Leben: Meistens ist es immer nur einer, der sich alle elf Minuten verliebt. Plus/minus vier bis fünf Minuten vielleicht, aber das Problem bleibt das Gleiche. Und um ihm das auf elegante Weise klarzumachen, ist folgender Satz in Mode gekommen:
„Ich suche eigentlich nicht“
Da ich diesen Spruch hier im Blog schon ausführlich behandelt habe, hier nur die Kurzfassung. Das soll eine diplomatischere Variante von „Danke, aber ich habe kein Interesse an Dir“ sein. Es mag im Alltag, auf der Straße oder auf der Party ein absolut probates Mittel sein, diesen Satz zu gebrauchen. Ob als Wiedergabe eines Faktums oder als Vorwand ist dabei von nachrangiger Bedeutung. Ganz anders sieht es allerdings aus, wenn das im Kontext von Dating-Seiten oder meinetwegen -Apps geschieht, wo man sich mit der Anmeldung ja schon irgendwie wenigstens ein bisschen dazu bekennt, mehr oder weniger auf der Suche nach was oder wem auch immer zu sein. Insofern kommt zu dem für sich genommen schon unschönen Zustand, eine Abfuhr zu erhalten, auch noch die Sachlage dazu, für blöd gehalten zu werden. Eine Kombination weit entfernt davon, euphorisches Frohlocken auszulösen.
Ich merke allmählich: Es geht bei all dem um weit mehr als nur ein paar ungelenke Sätze.
Aber bis zum Inkrafttreten 2018 ist ja auch noch etwas Zeit.
Moritz
Wodurch würden Sie denn diese Sätze ersetzen? Eine Alternative ihrerseits wäre sehr interessant! Wo man Kritik übt sollte man auch einen Verbesserungsvorschlag bringen 😉
Micky
Das leibliche Wohl könnte sehr leicht umgangen werden, wenn man weiß, was angeboten werden soll. Dann könnte es heißen, dass die Kuchentheke bestens gefüllt sein wird, die Bestände der im Vorjahr beliebten und daher rasch ausverkauften Buletten extra aufgestockt wurden oder dass die Küche eine gewohnt gute Mischung aus vertrauten und exotischen Speisen auftischt.
Das Substitut für “Wie geht´s?” erklärt sich im Text: Entweder muss ich es nicht ersetzen, weil ich es ernst meine. Oder es interessiert mich nicht, dann bleibt es weg!
Der dritte Satz muss nicht ersetzt, sondern nur so wiedergegeben werden, dass ich sehe, dass mein Gegenüber sich ein Minimum an Zeit für mich genommen hat, so wie ich es ja auch tue, wenn ich jemandem schreibe.
Was die Alternative für den Tinder-Tipp sein soll, weiß ich auf die Schnelle ehrlich gesagt auch nicht, das hängt sehr stark von der Persönlichkeit des- oder derjenigen ab, zu dem/der ich das (nicht) sagen würde. Und von meinem Verhältnis zu ihm/ihr. (Der Kollege bekommt unter Umständen einen anderen Rat als mein engster Freund.)
“Ich suche eigentlich nicht” ist, wie beschrieben, Verarschung und kann am besten durch Klartext ersetzt werden, auch wenn´s wehtut.