Die Zeiten ändern sich. Wäre ich früher so wie diese Woche geschehen in einen Veranstaltungssaal wie die Batschkapp gelangt, ohne mich von oben bis unten abtasten lassen zu müssen, wäre ich ein klein wenig stolz gewesen. Einfach so durchgewunken werden nur die, die dazugehören. Die immer da sind. Die bekannt sind. Ist man allerdings erst ´mal Mitte 40 und sieht Etablissements dieser Art nur noch ab und zu von innen, rutscht man schnell noch ein weiteres Stück tiefer in die Midlife-crisis, wenn man an der Pforte nicht angerührt wird. Auch wenn theoretisch heute wie damals die Interpretation: dieser Mann braucht keine Waffen, durchaus noch diesseits der Vorstellungskraft ist, bedeutet es realistisch betrachtet unterm Strich: Dass mir jemand mit überdurchschnittlicher Menschenkenntnis durch In-Augenscheinnahme nicht einmal mehr zutraut, verbotene Gegenstände mit mir zu führen. Da hätte ich auch zu Hause bleiben können.
Da man in dieser Situation ja auch nicht unbedingt auffallen möchte, indem man den Verantwortlichen einfach fragt, weshalb man nicht in den Genuss einer Leibesvisitation kam, bleibt alles weitere Spekulation. Ist es mein Gesicht? Mein Outfit? Oder doch meine Erscheinung als Ganzes? Wie immer die Antwort ausfallen wird, sicher ist: Die Zeiten ändern mich.
Glücklicherweise ändern die Zeiten nicht nur mich, sondern auch sich selbst und alle anderen. So war ich drinnen angenehm überrascht, weniger Vollbärte anzutreffen als vorher befürchtet.
Genau genommen wurde der Trend zur Fell-Optik wahrscheinlich vor mindestens fünf Jahren bereits das erste Mal als beendet identifiziert. Zu einer Zeit also, als Witze über dieses Phänomen noch keinen elend langen Bart hatten. Die anhaltende Popularität, die der Wildwuchs aber bis heute genießt, beweist, dass man das Ende eines Trends nur schwierig herbei schreiben kann.
Parallelen drängen sich auf. Ähnlich dachte man irgendwann über Tattoos, aber die haben sich als ebenso überdauernd erwiesen wie Hornbrillen. Der Vollbart ist dabei, diesen beiden zu folgen. Niemals geht man so ganz. Im Falle der Gesichtsbehaarung können diesen Satz sogar diejenigen unterschreiben, die eigentlich glatt bevorzugen.
In meiner Kindheit waren Vollbärte eine Angelegenheit von Piratenkapitänen, Königen und Wikingern. Später gesellten sich Weihnachtsmann und Yeti zum Personenkreis, der einen tragen durfte. Die seinerzeit allgegenwärtigen Fahndungsplakate zeigten dann, dass Verbrecher und Terroristen alle Bartträger sind und suggerierten, dass die Gleichung auch umgekehrt aufgeht. In der beginnenden Jugend verstärkte Klaus Lage meine negativen Assoziationen zu Vollbärten abermals. Vielleicht wurde hierdurch der Grundstein gelegt, dass mir Rauschebärte bis heute irgendwie suspekt sind – trotz meiner späteren Hochschätzung von Bakunin, Kropotkin oder auch Erich Mühsam, die allesamt ordentliche Hecken in ihren Gesichtern wuchern ließen.
Noch einmal sehr viel später zeigte Saddam Hussein auf, dass es auch gute Gründe geben kann, einen Vollbart zu tragen. Da zählte ich aber schon nicht mehr zur Jugend. In Läden wie die Batschkapp ging ich jedenfalls zu jener Zeit schon lange nicht mehr.
