Wenn man sich auf der Arbeit die Frage „Was mache ich hier eigentlich“ stellt, lag bis vor ein paar Tagen die Erklärung nahe, der normale Wahnsinn des betrieblichen Alltags hätte dieses Grübeln ausgelöst. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen kann es allerdings auch einfach bedeuten, dass Frühstück oder Pausenbrot zu fettig gewesen sind. Eine Studie einer australischen Universität nämlich stellte kürzlich genau dieses fest: Lebensmittel mit hohem Anteil an Zucker oder gesättigten Fetten machen nicht nur dick, sondern auch vergesslich.
So ändern sich die Zeiten. Früher musste man noch regelmäßig Alkoholika konsumieren, um die Hirnleistung zu drosseln. Heute reicht dazu eine Packung Chips am Abend.
Ich dachte mir noch, es könne unmöglich ein Zufall sein, dass ich eine solche Meldung lese, während ich mir gerade den dritten Kreppel des Tages ´reinzimmere. Jedoch hatte ich aus irgendeinem Grund ein Biss-chen später schon wieder vergessen, was genau mir eigentlich mein schlechtes Gewissen verschafft hatte.
Als ich die Meldung also ein zweites Mal las, kam auf einmal Neid in mir auf. Milchshakes und belgische Waffeln zum Frühstück! Ein Forschungsdesign, wie ich es selbst nicht hätte besser entwerfen können! Warum darf ich nicht ´mal an einer solchen Studie teilnehmen?
Schon seit Jahrzehnten suche ich nach einer angemessenen Möglichkeit, mich beziehungsweise meinen geschundenen Körper in den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Ich verehre die Wissenschaft. Sie hat uns segensreiche Erfindungen wie Buchdruck, Tonträger und das world wide web beschert. Zwar wurden auch etliche Erfindungen und Erkenntnisse mit fragwürdigem (z.B. Flugpanzer) oder unanständigem Nutzen (Atombomben) hervorgebracht. Gelegentlich gingen den Ingenieuren auch komplett die Gäule durch; das Resultat waren Dinge wie Indoor-Sonnenuhren oder Badewannen mit Tür. Aber in letzter Konsequenz speist sich aus der Tatsache, dass sich solcher Klimbim am Ende nicht durchgesetzt hat, die Hoffnung, die Gesellschaft stehe eventuell doch nicht ganz so dicht am Abgrund wie man manchmal vermuten könnte.
Dass wir durchschnittlich immer älter werden – ein Verdienst der Wissenschaft. Dass wir manchmal keine vernünftige Antwort mehr darauf geben können, warum man so alt werden sollte – nun ja, irgendwas ist bekanntlich immer. Richtige Wissenschaft jedenfalls bringt die Menschheit weiter oder hat zumindest das Potential, sie komplett zu zerstören. Geisteswissenschaften dagegen, am Ende sogar Gesellschaftswissenschaften, bringen Gedanken, Ideen hervor, aber nichts, was der Gesellschaft einen wirklichen Nutzen bringt. Tragischerweise kam mir diese Einsicht erst, nachdem ich eine dieser Klamaukwissenschaften zum Abschluss gebracht hatte.
Denn was habe ich als Politologe davon, dass ich die Zustände umfassend analysieren kann, wenn sich außer zwei bis drei Anderen, die wahrscheinlich ebenfalls Politologen sind, keine Sau dafür interessiert, was ich zu sagen habe?! Wenn sich gefühlte Mehrheiten in ihrem Urteil lieber auf Informationen verlassen, die der Arbeitskollege eifrig teilt, in einfachster Sprache serviert, dafür mit maximaler Kompatibilität zur (all-)gegenwärtigen Skandalisierungs-Kultur, sind deren Hirne oft bereits so degeneriert, dass zwei Rippen Schokolade zusätzlich am Ende auch keinen Unterschied mehr machen. Dem Normaldenkenden dagegen stellt sich erneut die Frage: „Was mache ich hier eigentlich?“ Frust macht sich breit, und das noch immer beste Mittel gegen Frust ist und bleibt: Schokolade. Irgendwann schließt sich jeder Kreis.
Aufgrund des neu erworbenen Wissens, dass zu viel Zucker vergesslich macht, gewöhne ich mir aktuell an, ausschließlich Schokolade mit ausreichend Nüssen zu essen: Nüsse verbessern das Denkvermögen und das Gedächtnis, bauen Stress und Aggressionen ab und wirken sich positiv auf Psyche und Stimmung aus.
Man könnte also im Prinzip anfangen, zunächst die neuen Bundesländer, später auch den Rest der Republik großzügig mit Nüssen zu versorgen und hätte daraufhin eventuell manches Problem gelöst, über das sich Gesellschaftswissenschaftler bereits jahrzehntelang den Kopf zerbrechen. Nur so eine Idee, die einem eben kommt, wenn man an einem Donnerstagabend um 23.57 Uhr an einem Text arbeitet.
Als Chronist des Weltgeschehens muss ich an dieser Stelle allerdings pflichtgemäß darauf hinweisen: Erdnüsse sind keine Nüsse, heißen aber so. Kokosnüsse – dito. Erdbeeren oder Himbeeren dagegen sind Nüsse, heißen aber Beeren. Zu den Beeren wiederum zählen unerwartet Bananen, Kiwis und sogar Melonen ebenso wie allerhand Gemüse, das man in dieser Kategorie nicht vermutet hätte: Kürbis, Zucchini oder Gurken. Da hat die Botanik dem Sprachgebrauch nicht nur einmal ein Bein gestellt. Wäre der Text hier zu Ende, müsste das Fazit demnach lauten: Botanik ist beinahe genauso sinnlos wie Politikwissenschaften. Damit nicht genug, kommt am Ende der nächste um die Ecke und behauptet: Erdnüsse sind doch Nüsse. Wer soll denn da noch durchblicken? Das Bild, das ich mir von der Welt zu malen pflegte seit Kindheitstagen, als die Frage „Was mache ich hier eigentlich“ noch keine Rolle spielte – es gerät ins Wanken. Am Ende ist womöglich sogar der Walfisch gar kein Fisch?!
Weil also selbst Sachverhalte von eher bescheidener Komplexität schon kaum noch zu durchschauen sind, sehnen sich die Leute nach einfachen Antworten. Wo ein „Danke Merkel“ reicht, um die Gesellschaft allumfassend zu erklären, schaut der Politologe dumm aus der Wäsche.
Das alles sollte man im Blick behalten, wenn man sich demnächst beim dritten Kreppel oder bei jedweder anderen Gelegenheit wieder einmal fragt: Was mache ich hier eigentlich?
Ich könnte zu dieser Thematik noch so viele andere Dinge schreiben – wenn sie mir nicht gerade entfallen wären. In diesem Sinne: Nüsse auf Deutschland!
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