Der Bart jedoch scherte sich einen Dreck um meine Abneigung ihm gegenüber. Vielleicht schor er sich den Dreck auch, so genau weiß das sowieso niemand, aber dessen ungeachtet begann er irgendwann seinen Siegeszug. Es gab Zeiten, da hatte plötzlich jeder einen. Vor allen anderen natürlich die Kreativmenschen. Nichts liegt mir ferner, als alle über einen Kamm scheren zu wollen, aber gerade von denen hätte ich erwartet, dass sie irgendwann merken, wie uniform ihre Bärte und ihre dickrahmigen Brillen und ihre Tattoos sind, wenn sie in lauen Sommernächten die Außengastronomie der gentrifizierten Städte bevölkern. Das Arschgeweih hat es schließlich vor noch nicht allzu ferner Zeit vorgemacht, wie das Vorhaben, sich als individuell inszenieren zu wollen, eher suboptimal umgesetzt wurde. Da jetzt auch langsam aber sicher die Tennissocken die Füße zurückerobern, will man lieber gar nicht wissen, was als nächstes alles noch kommt. Doch genug gelästert. Zeit für
etwas Theorie
Mutmaßungen, warum das Gestrüpp im Gesicht überhaupt eine derartige Renaissance erfahren hat, gibt es einige. Neben dem beschriebenen nur mehr als misslungen zu bezeichnenden Bemühen, eine Art Alleinstellungsmerkmal zu generieren, hat die Nichtrasur natürlich etwas mit der Darstellung von Männlichkeit zu tun, wo sonst nicht mehr viel von dieser Männlichkeit abzubilden ist. Diese Theorie gewinnt an Kontur, wenn man sich daran erinnert, dass noch kurz bevor die Bärte massenhaft zu sprießen begannen, Metrosexualität als erstrebenswertes Ideal für den Mann von Welt galt. Da für die Pflege eines Bartes auch ein gutes Stück Zeit und Material aufgebracht werden muss, wenn sich keine Insekten oder Vögel darin einnisten sollen, wird sich die Kosmetikindustrie als solche nicht wirklich an dieser Gegenbewegung gestört haben. Einzig die Hersteller von Rasierklingen schauten etwas belämmert aus der Wäsche und bliesen zur nächsten Attacke: Wenn schon der Zugriff auf die Gesichter der Kundschaft schwieriger wurde, sollte wenigstens der Rest des männlichen Körpers so glatt wie der eines Schwimmsportlers sein.
Es sollte klar geworden sein, dass es in dieser Gemengelage um weit mehr als die bloße Frage geht, ob ein Vollbart jemandem steht oder nicht. Das nämlich tut er nur einem überschaubaren Kreis an Männern. Was wiederum die mit dieser Eigenschaft nicht gesegneten Männer bis jetzt genausowenig davon abgehalten hat, sich einen stehen zu lassen wie die Überlegung, dass so ein Bart beim Raufen, was ja ebenfalls eine Darstellung von Männlichkeit ist, gar zu viel Angriffsfläche bietet.
Bei der Frage, wie anziehend ein Vollbart auf die Frauenwelt wirkt, wird es leider auch nicht übersichtlicher. Frage zwei Frauen und bekomme drei verschiedene Antworten. Googele Dich schlau und bleibe beim Versuch. Der Überblick geht schnell verloren, und die nächste Frage, die sich stellt, lautet: Wie ernstzunehmen sind eigentlich Seiten, die empfehlen, gleich im Anschluss noch Beiträge über „Studie: Männer müssen sich zweimal die Woche mit Freunden betrinken, um gesund zu bleiben“ zu lesen? Oder „Studie: Männer mit Glatze wirken erfolgreicher, intelligenter und männlicher“? Ich habe in meinem Leben schon einige Menschen mit wenig Haupthaar gesehen und benötige für folgendes Urteil ausnahmsweise keine Studie: Zustimmung, wenn es heißt männlicher. Aber erfolgreich und Intelligent? Klar gibt es auch solche Ausnahmen, aber um mit dieser Aussage noch konform zu gehen, ist es zu spät; dafür habe ich bereits zu viele Glatzen gesehen, denen die Intelligenz buchstäblich ins Gesicht geschrieben stand. Mein Tipp für alle diesbezüglich weniger Begünstigten: Kombination Glatze und Gesichtsbehaarung. Denn bekanntlich nimmt der Bart dem Gesicht das Dumme.
So gesehen möchte ich einige Zeitgenossen lieber doch nicht oben ohne sehen.
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